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: Zukunftsvisionen: Gibt es intelligentes Leben im All? Und auf der Erde?

Abgesandte des Sternbilds Canopus

Die Überzeugung, im Weltall nicht allein zu sein, ist nicht bloß die Prämisse spinnerter Ufo-Gläubiger und zahlloser Sciencefiction-Szenarien; statistisch gesehen ist es vielmehr eindeutig: Die Möglichkeit, außerirdisches intelligentes Leben im Universum zu finden, beträgt gleich 1. Nachgewiesen hat das der Mathematiker und Statistiker Amir D. Aczel mit seinem Buch „Probability 1“.

Dass jedoch „der Austausch von telegrafischen Botschaften mit Bewohnern anderer Welten außerhalb unseres Sonnensystems nur eine Frage der Zeit und vor allem des Geldes sei“, muss mit den Worten Hans Blumenbergs „als Scharlatanerie bezeichnet werden. Sollte die nächste vernünftig besiedelte Erde um eine der Sonnen unseres Milchstraßensystems kreisen, so wäre bei Annahme einer durchschnittlichen Entfernung die Wartezeit für die erste Antwort auf eine ausgeschickte Frage länger als die ganze bekannte Geschichte menschlicher Kultur. Anders gesagt: Man würde die Antwort schon deshalb nicht verstehen können, weil man nicht mehr wissen würde, was die Frage gewesen war.“ Blumenbergs Sammlung von Essays und Glossen zu Fragen der Astronoetik sind das mit Abstand Geistreichste, was ich zu diesem Themenkomplex je gelesen habe.

Wer solche Skepsis nicht teilen mag, muss sich einstweilen die Sterne weiterhin im Medium der Fiktionen ansehen. Das Sternbild Canopus, dem übrigens auch ein unstatistisch sentimentaler Blick des Mathematikers Aczel gilt, ist Schauplatz von Doris Lessings fünfbändigem Romanzyklus „Canopus im Argos. Archive“, deren ersten beiden Bände jetzt als Taschenbuch erschienen sind. „Die Ehen zwischen den Zonen Drei, Vier und Fünf“ ist eine einigermaßen konfuse Fantasie über Machtkämpfe und Heiratspolitik unter Außerirdischen. „Shikasta“ jedoch, der erste Band des Zyklus, ist ein ebenso spannender wie visionärer Roman, der dadurch überzeugt, dass er sich nicht in fantasierte Fernen des Alls verflüchtigt, sondern auf unserem blauen Planeten spielt. Doris Lessing liefert hier eine Art Menschheitsgeschichte, gesehen und interpretiert von einem Abgesandten des Sternbilds Canopus. Wer hier an Erich von Dänikens Märchen für Erwachsene denkt, dass die Erde eine Kolonie außerirdischer Mächte sei, liegt nicht völlig falsch, aber Doris Lessings Roman ist trotz dieser Prämisse sehr von dieser Welt – und erzählt diese Welt als eine Geschichte ununterbrochener Selbstzerstörung.

Die Frage, „Was wird aus dem Menschen, wenn er so weiterlebt?“, hat sich auch Alfred Döblin gestellt, und er hat sie 1924 mit seinem in jeder Hinsicht maßlosen Roman „Berge Meere und Giganten“ beantwortet. Döblin entwirft eine monströse Welt des 24. Jahrtausends, in der sich die Menschheit fast völlig von der Natur gelöst hat und diese in globalem Zugriff terrorisiert: Um Grönland zu enteisen, werden die Vulkane Islands gesprengt, Saurier kehren zurück, künstlich gezüchtete Riesen müssen sie bekämpfen. Was nach einem naturwissenschaftlichen Schauermärchen klingt, ist einer der unerhörtesten, bizarrsten Romane des 20. Jahrhunderts. Wenn die Zukunft auf diesem Planeten Döblins Vision nahe käme, wäre man im Sternbild des Canopus vermutlich besser aufgehoben.

KLAUS MODICK

Alfred Döblin: „Berge Meere und Giganten“. suhrkamp tb, 539 Seiten, 34,90 DMDoris Lessing: „Shikasta“. btb, 540 Seiten, 22 DM; „Die Ehen zwischen den Zonen Drei, Vier und Fünf“. btb, 318 Seiten, 18 DMHans Blumenberg: „Die Vollzähligkeit der Sterne“. suhrkamp tb, 557 Seiten, 32,90 DMAmir D. Aczel: „Probability 1“. rororo, 220 Seiten, 19,90 DM