Ägyptens Altertum: Kulturtourismus ohne Touristen

Der Rückgang des Tourismus hat die vielen kulturellen Stätten des Landes am härtesten getroffen. So bleibt zumindest Raum und Ruhe zum Verweilen.

Wandrelief aus Karnak. Bild: imago/Chromorange

Die pharaonische Königsstadt Theben, das heutige Luxor in Oberägypten, verdankt ihre Lage der Himmelsrichtung und dem Nil. Von Ost nach West, das war der Weg des Sonnengottes. Daher war das Ostufer den Lebenden vorbehalten, während Gräber und Totentempel auf dem Westufer lagen. Der Strom trennte die beiden Bereiche; Anbau war nur möglich, so weit die Bewässerungskanäle reichten.

Auch heute gleicht die Grenze zur Wüste einer scharf gezogenen Linie. Dort staubiges Geröll und die kargen Berge, hier, flach wie ein Tisch, die bestellten Felder, die im Osten zwölf bis vierzehn Kilometer ins Land reichen, während es im Westen nur zwei bis vier Kilometer sind.

Hier gedeihen Zuckerrohr, Klee, Weizen und Gemüse. Ab und zu kommt ein Bauer auf seinem Esel mit dicken Büscheln von saftigem Grün vorbei und bringt die Frucht ein.

Für alle: Die Repliken-Ausstellung "Tutanchamun. Sein Grab und die Schätze" ist in Berlin noch bis zum 1. September zu sehen (www.tut-ausstellung.com). Der Katalog bietet auf 130 Seiten eine allgemeinverständliche Einführung in die verschiedenen Aspekte des Themas und kostet 10 Euro.

Für Reisende: Das Buch von Wil Tondok, "Ägypten. Das Niltal von Kairo bis Abu Simbel", bietet eine zeitgeschichtliche Einordnung und Beschreibung der Sehenswürdigkeiten. (Reise Know-How, 480 Seiten, 16,90 Euro)

Für Geschichtsinteressierte: In seinem Werk "Der Aufstieg und Fall des Alten Ägypten" bietet der britische Ägyptologe Toby Wilkinson eine sehr gut lesbare, spannende Darstellung der Epoche, auch die Lebensbedingungen der Bevölkerung. (DVA, mit ausführlichem Anhang 825 Seiten, 29,99 Euro)

Für Spezialisten: Die Website "Theban Mapping Project" (www.thethebanmappingproject.com) widmet sich der Geschichte, Entwicklung und der Konservierung des Tals der Könige und enthält unter anderem eine gute Einführung in das Thema.

Für Literaturliebhaber: Der Band "Luxor/Assuan" aus der Reihe "Orient erlesen" des Wieser-Verlags enthält Reiseberichte und literarische Texte quer durch die Jahrhunderte. (225 Seiten, 14,95 Euro)

Die oben beschriebene Reise wurde ermöglicht von Veranstaltungsservice Semmel Concerts.

Von der Landwirtschaft lebt Luxor immer noch, doch vor allem hängt die Stadt heute am Tropf des Tourismus. Der Rückgang des Tourismus infolge des Sturzes von Präsident Husni Mubarak im Jahr 2011 um durchschnittlich etwa ein Drittel betraf dabei nicht in erster Linie die Resorts am Roten Meer, sondern die historischen Stätten.

Dramatische Zahlen

„Verlierer ist der Kulturtourismus“, sagt Tourismusminister Hisham Zaazou im Februar bei einem Gespräch in Kairo und referiert die dramatischen Zahlen: Die durchschnittliche Belegung der Hotels liege in den Resorts bei 74 Prozent, in Kairo bei 32 und in Luxor gar nur bei 17 Prozent.

Als der Minister kürzlich von einem Anstieg des Tourismus im ersten Quartal dieses Jahres um 14,4 Prozent sprach, erntete er sogleich Widerspruch von Vertretern der Branche. Elhamy al-Zayat, Chef des Verbandes ägyptischer Touristikkammern, wies gegenüber Ahram Online darauf hin, dass die Preise des Gewerbes im Vergleich zu 2010 deutlich niedriger lägen und man daher trotz eines Anstiegs der Besucherzahlen so lange nicht von einer Erholung der Branche sprechen könne, ehe sich dies nicht in vergleichbare Einnahmen umsetze. Unverblümt fügte er hinzu: „Was die aktuellen Besucherzahlen zeigen, ist, dass unsere Strände die einzig aktive, funktionierende Tourismusattraktion sind. Der Kulturtourismus hingegen ist tot.“

Das ist unschwer zu erkennen, wenn man heute den Luxor- und Karnak-Tempel auf dem Ostufer des Nils oder die Grabanlagen auf der gegenüberliegenden Seite besucht. Zwar kommen Besuchergruppen, darunter auch Schulklassen, aber mit dem Gedränge früherer Zeiten ist das bei Weitem nicht zu vergleichen. Für Reisende ist das angenehm, für diejenigen, die davon leben, eine Katastrophe. Vier Millionen Menschen sind in Ägypten für ihr tägliches Auskommen vom Tourismus abhängig. Anders gesagt: Von einem Hotelgast profitieren anteilig bis zu 14 Personen.

Harte Arbeit im Fels

Gäste können heute in Ruhe durch das Tal der Könige spazieren und sie finden ohne Weiteres ein schattiges Plätzchen, um sich auszuruhen und die Umgebung auf sich wirken zu lassen. Helle, bis zu 300 Meter hohe Kalksteinberge erheben sich rechts und links des Weges, jede natürliche Vegetation fehlt in diesem Wadi. Die Szenerie ist ganz in blasse Farben getaucht, über das Ocker der schroffen Hänge wölbt sich das zarte Blau des Himmels. Bunt ist es hier nur in den Gräbern, vorausgesetzt, die Wandbemalung ist noch erhalten.

In der Grabkammer Tutanchamuns, die Howard Carter und sein Team 1922 fast intakt entdeckten, ist das der Fall. Besucher können die einzelnen Stationen von seinem Tod bis zur Auferstehung an den Malereien auf ockergelbem Grund nachvollziehen: Hohe Würdenträger ziehen auf einem Schlitten die Mumie, die unter einem reich verzierten Baldachin liegt. Daran schließt sich die zeremonielle Mundöffnung an, die die Aufnahmefähigkeit des Toten im Jenseits symbolisiert. Es folgt eine Darstellung Tutanchamuns, jetzt ohne Mumienbinden und mit Goldmaske vor dem Auferstehungsgott Osiris. Insgesamt 5.398 Objekte fanden die Forscher dort vor. Der junge König, der mit etwa neun Jahren den Thron bestieg, starb vermutlich zehn Jahre später, 1332 v. d. Z., an den Folgen eines Reitunfalls.

Der Bau und die Ausgestaltungen eines Grabes dauerte vermutlich einige Jahre, schätzungsweise waren 50 bis 60 Arbeiter und Künstler daran beteiligt. Steinhauer schlugen Gänge und Kammern in den Berg und entsorgten den Schutt – eine staubige Knochenarbeit, dann übernahmen andere Arbeiter die architektonische Feinarbeit. Nach dem Verputzen der Wände teilten Handwerker die Mauern in Segmente für die einzelnen Szenen ein und zeichneten mit roter Tinte Figuren und Hieroglyphen vor. Nun machten sich die Künstler und Schreiber ans Werk, die mit schwarzer Tinte Fehler korrigierten. Die einzelnen Figuren wurden entweder als Halbrelief angelegt oder direkt auf den Verputz gemalt. Die Farben, die aus Mineralien gewonnen wurden, entsprachen neben den unbunten Tönen Schwarz und Weiß denen des Farbkreises: Gelb, Rot und Blau, gelegentlich auch Grün.

Arbeit adelt nicht

Die Arbeiter und Künstler lebten mit ihren Familien in dem Dorf Deir al-Medina, das etwa einen Kilometer südlich vom Tal der Könige liegt. Für ihre Tätigkeit wurden sie mit Brot, Bier, getrocknetem Fisch und Gemüse entlohnt. Nach Fertigstellung eines Pharaonengrabs arbeiteten sie für andere königliche Projekte, Gräber für hohe Beamte oder für sich selbst – bis zur Krönung des nächsten Pharao und den Beginn der Arbeiten für dessen prunkvolles Grab.

Deir al-Medina kann man heute noch besichtigen. Da die Ansiedlung mehrere Kilometer vom Nil entfernt liegt, wurde beim Bau der Häuser neben den traditionellen Lehmziegeln auch Stein verwandt; sonst wäre alles längst zu Staub zerfallen. Die Arbeiter waren privilegiert, und im Gegenzug für ihre Stellung bewahrten sie in der Regel Stillschweigen über die Lage der Gräber und ihre Schätze. Doch dieser Pakt zerbrach, als während der Vorbereitungen zum dreißigjährigen Thronjubiläum von Ramses III. (1187–1156) die Versorgung der Nekropolenarbeiter zusammenbrach und der Lohn der Arbeiter wiederholt ausblieb. Das führte zum ersten schriftlich dokumentierten Streik der Weltgeschichte und sollte fatale Folgen haben: den Beginn der Grabräuberei großen Stils.

Das Tal der Könige diente den Pharaonen des Neuen Reichs (1550–1070) als Friedhof. 62 Königsgräber wurden hier entdeckt. In der Totenstadt am Westufern des Nil fanden Archäologen tausende weiterer Gräber, Totentempel, Häuser, Dörfer, Altare, Arbeitsplätze.

Ein repressiver Zentralstaat

Der Totenkult in der pharaonischen Religion bedeutet jedoch nicht, dass die damaligen Ägypter ganz auf das Jenseits orientiert waren. Im Gegenteil: „Die alten Ägypter hatten Freude am Leben, sie waren ein lebenslustiges Volk“, erläutert der emeritierte Wiener Archäologe Professor Dr. Wilfried Seipel, der beim Besichtigen der Gräber nebenbei die Hieroglyphen vorliest. „Sie wollten ihr schönes Leben nach dem Tod fortsetzen.“ Davon zeugen die Schätze, also die Beigaben für das Leben im Jenseits, und die Wandmalereien in den Gräbern. Der tote Pharao sollte nichts missen – von Waffen bis zu Musikinstrumenten, einem Schachspiel oder einen reichlich gedeckten Tisch. Dies zeigt eine durchaus materialistische Sicht vom Leben nach dem Tod.

Ein bisschen einfacher als im Diesseits wollte man es allerdings schon haben. Schwere Arbeiten sollte bitte schön jemand anders erledigen. Kleine Tonfiguren, Uschebti genannt, die zunächst in einer Phase politischer Wirren als Ersatz für eine ordnungsgemäß einbalsamierte Leiche dienten, mutierten zu Dienern im Totenreich, die die unangenehmen Arbeiten übernahmen. Dazu gehörte vor allem die mühevolle Verteilung des fruchtbaren Schlamms nach der jährlichen Nilüberschwemmung auf den Feldern. In einer kargen Umgebung war die Vorstellung des Jenseits der Pharaonen nicht ein Land, in dem Milch und Honig fließt, sondern die einer fruchtbaren, grünen Landschaft – und die musste schließlich bearbeitet werden.

Im Grab Tutanchamuns fanden sich ungewöhnlich viele Uschebtis – 413, davon 365 für jeden Tag des Jahres, 36 Aufseher für jede Dekade und 12 Oberaufseher für die Monate. Auch im Totenreich setzte sich das streng hierarchisch-bürokratische politische System fort.

Dieses System beschreibt der britische Archäologie Toby Wilkinson wie folgt: „Die ersten ägyptischen Könige ersannen und nutzten Herrschaftsinstrumente, die mancherorts ihren Zweck bis heute erfüllen: glanzvolle Äußerungen der Macht und sorgfältig choreografierte Auftritte, die den Herrscher aus der Masse der Untertanen herausheben, Pomp und Spektakel bei gewaltigen Staatsfeiern, die das Band der Treue festigen, und die patriotische Begeisterung, die sich mündlich und künstlerisch ausdrückt.“ Die Kehrseite der Aufrechterhaltung dieser Herrschaft war weniger glanzvoll: politische Propaganda, eine fremdenfeindliche Haltung, die engmaschige Überwachung der Bevölkerung und die brutale Unterdrückung Andersdenkender.

Theben, das politische Zentrum

Das politisch-religiöse Zentrum des Neuen Reiches war Theben am Ostufer des Nils. In den Tempelanlagen residierte die mächtige Priesterschaft und verwaltete das, was man heute ein Wirtschaftsmonopol nennen würde: riesige Ländereien, Viehherden und Gärten, Schiffe, Baustellen und Dutzende von Dörfern. Hier, auf einem Gelände von etwa 42 Fußballfeldern, manifestierte sich die Herrschaftsarchitektur zum Ruhm der Pharaonen, ähnlich wie in den Kathedralen des christlichen Mittelalters, die Macht und Größe Gottes symbolisierten.

Doch die Tempel von Luxor lassen sich nicht mit Zahlen beschreiben, Besucher verlieren sich wie Zwerge im Angesicht der in ihren Dimensionen überwältigenden Säulen und Mauern. Giovanni Belzoni, der zwischen 1815 und 1819 Ägypten bereiste, fasste seinen Eindruck so zusammen: „Mir schien, als ob ich eine Stadt der Giganten beträte, die nach langen Kämpfen alle vernichtet worden waren und die die Überreste ihrer verschiedenen Tempel als einzigen Beweis ihrer vormaligen Existenz zurückgelassen hatten.“ Luxor muss man erlebt haben.

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