Brennende Autos in Stockholm: Aus Frust wird Gewalt

Seit Pfingsten werden im Stockholmer Vorort Husby jede Nacht Autos angezündet. Dort sind 40 Prozent der unter 25-Jährigen arbeitslos.

Am 21. Mai in einem Vorort von Stockholm. Bild: dpa

STOCKHOLM taz | In zehn Vororten Stockholms brannten in der Nacht zum Mittwoch Autos und Container, Fenster wurden zerschlagen und Polizisten mit Steinen beworfen. In Husby wurden ein Kulturzentrum und eine Schule angezündet, in Jakobsberg eine Polizeistation verwüstet.

Acht Verdächtige, vorwiegend Jugendliche, wurden festgenommen. Justizministerin Beatrice Ask sprach von einer „sehr ernsten Situation“. Ausgebrochen waren die Unruhen am Sonntagabend im Vorort Husby. Auslöser war offenbar ein Polizeieinsatz sechs Tage zuvor. Ein Mann hatte von einem Balkon aus mit einem Messer gedroht. Ein Einsatzkommando war darauf in die Wohnung eingedrungen und hatte den 69-jährigen erschossen – angeblich in Notwehr.

Die Selbsthilfeorganisation „Megafonen“, die sich zum Sprachrohr der Unzufriedenheit in den Vororten entwickelt hat, warf der Polizei Rassismus vor: Ein mit einem Messer bewaffneter 69-jähriger „Karl-Erik“ in einem Villenvorort hätte eine einfache Polizeistreife auf den Plan gerufen. Derselbe 69-jährige „Ahmed“ in Husby sei durch eine schwerbewaffnete Spezialeinsatzgruppe gleich vorbeugend hingerichtet worden.

Die Sache wurde nicht dadurch besser, dass die Polizei nachweislich log. Sie hatte gemeldet, der Angeschossene sei sofort von einer Ambulanz ins Krankenhaus gebracht worden und dort verstorben. Tatsächlich kam nie eine Ambulanz und erst sieben Stunden später wurde die Leiche aus der Wohnung geschafft. Weder Medien noch Politik reagierten, als „Megafonen“ eine Untersuchung des polizeilichen Vorgehens forderte.

Brutalität und Rassismus der Polizei

Die Untersuchung wurde erst begonnen, nachdem am Pfingstsonntag in Husby Autos brannten. Gleichzeitig verschärften Brutalität und Rassismus der Polizei die Situation weiter. Als es auf einer zunächst friedlichen Versammlung zu einzelnen Gewalttaten kam, rückte ein großes Polizeiaufgebot in Kampfmontur an und sperrte weite Teile des Zentrums ab.

Angebote von Eltern und Mitgliedern einer Nachbarschaftshilfe, die Situation durch Gespräche mit den Jugendlichen deeskalieren zu wollen, sollen von den Beamten mit Beschimpfungen wie „Affen“, „Ratten“ und „Neger“ beantwortet worden sein. Vermittlungswillige und unbeteiligte Passanten wurden teilweise mit gezogenen Schlagstöcken bedroht. Mittlerweile gibt es ein Ermittlungsverfahren, um diese Vorwürfe zu untersuchen. „Klar ist es falsch, wenn wir Autos anzünden“, erklärte ein anonymer Jugendlicher im Fernsehen. „Aber dann kommt eben die Polizei und wir können Katz und Maus mit denen spielen.“

„Die Frustration, die hinter den Unruhen steht, ist gut zu verstehen“, kommentiert das Stockholmer Aftonbladet: „Husby wurde die letzten Jahre im Stich gelassen.“ 83 Prozent der 12.000 EinwohnerInnen der in den 1970er Jahren erbauten Satellitenstadt sind mittlerweile ausländischer Herkunft. Die Arbeitslosenquote ist doppelt so hoch, das Durchschnittseinkommen 40 Prozent niedriger als in den anderen Teilen Stockholms. 40 Prozent der 18- bis 25-Jährigen sind weder in Ausbildung, noch in Arbeit. Der Anteil von Sozialhilfebeziehern ist auf Rekordniveau.

Abbau öffentlicher Leistungen

Sieben Jahre Politik einer Mitte-rechts Regierung mit vier Steuersenkungsrunden für Gutbetuchte bei gleichzeitigem Abbau öffentlicher Leistungen machen sich wie überall in Schweden bemerkbar – auch in Husby. Das Gesundheitszentrum und der Jugendtreffpunkt dort wurden geschlossen, Schulen vernachlässigt. Der Staat ist vor allem in Form der Polizei sichtbar.

Es sei „eine explosive Mischung aus Klassen- und Integrationsfragen“, die sich in Stockholmer Vororten zusammenbraue, sagte am Mittwoch ein Rundfunkkommentar. „Die verlorene Hoffnung brennt“, titelt die linke Internationalen. In der vergangenen Woche veröffentlichte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) einen Bericht, wonach Schweden das westliche Industrieland ist, in dem seit den 1990er Jahren die Einkommensunterschiede am stärksten gestiegen sind.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.