Feiern bis zum Freak Out

Im Maria traf sich ein kaputter Mix aus Kreuzberger Nasenflötern und rappenden Handpuppen, bevor Mr. Quintron den Blues des Underground auf der Orgel zerlegte

Die Erwartungen waren hoch. Übertroffen wurden sie alle. Als gerade der Höhepunkt dieser Nacht des Wahnsinns eingeleitet wurde und Mr. Quintron seine Höllenorgel quetschte und der Berliner Spezialkonzert-Veranstalter Ran Huber vorbeistolperte und etwas von „bestes Konzert . . . ever“ lallte, wusste man bereits, dass er Recht hatte.

Das Maria am Ostbahnhof hatte sich wieder einmal selbst übertroffen. Was hier oftmals nervt, das Warten auf den Hauptact, der nach vier mittelmäßigen Combos im Morgengrauen die Bühne betritt, war dieses Mal perfekte Berliner Dramaturgie. Der Abend wurde mit einem Extrem eingeleitet, um virtuos in ein rauschhaftes Monsterspektakel auszuarten. Zuerst musste man das Kreuzberger Nasenflötenorchester ertragen: eine Ansammlung genialer Vollblutdilettanten, die zur Begleitung von Hermann Halbs Schrubbelgitarre achtnasig Gassenhauer rausrotzte. Der Pfeifkrach war ohrenbetäubend und die Vorstellung, sich ausgerechnet beim Kreuzberger Nasenflötenorchester einen Tinitus zu holen, klang nicht gerade verlockend.

Danach kamen Cobra Killer, Berlins Post-Riot-Girl-Attacke aus der schummrigsten Ecke von Digital Hardcore Recordings. Zwei kreischende Frauen, die in ihrer Performance geschickt mit männlichem Begehren und Rollenzuschreibungen spielen. Die eine als Mischung aus Vampirella und Supervixen, die andere als süße Lolita. Dazu Maschinenmusikmüll vom Allerübelsten, und die Verstörung war perfekt.

Und es ging immer weiter, kein Durchatmen – der Schockzustand als Ziel dieser Nacht. Bühne frei für die Puppetmastaz, eine HipHop-Puppen-Combo. Fünf MCs, die mit Physiognomien zwischen Kermit dem Frosch und den fiesesten Gestalten aus Peter Jacksons Feebles ausgestattet sind, rappten sich die Frotteelungen aus dem Leib. Und das zu den röchelnden HipHop-Beats von Patric Catani. An dieser Stelle ein kurzer Beitrag zur aktuellen Debatte zu HipHop aus Berlin: Die beste Reimemacher-Truppe der Hauptstadt ist definitiv eine Horde von Handpuppen.

Gerade als man dachte, dass diese Maria-Veranstaltung etwas inzestuös ausfallen könnte, der extreme Rand der Berliner Subkultur aus dem Dunstkreis von Audio Chocolate sich mit höchster Affinität zu Brutalo-Trash selbst feiern könnte, wurden endlich die Irren aus Übersee aufgefahren. Zuerst Pecket Rocket, ein stumpfes Suicide-artiges Duo, bei dem sich der Sänger mit halb heruntergelassener Hose in Machoposen übte. Und dann enterte Mr. Quintron den Platz vor seiner Orgel und schaltete seinen „Drum Buddy“ ein, den von ihm selbst gebastelten Geräuschemacher, eine Art Spezialtheremin. Und los ging es mit Kaputt-Blues, gegen den Jon Spencer in seinen besten Tagen wie ein Chorknabe gewirkt hätte. Die Menge tobte, Mr. Quintron gurgelte mit dem Mikro zwischen den Backen, riss sich das Hemd vom Körper, Miss Pussycat rasselte mit Rasseln, der totale Freak Out. Inzwischen war es draußen längst schon wieder hell, doch es ging immer noch weiter. Miss Pussycat präsentierte ihr Puppentheater Flossie & The Unicorns und dann war die Orgie vorbei. Zeit für Sexo Y Droga, und die gehörten nicht zum Konzertmenü. Die waren eher eine Art Magenbitter, der Finger im Rachen. Wer bisher dachte, eine Band wie Unsane sei die Spitze des magenzerwühlenden Gitarrenlärms, wurde vor den Kopf gestoßen. Diese Band ist nicht zu toppen, brutaler geht es nicht. ANDREAS HARTMANN