Allah war nie Asylant

■ Die Odysee der Familie Sado: Die Heimatstadt Beirut zerbombt, bedroht in der Türkei, jetzt sollen sie in ein Land abgeschoben werden, das sie kaum kennen

ie soll nach 12 Jahren in Deutschland abgeschoben werden. Ihr wird Asylmissbrauch und Sozialhilfebetrug vorgeworfen. Gerade sollten ihr Mann und zwei ihrer Kinder in die Türkei geschickt werden. Und trotzdem behauptet Subeida Sado: „Das Beste an Deutschland sind die Menschenrechte.“

Ein kleines Haus in Findorff, es gibt Kaffee, Plätzchen und Äpfel. Gar nicht erst aufgetaucht sind jene Familienmitglieder an denen der zukünftige Innensenator Kuno Böse (CDU) ein Exempel statuieren wollte. So sehen das zumindest Anwälte und Flüchtlingsorganisationen, seitdem bekannt ist, dass Böse sich persönlich für der Spaltung der Familie Sado eingeschaltet haben soll. Ohne das Asylverfahren des zehnjährigen Joseph abzuwarten, sollten der Vater und die zwei älteren Geschwister Seymus (16) und Sabah (18) in die Türkei abgeschoben werden – ein Land, das sie fast nicht kennen.

Subeida Sado, die Mutter, kann den Schrecken nicht verdauen. „Ich habe kaum geschlafen“, sagt sie mit gesenktem Kopf. Sie hat keinen Plan, keine Lösung, nur Fassungslosigkeit. Was wäre mit ihren anderen sechs Kindern ohne Vater in Deutschland passiert? Wäre Subeida ihnen gefolgt? Subeida Sado, eine einfache, 40-jährige Frau mit Kopftuch, senkt das Haupt: „Ich weiß es nicht. Ich kann nur sagen: Man wird verrückt, wenn man daran denkt.“

1979 flüchteten die frisch verheirateten Sados mit zwei Kindern vor dem Bürgerkrieg im Libanon zu Verwandten in die Türkei. In der Nähe von Mardin schlug sich der Vater als Tagelöhner durch. Bis ihn die PKK eines Tages zwingen wollte, im Untergrund gegen die Türken zu kämpfen. Da war klar: Die Sados, inzwischen neunköpfig, müssen wieder weg. Das war 1989. Inzwischen hatten sie sich jedoch auf dunklen Wegen als Türken regis-trieren lassen, um bleiben zu dürfen – wie Tausende andere kurdische Libanesen. Subeida Sado ließ sich von einem Bekannten als Tochter annehmen. Alles gefälscht. „Es war ein Gefallen“, erzählt sie. Um die Geschichte glaubwürdiger zu machen, wurde sie in den Papieren acht Jahre jünger gemacht.

Genau diese Schummeleien werden den Sados und vielen anderen kurdischen Libanesen in Deutschland Jahre später zum Verhängnis. „Über 500 Ausländer mit illegaler Identität habe die Polizei ermittelt“, erklärte der Bremer Innensenator Bernt Schulte (CDU) stolz im Februar 2000. Türken, die sich als Libanesen ausgegeben hätten, um Asyl in Deutschland zu bekommen, hätten inzwischen allein in Bremen mehrere Millionen Mark Sozialhilfe „erschlichen“. Um das zu beweisen, legten die Behörden die gefälschten Papiere aus dem türkischen Personenstandsregister vor. Danach wäre Subeida bei der Geburt ihres ersten Kindes zwölf Jahre alt gewesen.

Die Heimatstadt Beirut zerbombt, bedroht in der Türkei, jetzt vor dem Rausschmiss aus Bremen. Nur die Kinder der Sados sprechen gut deutsch, die Eltern haben auch in Deutschland scheinbar keine wirkliche Heimat gefunden. Wie auch? Eine Arbeitserlaubnis hatten sie nicht. So sind es vor allem die Kinder, die klar wissen, was sie wollen: in Bremen bleiben. „Wir sind total geschockt“, schreibt die 18-jährige Sabah Sado in einem offenen Brief. „Wir leben hier, seitdem wir fünf Jahre alt sind, und dachten: Wir werden uns hier ein Leben aufbauen. Jetzt sollen wir abgeschoben werden. In die Türkei. Wir kennen das Land nicht, wir können die Sprache nicht. Das ist Wahnsinn. Wir sprechen arabisch und deutsch. Wir werden hierbleiben, egal, was sie anstellen.“

Als den Sados im Mai der Abschiebungsbescheid für alle ins Haus flatterte, kam ihrem Anwalt eine Idee: Für Joseph (10) Asyl beantragen. subeidas jüngstes Kind ist in Deutschland geboren, deshalb kann es kaum in irgendeinem Ausland der Welt verfolgt worden sein. Aber: Bis der Antrag durch alle Instanzen gefochten ist, können drei Jahre ins Land gehen. Zeit zum Durchatmen. Zu lange für Bremens designierten Innensenator.Böse durchschaute die Finte und entschied, als der Fall auf seinen Tisch kam, einfach den Vater, Seymus und Sabah in die Wüste zu schicken. Das Verwaltungsgericht machte Böse erst einmal einen Strich durch die Rechnung: Abschiebung erst in einem Monat, wenn über Josephs Asylantrag entschieden ist.

Als ob das Zittern der Sados nie enden wollte: Offenbar weigert sich das Ausländeramt jetzt, das Urteil des Verwaltungsgerichts anzuerkennen. „Die Sados bekamen keine Duldung für einen Monat, sondern nur eine Grenzübertrittsbescheinigung für 20 Tage“, erzählt Anwalt Jan Sürig. „Als die Sados protestierten, sagte die Sachbearbeiterin, sie hätte ,vom Senator eine anderslautende Anweisung'.“ Beim Innensenator kann sich niemand „erklären, was da passiert sein soll.“ Anwalt Sürig will das Amt jetzt mit der Androhung eines Zwangsgelds verpflichten, dem Beschluss des Verwaltungsgerichts zu folgen. Der Innensenator seinerseits hat Revision gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts eingelegt. Am Wochenanfang wird das Urteil erwartet. Allah kann nie in seinem Leben Asylant gewesen sein. Sonst würde er seinen Gläubigen so etwas nicht zumuten. ksc