Solide Mischung mit etwas Tiefsinn

Schwule Filmwoche, kombiniert mit einer historischen Ausstellung in Lüneburg  ■ Von Jakob Michelsen

Schwule Kultur in der „Provinz“ tut sich oft dort am schwersten, wo eine Großstadt in der Nähe ist – schließlich kann man fast ebenso gut das dortige Angebot nutzen. Aber unaufhaltsam verdichtet sich auch im Einzugsbereich der Metropolen eine eigenständige schwule Präsenz, zum Beispiel in Lüneburg.

In diesem Jahr, vom 20. bis 22. Juli, wird dort erstmals der Christopher Street Day gefeiert, und zurzeit präsentiert die Initiative hin und wech – Schwule lieben in Niedersachsen im Glockenhaus die Ausstellung Anders bewegt – 100 Jahre Schwulenbewegung in Deutschland. Der Berliner Sexualwissenschaftler und Historiker Rainer Herrn konzipierte sie zum hundertjährigen Jubiläum der Gründung des Wissenschaftlich-humanitären Komitees 1897 in Berlin, der ersten Homosexuellen-Organisation der Welt. Seitdem tourt die bebilderte Chronik der Emanzipationsbestrebungen homosexueller Männer, die von den Anfängen im 19. Jahrhundert über die Zeit der Weimarer Republik und den Terror des NS-Regimes bis zu den heutigen Debatten um die Homo-Ehe reicht, durch mehrere Städte.

Die Ausstellung bietet eine kompetente Zusammenstellung der wichtigsten Daten und Fakten; wer eine leicht verständliche Einführung ins Thema sucht, wird gut bedient. Der Titel allerdings, der Kontinuität suggeriert, ist anfechtbar, unter anderem, weil die Vokabel „schwul“ erst von den linken Emanzipationsgruppen der 70er Jahre als Selbstbezeichnung verwendet wurde – bis dahin galt sie als Schimpfwort. Die chronikalische Form der Ausstellung ist auch nur bedingt geeignet, tiefer gehende Fragen, etwa nach dem Zusammenhang gleichgeschlechtlicher Identitätsbildungen mit Geschlechterkonzepten, zu thematisieren.

Zum Begleitprogramm gehört eine gut gemischte Filmreihe. Sie beginnt am kommenden Donnerstag mit Beautiful Thing, einer Co-ming-out-Geschichte zweier Jungs aus einem Londoner Hochhaus-Ghetto. Hettie Macdonalds Film von 1996 lief zwar schon in etlichen Programmkinos, kann aber durchaus mehrfach genossen werden. In Greg Berlantis Der Club der gebrochenen Herzen (1999) kämpfen die Mitglieder einer Clique von Schwulen um die 30 in Los Angeles mit der ersten Midlife Crisis; allmählich könnte es eigentlich mal genug sein mit der Inflation von US-Beziehungskomödien.

Schwerer verdaulich, aber auch belangvoller ist Bent. Der Regisseur Sean Mathias verfilmte 1997 das Theaterstück des US-Autors Martin Sherman aus dem Jahre 1979 über zwei Rosa-Winkel-Häftlinge, die unter den Bedingungen des KZ-Terrors versuchen, ihre Liebe und Menschenwürde zu bewahren. Ebenso hochgelobt wie umstritten ist die Tendenz des Films zur Stilisierung ins Zeitlose. Ähnlich operiert Marcel Gislers Der Fögi ist ein Sauhund (1998): Die Vorlage des Schweizers Martin Frank, ein für die Endsiebziger bezeichnender Roman um Rockmusik, Drogen und Strich, wird im Film zu einem Kammerspiel, in dem die explosive Beziehung zwischen dem Musiker Fögi und dem 16-jährigen Beni überzeugend inszeniert ist. Ein ungewöhnlicher Beitrag zum Thema Gender ist Mein Leben in Rosarot (1997). Alain Berliner erzählt vom siebenjährigen Ludovic, der sich entschieden hat, ein Mädchen zu sein, und in seiner quietschrosa Phantasiewelt mehr zu Hause ist als in der verständnislosen, real existierenden Umgebung.

Ausstellung Anders bewegt – 100 Jahre Schwulenbewegung in Deutschland, bis 17. April im Saal des Glockenhauses, Glockenstraße 9, Lübeck; Mo-Mi + Fr 11-17 Uhr, Do 11-20 Uhr, Sa-So 10-15 Uhr

Woche des schwulen Films im SCALA-Kino, Apothekenstraße 17, Lübeck: Beautiful Thing (19. April, 17.30, 20.00 + 22.30 Uhr; 20.-21. und 25. April, 22.30 Uhr; 22. April, 12.00 Uhr); Club der gebrochenen Herzen (20.-21. April, 17.30, 20.00 + 22.30 Uhr); Der Fögi ist ein Sauhund (22.-23. April, 17.30 + 20.00 Uhr); Bent (24. April, 17.30 + 20.00 Uhr); Mein Leben in Rosarot (25. April, 17.30, 20.00 + 22.30 Uhr)