Regierungskritischer türkischer Sender: „Leben TV“ soll sterben

„Hayat TV“ hat umfassend über die Gezi-Park-Proteste berichtet. Nun will die türkische Rundfunkbehörde den Sender schließen – nicht zum ersten Mal.

Am Anfang ging's noch um Bäume, jetzt geht es die Regierung Bild: dpa

KÖLN taz | Dem regierungskritischen türkischen Fernsehsender „Hayat TV“ („Leben TV“) droht die Schließung. Hintergrund ist offensichtlich die ausführliche Berichterstattung des Senders über die Istanbuler Gezi-Park-Proteste. Bis Mittwoch will der Oberste Rat für Hörfunk und Fernsehen in der Türkei (RTÜK) entscheiden, ob der Sendebetrieb eingestellt wird.

Ursprünglich wollte die staatliche Aufsichtsbehörde schon an diesem Freitagmittag Hayat TV den Saft abdrehen. Doch nun sollen erst einmal weitere Gespräche mit den Verantwortlichen des Senders geführt werden.

Die angedrohte Schließung von Hayat TV ist der bislang heftigste Zensurversuch der Erdogan-Regierung gegen unliebsame Medien im Zusammenhang mit der Protestbewegung in der Türkei. RTÜK hat bereits Geldstrafen gegen die vier Fernsehsender Halk TV, Ulusal TV, Cem TV und EM TV verhängt, weil sie angeblich gegen Sendeprinzipien verstoßen und „die geistige und moralische Entwicklung junger Menschen gefährdet“ hätten. Mit der gleichen Begründung hatte die Regulierungsbehörde für den privaten Rundfunk Ermittlungen gegen Hayat TV aufgenommen - unter Berufung auf vermeintliche „Beschwerden aus der Bevölkerung aufgrund seiner Sendungen zum Thema Gezi-Park“.

Nun jedoch begründet die Behörde ihre Verfügung für das Aus von Hayat TV formal mit einer fehlenden nationalen Sendelizenz – was allerdings bei einem Fernsehkanal, der schon seit sechs Jahren auf Sendung ist, mehr als vorgeschoben wirkt. Von einer „willkürlichen Entscheidung“, spricht Mustafa Kara, der Programmkoordinator von Hayat TV. „Die Behauptung, wir würden illegal senden, entbehrt jeder Grundlage“, sagte er. „Man versucht, uns mit unrechtmäßigen Mitteln zum Schweigen zu bringen.“ Die AKP-Regierung wolle das Recht der Bevölkerung auf Zugang zu Informationen mithilfe von Unterdrückung und Zensur aushebeln.

Am Donnerstag forderte die Behörde den Satellitenbetreiber Türksat schriftlich auf, Hayat TV am Freitagmittag abzuschalten. Kurz vor Ablauf des Ultimatums wurde die Verfügung jedoch vorläufig zurückgenommen. Beobachter werten das als eine Reaktion auf Erdogans Befriedungsversuche in der Nacht zum Donnerstag. Bis zum kommenden Mittwoch wollen RTÜK-Vertreter nun Gespräche mit Hayat TV führen und dann erneut entscheiden. Das Ergebnis dürfte von dem weiteren Verlauf der Protestbewegung abhängen.

Seit März 2007 ist Hayat TV mit einer internationalen Sendelizenz on Air. Gemeinsam mit der Tageszeitung Evrensel hat der werbefinanzierte Satellitenkanal seine Zentrale im Istanbuler Stadtteil Kocamustafapaşa. Daneben gibt es Redaktionsbüros in Ankara, Izmir, Kocaeli, Adana und Diyarbakir. Mit dem in Köln ansässigen Deutschland-Korrespondenten von Hayat TV und Evrensel, Yücel Özdemir, kooperiert die taz beim Münchner NSU-Prozess.

„Bewusst gelenkte Medienpolitik“

Der Nachrichtensender versuche, Gegenöffentlichkeit herzustellen, sagte Mehmet Özer, Chefkorrespondent von Hayat TV. „Wir klären über die Situation und die bewusst gelenkte Medienpolitik in der Türkei auf“, so Özer. Die Regierung und die ihr nahen Medien stellten die aktuellen Ereignisse nicht authentisch dar. „Es werden Meldungen verdreht oder falsche Behauptungen aufgestellt, zum Beispiel dass die Proteste vom Ausland oder von Agenten gesteuert werden.“

Demgegenüber versteht sich Hayat TV als Sprachrohr der Protestbewegung. Im Juli 2008 hatte die RTÜK-Behörde ein erstes Mal die Schließung des Senders verfügt, um dessen kritische Berichterstattung zu unterbinden. Aber sie musste ihre Entscheidung aufgrund landesweiter und internationaler Proteste zurücknehmen.

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in Ver.di forderte am Freitag die türkische Regierung auf, den Sendebetrieb von Hayat TV nicht weiter zu behindern. „Gerade in Zeiten politischer Auseinandersetzungen braucht es faire, freie und vielseitige Berichterstattung“, sagte der dju-Vorsitzende Ulrich Janßen.

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