Bundestagswahl in Berlin: Einigkeit über alles

Die SPD wählt in seltener Eintracht ihre Bundestagskandidaten und die NSU-Aufklärerin Eva Högl zur Spitzenfrau. Vorbereite Kandidatenliste von SPD-Landeschef geht voll auf.

Triumpf für Kandidatin und Parteichef: Eva Högl wird von den Delegierten zur Spitzenkandidatin gewählt, ganz wie von Parteichef Jan Stöß geplant. Bild: dpa

Dauerlächelnd sitzt der Mann mit der Glatze auf dem Podium, verteilt Blumensträuße, steckt seinen Kopf mit Fraktions-Chef Raed Saleh zusammen. Am Nachmittag weiß Jan Stöß: Sein Plan ist aufgegangen.

Als Letzte im Berliner Bunde kürte am Samstag die SPD ihre Bundestagskandidaten, auf einem Parteitag im Neuköllner Estrel-Hotel. SPD-Landeschef Stöß hatte vorgesorgt: Schon im Vorfeld hatte er mit dem Parteivorstand eine feste Kandidatenlisten gestrickt - darauf nicht wenige Unterstützer seiner Wahl zum Vorsitz vor einem Jahr. Als "ausgewogen und fair" bewirbt Stöß auf dem Parteitag noch einmal seine Liste, bittet um ein "Signal der Geschlossenheit" für den Wahlkampf gegen Schwarz-Gelb.

Und die 225 Delegierten folgen. Als Spitzenkandidatin gesetzt war Eva Högl. Seit 2009 sitzt die 44-Jährige aus Mitte im Bundestag, profilierte sich dort zuletzt als NSU-Aufklärerin. "100 Prozent Einsatz" verspricht Högl der Partei. Sie selbst erhält ein paar Prozentpunkte weniger: 77 Prozent der Delegierten wählen sie zur Nummer eins. Gegenkandidaten gibt es keine. Auch nicht beim Zweiten auf der Liste, Swen Schulz. 97 Prozent erhält der Spandauer aus dem linken Parteiflügel, seit 2002 im Bundestag.

Sie schenkten Pfeffi-Schnaps aus, schwenkten „Demokratie muss manchmal wehtun“-Schilder, riefen: „Ob friedlich oder nicht – Pfeffi ins Gesicht“. Allein: So recht mochten die 25 Demonstranten nicht zu den zehn Polizeigewerkschaftern passen, die am Samstag vorm SPD-Parteitag protestierten.

Dort hatten die Jusos einen Antrag gestellt, den Einsatz von Pfefferspray auf Demonstrationenzu verbieten. Dies führe zu gesundheitlichen Schäden und schränke die Versammlungsfreiheit ein. Die Protestpolizisten widersprachen: Pfefferspray sei eines der „mildestenZwangsmittel“, werde erst nach Androhung eingesetzt.

Dann gesellten sich die Schnaps-Ausschenker dazu. Als nicht-protestierende Polizisten bemerkten, dass dies wohl eher Gegendemonstranten waren, wurde die Gruppe „wegen offensiver Störung“ kollektiv festgesetzt und Personalien aufgenommen. Als sich eine Protestlerin zu entfernen versuchte, wurde sie bei der Festnahme auch ins Gesicht geschlagen. Die Polizei bestätigte, dass gegen den Beamten ermittelt werde. Aber auch gegen die Frau: Sie habe einen Polizisten getreten, einen zweiten in die Hand gebissen.

Unter den Festgesetzten war auch Anne Meyer, Lichtenberger Juso-Chefin – und Autorin des Pfefferspray-Antrags der SPD. Sie sprach von einer „völlig unnötigen Polizeiaktion“. „Der Protest war doch absolut friedlich.“

Meyer durfte nach ihrer Entlassung zurück auf den Parteitag. Ihr Antrag wurde dort an die SPD-Fraktion überwiesen. Die nächste Polizei-Demo aber scheint gewiss: Knapp votierte der Parteitag für die Wiederabschaffung von Übersichtsaufnahmen, mit denen die Polizei Demonstrationen filmen darf. KO

Es ist der dritte Platz, an dem die Liste kippelt. Gleich zwei SPD-Frauen treten gegen die im Vorfeld gesetzte Mechthild Rawert an. Ülker Radziwill bewirbt sich als Sozialpolitikerin, Ute Finckh-Krämer als Friedensengagierte. Beide unterliegen.

Es ist der Moment, als klar wird, dass der Stößsche Plan durchgeht. Radziwill kritisiert noch, dass "die Art und Weise, wie diese Liste aufgestellt wurde, nicht mit meinem Kreisverband abgesprochen war". Den ihr zugeteilten Listenplatz 9, ohnehin aussichtslos, tritt sie nicht mehr an. Es bleibt der einzige Widerspruch. Alle anderen Plätze werden ohne Gegenkandidaten durchgewunken.

Einig ist sich der Parteitag auch bei seinem Wahlkampf-Schwerpunkt: Mieten, Mieten, Mieten. Für ein soziales Mietrecht im Bund werde sie sich einsetzen, verspricht Spitzenkandidatin Högl. Nur mit der SPD, sagt auch Gastredner Peer Steinbrück, werde es eine Bremse für Mieterhöhungen von 10 Prozent geben. Den Kanzlerkandidaten kürte Landeschef Stöß kurzum zum "Kanzler der Mieten".

Bei so viel Geschlossenheit darf Stöß auch noch Klaus Wowereit loben, der sich entspannt durch die Delegiertenreihen plaudert. Viel habe Berlin dem Regierenden zu verdanken, sagt der SPD-Chef. "Wowereit steht für eine wachsende, pulsierende Metropole." Machtambitionen wischt Stöß vom Tisch: "Trotz allen Unkenrufen arbeiten Partei, Senat und Fraktion als eine SPD eng zusammen."

Zu guter Letzt outet sich auch noch Steinbrück als Berliner. Er habe ja jetzt eine Wohnung im Wedding, erzählt er, im gleichen Haus wie Eva Högl. "Das lässt schon ein paar patriotische Gefühle aufwallen." Steinbrück lobt die Hauptstadt als "kreatives Zentrum", verurteilt das bundesweit gerade so beliebte "Berlin-Bashing". Den Parteitag freuts, es gibt stehenden Applaus. Einigkeit allerorten.

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