„Wir waren sehr naiv“

Wolfgang Schwiedrzik war 1969 zusammen mit Joschka Fischer auf einer Palästinenser-Konferenz in Algier. Nun fühlt er sich vom „Spiegel“ als Belastungszeuge gegen den Minister „instrumentalisiert“

Interview: LUKAS WALLRAFF

taz: Joschka Fischer ist erneut in Erklärungsnöte geraten, weil er 1969 an einem Kongress in Algier teilgenommen hat. Sie waren damals dabei. Warum?

Wolfgang Schwiedrzik: Das war eine internationale Konferenz der Fatah, die die weltweite Unterstützung für die Sache der Palästinenser vorantreiben sollte. Deshalb wurden auch Vertreter des Sozialistischen Studentenbundes (SDS) eingeladen.

Welche Rolle spielte Fischer auf dieser Konferenz?

Bis vor wenigen Tagen war mir nicht klar, dass Fischer überhaupt an der Konferenz teilgenommen hat. Ich erinnerte mich nur an einen aufgeweckten jungen Mann, an den ich mit gewisser Sympathie zurückdenke. Dass es Fischer war, konnte ich erst anhand der vom Spiegel vorgelegten Fotos rekonstruieren.

Ist dieser junge Mann besonders aufgefallen?

Er saß wie alle deutschen Teilnehmer in der ersten Reihe. Keiner von uns hat eine Rede gehalten. Interessanterweise hat mir der Spiegel ein Foto vorgelegt, auf dem 90 Prozent der Teilnehmer die Faust heben, wir aber deutlich in der ersten Reihe stehen und nicht mitmachen. Bis auf die Delegierte Inge Presser ...

Die jetzt behauptet, Fischer sei von Anfang bis Ende der Konferenz dabei gewesen ...

Es ist doch irrelevant, ob er eine oder vier Stunden da war.

Es geht darum, ob Joschka Fischer noch dabei war, als eine Resolution verabschiedet wurde.

Auch das ist unerheblich. Er hat an der Konferenz teilgenommen. Es gab auch vorher und nachher Resolutionen, die hatten immer ähnliche Ziele ...

... die letztlich auf die Zerstörung Israels hinausliefen?

Ja, was soll man dazu sagen? Das ist von uns überhaupt nicht groß thematisiert worden. Wir wussten, dass die Palästinenser diese Ziele verfolgten. Aber wir waren da sehr naiv.

Im Spiegel werden Sie zitiert: „Wir waren radikal – und unverantwortlich.“

Der Spiegel hat aus einem Text von mir und einem Telefoninterview einseitig Äußerungen herausgezogen, die ihm passten. Dass ich Fischer gar nicht kannte, wird zum Beispiel nicht erwähnt. Der Spiegel-Interviewer sagte mir, es ginge ihm um Fakten, um einer zu erwartenden Kampagne der Springer-Presse gegen Fischer entgegenzutreten. Ich sehe nun mit Befremden, dass Teile meiner Äußerungen instrumentalisiert werden, um Fischer zu belasten.

Wie beurteilen Sie Fischers eigene Verteidigungsstrategie?

Ich nehme für mich selbst in Anspruch, dass ich nach dreißig Jahren Schwierigkeiten mit der Erinnerung habe. Das billige ich auch Joschka Fischer zu. Aber wer sich selbst auf einen so hohen Sockel stellt wie Fischer, muss sich nicht wundern, wenn Leute kommen und Freude daran haben, ihn zu stürzen.

CSU-Chef Stoiber sagt, wenn Fischer für die Zerstörung Israels war, muss er zurücktreten.

Das halte ich für einen Witz. Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre haben wir Positionen bezogen, die man heute als einseitig betrachtet. Man muss das alles historisch sehen. Wenn ich für mich heute beanspruche, eine differenziertere Position in der Palästina-Frage zu beziehen, dann billige ich das auch Fischer zu. In Spiegel Online wurde ich gestern als alter Kampfgefährte von Fischer dargestellt, der auf den alten Positionen beharrt. Davon kann überhaupt keine Rede sein.