„Das Kreuz ignorieren wir einfach“

Interview mit einer galicischen Hexe (Meiga) über Kunden, Kulte, Kirche, Keltentum. Meigas gibt es nur in Galicien, nirgendwo sonst in Spanien. Sie haben den Sprung ins Wassermannzeitalter lässig geschafft und sind gefragt wie eh und je

Interview TOBIAS BÜSCHER

Tobias Büscher: Was ist eine Meiga?

Rosa: Laut Definition eine Magierin, frei definiert eine weise Frau, die berät und hilft.

Also keine Hexe?

Nicht im herkömmlichen Sinne. Eine Meiga bezieht sich ausschließlich auf keltische Magie, sie hilft mit Unterstützung der vier Elemente Wasser, Feuer, Luft und Erde. Eine Hexe dagegen wird mit dem Teufel, mit Satanismus in Verbindung gebracht. Wir überlassen die Definition in Galicien aber nicht der Kirche. Wir sind keltische Hexen, die das Gute wollen.

Seit wann sind Sie Meiga?

So etwas hat man schon von Geburt an, aber dazu kommt die Auseinandersetzung mit den alten Kulturen und mit dem Hier und Heute. Ich habe Intuitionen wie ein Geiger das Gespür für Musik, wenn Sie so wollen. Daneben habe ich aber auch meine „Hexenmeisterin“ gehabt, die mich einwies.

Innerhalb Ihrer Familie?

Es war eine Frau aus unserem Dorf bei Vigo. Als ich sieben Jahre alt war, habe ich sie oft besucht. Im Dorf war sie verpönt; nicht etwa weil sie Meiga war, das war schon immer sehr angesehen. Man mochte sie nicht, weil ein verheirateter Mann sie besuchte. Sie hatte einen großen Raum, in dem ich mich immer hinter einem Vorhang versteckt habe, während sie ihre magischen Sitzungen hielt. Niemand außer ihr wusste, das ich da war. Und ich hörte zu, hörte zu, hörte zu. Ich liebte diese Sitzungen über alles, wie sie mit den Leuten sprach, wie sie ihnen Ratschläge gab. Ich lernte von ihr über Jahre hinweg in meinem Versteck.

Seit wann beraten Sie selbst?

Seit 25 Jahren.

Wer sind Ihre Klienten?

Früher waren es mehr die einfachen Leute. Heute kommen auch Manager, Ärzte, Schauspieler.

Kommen VIPs?

Ja, sicher.

Wer zum Beispiel?

Viele. Namen darf ich nicht nennen, auch Meigas haben eine Schweigepflicht. Aber ich mag sie nicht besonders, vor allem die Schauspieler nicht. Im Grunde sind sie sehr langweilig, die Berühmten, sie haben Manien und sind entsetzlich unsicher. Einfache Leute sind da viel echter, viel interessanter.

Was kostet eine Beratung?

7.000 Peseten [ca. 90 Mark].

Was passiert während einer Sitzung?

Der Klient schweigt, ich rede. Natürlich sprechen wir auch, aber erst, nachdem ich die Diagnose gemacht habe.

Der Klient sagt nichts außer seinem Namen?

Seinen Namen und sein Sternzeichen. Und dann rede ich über sein Leben.

Wie das, wenn Sie ihn nicht kennen?

Ich kenne ihn, obwohl ich ihn gerade zum ersten Mal gesehen habe. Ich sehe sein Leben. Das ist Intuition und schwer zu beschreiben. Ich erzähle, was ihn bedrückt. Manchmal arbeite ich mit Karten, dann wieder nicht. Ich vertue mich selten.

Sie erkennen Details aus seinem Leben?

Ja.

Geben Sie mir ein Beispiel.

Also, ich sehe, ob er Arbeit hat oder nicht, wie sein Liebesleben ist, ob er finanzielle Probleme hat, wie viele Kinder er hat . . .

Sie wissen, wie viele Kinder er hat?

Ja, das ist relativ einfach. Viel schwieriger ist es, Dinge hervorzubringen, die er selbst nicht weiß oder verdrängt. Vor kurzem hatte ich einen Homosexuellen in meiner Beratung, der es sich nie eingestanden hat. Ich sagte: „Du fühlst dich von Männern angezogen“, und er protestierte, er sei doch keine Schwuchtel. Ich sagte, er verleugne sich, und langsam, nach mehreren Sitzungen, gestand er sich selbst ein, homosexuell zu sein.

Haben Sie Macht?

Nein, Qualitäten.

Ich sitze also vor einer Frau, die mehr von mir weiß, als dass ich Journalist aus Deutschland bin?

Nein. Noch nicht, weil dies ja ein Interview ist. Ich habe mich nicht auf eine Beratung eingestellt.

In einer Beratung könnten Sie mir sagen, ob es meiner Großmutter bald besser gehen wird? [Sie lebt nicht mehr.]

Darauf lasse ich mich nicht ein.

Dann komme ich morgen zur Beratung?

Ich bin für die nächsten Wochen völlig ausgebucht, mein Junge, ich mache zehn Sitzungen am Tag, von morgens um neun bis in die Nacht. Sie müssten in vier Wochen kommen.

Schade, da bin ich nicht mehr in Galicien. Haben Sie noch eine andere Berufsausbildung als die zur Meiga?

Ich habe Wirtschaftswissenschaften studiert und wollte Unternehmerin werden. Als Meiga wollte ich verdeckt arbeiten. Noch vor 27 Jahren, unter der Diktatur Francos, war dies verboten, es wurde scharf verfolgt. Als Franco 1975 starb, hat sich vieles verändert, auch für die Magier und Hexen Spaniens.

Hexerei ist heute gesetzlich erlaubt?

Aber nein, noch immer wird Hexerei offiziell strafrechtlich verfolgt, aber das ist nicht mehr als eine Anekdote. Man hat nur bislang vergessen, den entsprechenden Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch zu entfernen. Niemand käme heute auf die Idee, einer Meiga die Ausübung ihrer Tätigkeit zu verbieten.

Haben Sie beim Studium die Prüfungsfragen vorhergesehen?

Schon vorher. Beim Abitur habe ich meinen Mitschülern vorhergesagt, welcher Übersetzungstext aus dem Französischen drankommen würde. Wir haben alle glänzend abgeschlossen. Aber das geht nicht immer, auch ich musste lernen, leider, ob in der Schule oder an der Universität. Ich bin ja keine Göttin.

Wer ist für einen Galicier attraktiver, ein Pfarrer oder eine Hexe?

Eine Hexe, mit Abstand.

Wie ist denn Ihr Verhältnis zur Kirche?

Das ist eine lange Geschichte. Erst waren wir, dann kam die Kirche. Denken Sie nur an die Wegkreuze, die cruceiros. Zuerst war da der Stein der Meigas, dort haben wir uns versammelt, unsere Kulte gelebt. Dann kam die katholische Kirche und hat auf die Steine Granitkreuze gesetzt. Glauben Sie, das stört uns? Wir treffen uns noch immer an den Steinen, das Kreuz ignorieren wir einfach.

Gehen Sie in die Kirche?

Nein, um Gottes willen, nie, es sei denn, ein Freund heiratet . . .

Sind Sie verheiratet?

Nein!! (lacht)

War je ein Pfarrer bei Ihnen in der Sprechstunde?

Mehr als einer. Sie haben immer dasselbe Problem. Sie wollen eben selber auch heiraten, das Zölibat lässt es nicht zu. Sie wollen gute Pfarrer sein, leiden aber gleichzeitig sehr.

Kommen mehr Frauen als Männer zu Ihnen?

Ja, aber von zehn Besprechungen sind häufig zwei der Klienten Männer.

Ist ihre Arbeit mit Männern leichter oder schwerer als die mit Frauen?

Schwerer, viel schwerer. Frauen haben in der Regel eine gewisse Erfahrung, eine gewisse Sensibilität. Männer muss man vor allem zu Beginn erst wirklich überzeugen. Mit Männern muss man viel Geduld haben.

Was ist das größte Problem der Menschen, die zu Ihnen kommen?

Die Einsamkeit. In welchem Zusammenhang auch immer, es geht um Einsamkeit. Die Menschen sind sehr einsam.

Kommen Leute mit sexuellen Problemen?

Nein, nicht so sehr deshalb, es geht vielleicht auch darum, aber sie kommen doch vor allem wegen Liebeskummer.

Bitten die Leute Sie manchmal um Dinge, die Sie nicht erfüllen können?

Sie bitten mich um Dinge, die ich nicht erfüllen darf, wie zum Beispiel, ihre Ehefrau zu töten . . . Erst heute morgen hat wieder so ein Mann angerufen. Meiner Sekretärin habe ich gesagt: Stell mir diesen Typen nicht durch. Er hat schon mehrmals angerufen, weil er mir Unsummen anbieten will, um seine Frau zu töten. Rosa, hat er gesagt, Sie müssen mir helfen, ich halte diese Frau nicht mehr aus.

Haben Sie häufig mit Psychopathen zu tun?

Häufig, sehr häufig. Ich habe schon oft Klienten sofort in die Psychiatrie geschickt, in 25 Jahren erlebt man die unglaublichsten Sachen. Das ist nicht mein Aufgabengebiet. Ich heile weder Schizophrenie noch Lungenkrebs, dafür sind Ärzte da. Ich heile Kopfschmerzen, wenn sie psychologisch bedingt sind, so etwas schon. Ich habe auch schon viele Ehen gerettet. Ich gebe zum Beispiel galicischen Emigranten nach ihrer Rückkehr auch Anlagetipps für ihr Geld, wenn ich sehe, dass das nötig ist. Warum soll ich mein Wissen aus dem Studium nicht einbeziehn?

Sie sind also Psychologin und Anlageberaterin in einem?

Nein, ich bin Meiga.

Gibt es viele Scharlatane unter den galicischen Meigas?

Das will ich nicht hoffen.

Warum gibt es so viele Meigas in Vigo und Ourense, aber keine in Frankfurt und Berlin?

Weil Galicien ein magisches Land ist, ein abgeschiedenes. Kulte gibt es überall, in Afrika, in Lateinamerika, auch in Deutschland, Kartenleser, Schamanen, Hexen und, und, und. Es gibt viele verschiedene religiöse Strömungen, Philosophien. Aber Meigas gibt es nur in Galicien, nicht einmal irgendwo sonst in Spanien gibt es sie. Auch der Begriff „Meiga“ ist einzigartig. Wir haben hier eine lange keltische Tradition.

Nun gut, Kelten gab es auch andernorts, aber hier hat es sich auf besondere Weise ausgebildet. Galicien war immer eine schwer erreichbare, abgeschiedene Gegend. Dadurch konnten sich keltische Bräuche länger konservieren. Eine Meiga ist 100-prozentig keltisch, ohne Einflüsse. Deshalb kamen auch galicische Emigranten, die in Deutschland gelebt haben, im Heimaturlaub häufig zu mir. Es ist die Arbeit mit der Natur, mit den Elementen, der Glaube an Freiheit. Nur eines haben wir nicht übernommen. Die keltischen Magier haben sehr viel Goldschmuck getragen. Das finde ich theatralisch.

Sie sind im galicischen Fernsehen aufgetreten. In der Keltenzeit gab es keine Fernseher.

Ja, und ich fahre auch ein Automobil. Wir haben uns immer auch der Zeit angepasst und mit den Phänomenen der Zeit gelebt. Früher sind uns die Leute an Infektionen gestorben, weil es kein Penizillin gab. Wir haben uns im Laufe der Zeit auch emanzipiert. Die Meiga ist die weibliche Figur des Druiden.

Was erzählen Sie den Galiciern denn während eines Auftritts im Fernsehen?

Rezepte, magische Rezepte vor allem, das kommt sehr gut an, das macht viel Spaß, wie man den bösen Blick mit Holz von der Eiche heilt, wie man Kräuter mischt, um Spannungen in der Ehe zu verhindern, dass Zimt zu essen ganz wichtig ist für die Harmonie eines Paares, solche Dinge, alte Traditionen, die die Leute nicht mehr kennen.

Haben Sie ein Rezept für unsere taz-Leser?

Sicher (lacht). Ein ganz altes: Damit ein Haus Glück bringt, benötigen Sie eine Mistel, die Sie in einem Tontopf verbrennen, etwas Veilchenessenz – das bekommt man in vielen Naturläden –, und wenn es brennt, gibt man noch etwas Weihrauch hinzu. Das wird mit einem Löffel umgerührt, und dann geht man mit dem Gefäß langsam durch das ganze Haus oder die Wohnung und verteilt den Rauch. Das bringt viel Harmonie, Kraft und Glück.