Die Ordnung der Waffen

Den Weltfrieden zu organisieren ist viel komplizierter, als Kriege zu führen. Das gilt heute trotz UNO – und es lässt sich durch die Jahrhunderte belegen. Ein brillanter Essay von Michael Howard

Kant formulierte den Frieden als „Idee eines vernunftbestimmten Zieles“

von RUDOLF WALTHER

Seit das politische und akademische Justemilieu in Saddam Hussein und Slobodan Milošević die Wiedergänger Hitlers und in „Srebrenica“ eine Kopie von Auschwitz entdeckt hat, ist die Rede vom „Lehrmeister Krieg“ wieder populär. Der britische Historiker Michael Howard antwortete auf diese Vulgarisierung des politischen Denkens mit einer brillanten Vorlesung, die jetzt als Buch erschienen ist. Die These, dass es bewaffnete Konflikte in der Geschichte immer gegeben hat, ist so trivial wie unbestreitbar. Howard untersucht aber nicht die angeblich anthropologischen Grundlagen für diesen Tatbestand, sondern fragt, warum der Frieden eine relativ junge und „moderne Erfindung“ ist, während der Krieg über Jahrhunderte als Normalfall galt.

In seiner ersten These belegt Howard, dass das Mittelalter in einer speziellen Hinsicht erst im 18. Jahrhundert geendet hat. Er konstatiert von der Krönung Karls des Großen (800) bis zur Französischen Revolution von 1789 „eine erfolgreiche Symbiose zwischen der herrschenden Klasse der Ritter, die für die Ordnung sorgte und der Priesterschaft, die diese Ordnung legitimierte“. Natürlich hat diese „Symbiose“ zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten durchaus unterschiedliche Formen angenommen, aber in ihrem Kern blieb sie bestehen und machte den Krieg insofern zum Normalfall, als Krieg führende, betende und arbeitende Menschen gleichermaßen als Diener Gottes auftraten.

Eine wichtige Modifikation erhielt diese Ordnungsvorstellung erst nach den Religionskriegen im Westfälischen Frieden von 1648. Die absolutistisch regierten Staaten hatten bis dahin ihre Binnenstrukturen (Armee, Verwaltung, Justiz, Steuerwesen und Polizei) verstärkt und einigten sich auf die Erhaltung eines „Kräftegleichgewichts“ und damit auch auf eine „begrenzte Kriegführung“, weil sie sich zum Prinzip der gegenseitigen Nichteinmischung bekannten.

Erst zur Zeit der Aufklärung im 18. Jh. kam eine radikale Kritik der alten Ordnungsvorstellung auf. Krieg war nicht mehr der Normalfall, sondern erschien – je nach Standpunkt – als vernunftwidrig, naturwidrig oder unchristlich, jedenfalls aber als „törichter Anachronismus“ von Unaufgeklärten. Kant formulierte den Frieden als „Idee eines vernunftbestimmten Ziels“ und damit als moralischen Imperativ.

Von der Französischen Revolution und bis zum Ende des Ersten Weltkriegs wurde der Krieg insofern zur Sache aller, als im Ernstfall im Prinzip alle wehrfähigen Männer mobilisiert wurden und die neuen Waffen zunehmend auch die Zivilbevölkerung direkt in den Krieg einbezogen. Parallel dazu sorgte der Nationalismus als Religionsersatz für die ideologische Rechtfertigung von Kriegen im „nationalen Interesse“ oder zur „Verteidigung des Vaterlandes“. Nachdem die europäischen Nationalstaaten territorial „saturiert“ waren, verlagerte sich der Krieg in die Kolonialgebiete. An die Prinzipien begrenzter Kriegführung, wie sie sich in Europa herausgebildet hatten, fühlten sich die Kolonialmächte in ihrer vermeintlich „zivilisatorischen Mission“ nicht mehr gebunden. „Wenn die Engländer [. . .] die Hindus vor die Mündungen der Kanonen banden und sie ‚zerbliesen‘, dass ihre Körper in alle Winde zerstoben, so kann man das, da doch der Tod sofort eintrat, nicht tadeln“ (Heinrich von Treitschke 1897). Die Kriege um Kolonien verschärften die Konkurrenz unter den Nationalstaaten, deren Bürger auf die „Dschungelmoral“ eingeschworen wurden, gemäß der der Krieg der „Existenz- und Überlebenskampf von Nationen“ sei.

Der Versuch, nach 1918 mit dem Völkerbund eine neue Ordnung der zwischenstaatlichen Beziehungen zu etablieren, misslang, weil Deutschland und die junge Sowjetunion nicht Mitglieder waren und in allen Staaten „kriegsbedingte Ressentiments“ nicht nur weiterlebten, sondern treibhausmäßig gezüchtet wurden. Der nächste Versuch, nach dem Zweiten Weltkrieg mit der UNO eine weltweite Friedensordnung zu stiften, verlief zwar positiver, aber der Kalte Krieg und die atomare Aufrüstung zogen dem Vorhaben enge Grenzen. Als weitere Ursache der Friedensverhinderung erwies sich das rapide zunehmende Wohlstandsgefälle zwischen industrialisierten und unterentwickelten Regionen der Welt.

Nach 1989 und dem Zusammenbruch der sowjetischen und osteuropäischen kommunistischen Diktaturen stiegen zunächst die Erwartungen an eine neue Friedensordnung. Allerdings stellte sich bald heraus, dass die nachkommunistischen Staats- und Gesellschaftsordnungen wirtschaftlich im „Chaos“ versanken und politisch einer mafiosen „Kleptokratie“ ausgeliefert wurden. „Die Erosion staatlicher Autorität“ bedroht jeden stabilen Frieden, und diese Bedrohung ist nicht auf Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion beschränkt. Der globale wirtschaftliche Wettbewerb, die internationalen Finanzmärkte und die transnational agierenden Konzerne untergraben auch die staatliche Souveränität demokratischer Staaten.

Militärische Überlegenheit hat sich längst als zwiespältiges Mittel erwiesen, um eine Ordnung der Welt im Namen des Friedens einzurichten. Modernste Technik erlaubt es dem militärisch Starken zwar, Diktaturen aus der Luft zum Nachgeben zu zwingen, aber „am Boden geben immer noch Kalaschnikow-MGs den Ton an“. Die jüngsten „Weltordnungs“-Kriege sind obendrein so unpopulär, dass sich dafür keine „Ordnungsmacht“ das Leben auch nur eines Soldaten zu riskieren traut.

Howards glänzender Essay bietet kein Patentrezept an; er reflektiert die Möglichkeit eines universellen Friedens jenseits der ebenso naiven wie gefährlichen Utopie eines einzigen Weltstaats. Das grundlegende Dilemma besteht im Widerspruch zwischen dem notwendigen Kampf gegen „die barbarische Freiheit der schon gestifteten Staaten“ (Kant) und der unabdingbaren Achtung vor der einzelstaatlichen Souveränität, ohne die eine Friedensordnung nicht möglich ist. Howard demonstriert, dass die raffinierteste Kriegführung nicht annähernd so komplex ist wie eine Friedensstiftung, die mehr bietet als einen vorübergehenden Waffenstillstand.

Michael Howard: „Die Erfindung des Friedens. Über den Krieg und die Ordnung der Welt“. A. d. Engl. von Michael Haupt, 120 Seiten, zu Klampen Verlag, Lüneburg 2001, 29,80 DM (15,24 €)