Grönlands Eis kommt unter die VW-Räder

Ohne Umweltanalyse und ganz geheim baut der deutsche Autoriese eine Testanlage im Inlandeis. Auch Mercedes und Chrysler in den Startlöchern. Umweltschützer fordern Umdenken in grönländischer Genehmigungspolitik

KOPENHAGEN taz ■ Autofirmen lieben Länder mit extremem Klima, um ihre Neuentwicklungen zu testen: Volkswagen-Testfahrer sind in der Wüste von Namibia und auf den zugefrorenen Seen im nordschwedischen Lappland unterwegs – und wenn die Pläne Wolfsburgs aufgehen in wenigen Monaten auch auf grönländischem Eis. Seit über zwei Jahren bauen die Wolfsburger dort heimlich einen 135 Kilometer langen Weg von Kangerlussuaq hinein ins Inlandeis ebenso wie Werkstätten, ein Hotel für das Personal und eine 20 Kilometer lange Teststrecke. Eine dreistellige Millionensumme soll VW hier mittlerweile investiert haben. Dies wird entsprechend geschützt: Skifahrern wurden Filme von der Baustelle aus den Kameras genommen.

Und statt mit der neuen Investition Reklame zu machen, verlangt VW von den schwedischen und grönländischen Bauarbeitern absolute Verschwiegenheit. Offenbar will VW Diskussionen um die Natur- und Umweltverträglichkeit des Projekts vermeiden. Denn in Grönland darf man auf etwas verzichten, was in allen anderen EU-Ländern Pflicht ist: eine Umweltanalyse für derartige Baumaßnahmen zu erstellen. Die dänische Tageszeitung Politiken, die am Sonntag die umstrittene geheime VW-Anlage mit einer umfangreichen Reportage ans Licht der Öffentlichkeit rückte, berichtet von wenig detaillierten Genehmigungspapieren, die im Wesentlichen aus der Verpflichtung bestehen, auf dem Inlandeis keine Spuren in Form von Müll, Öl, Schrott, Chemikalien und Abflusswasser zu hinterlassen. „Wir haben kein privates Eigentumsrecht auf Grönland“, erklärt Hans Ulrich Lindahl vom Infrastrukturdirektorat: „Jeder kann einen Antrag stellen, ein bestimmtes Stück Land kostenlos zu gebrauchen.“ Für zunächst 15 Jahre hat VW ein solches Gratisnutzungsrecht bekommen.

Unklar ist, wer das Einhalten der Auflagen überprüfen wird. Grönland hat eine schwach besetzte Verwaltung, es gibt keine Umweltorganisation, der Umweltschutzgedanke gilt als unterentwickelt. So mahnt Dan Hindsgaul von Greenpeace: „Es herrscht die Einstellung, man habe genug Natur. Die Verwaltung schaut vorwiegend auf die Ökonomie. Umweltschutz geht da schnell den Bach runter.“

Auch von der VW-Teststrecke erwartet Grönland vor allem ökonomischen Gewinn. Die Materialflugzeuge müssen Landegebühr zahlen und das VW-Personal will versorgt werden. Rund 10 Millionen Mark jährlich erhofft man sich an Einnahmen für die öffentlichen Kassen. Die meisten Umweltschützer halten die VW-Teststrecke auf dem Inlandeis für nicht allzu problematisch, werden die Auflagen eingehalten. „Doch der 135 Kilometer lange Weg dorthin ist uns ein Dorn im Auge“, sagt Peter Nielsen von der dänischen Natur- und Umweltbehörde. Er geht durch Küstengelände, ein Rentierzuchtgebiet und Vogelbrutstätten. Mittlerweile haben den Weg auch Einheimische und Touristen entdeckt und fahren mit Jeeps bequem zum Rand des Inlandeises hoch. Schon gibt es Pläne, dort Hotels zu bauen. „Das Fehlen einer Umweltdebatte ist eine große Bedrohung für ganz Grönland“, fürchtet Kim Carstensen vom WWF: „Es gibt keinen Korrektor für Verwaltungsinteressen, und bislang sind es nur die Fischer und Robbenfänger, die sich für die Umwelt interessieren. Doch die haben natürlich ganz andere Beweggründe.“

Wolfsburgs grönländisches Autotestparadies hat jedenfalls schon Nachahmerinteresse geweckt. Laut Informationen von Politikern haben Repräsentanten von Mercedes und Chrysler sich dort umgeschaut. Einen Genehmigungsantrag für eine weitere Testanlage soll es bereits geben. REINHARD WOLFF