Tanz der Etiketten

Im Kongo schlug einst das musikalische Herz Afrikas. Doch Krieg und Exil haben Tribut gefordert. Heute erinnern nostalgische Neuveröffentlichungen wieder an die Glanzzeit des Rumba Congolaise

von JAY RUTLEDGE

Als Laurent Kabila vor vier Jahren in Kinshasa die Macht übernahm, ernannte er, neben anderen, auch die Sängerin und Tänzerin Tshala Muana und den Musiker Tabu Ley Rochereau, der einst als erster Musiker des Kongos im prestigeträchtigen Olympia in Paris auftrat, zu Parlamentsabgeordneten und verhalf ihnen so zu einem geregelten Einkommen. Nichts Neues in Zaire, das heute Demokratische Republik Kongo heißt und wo solche Gefälligkeitsgesten Tradition haben. Doch das Land ist ausgeblutet. Und auch die kongolesische Musik, die einst ganz Afrika in Atem gehalten hat, liegt am Boden: Ihre Stars leben heute in Brüssel oder Paris und produzieren seit Jahren, mit den immer gleichen Studiomusikern, kommerzielle Meterware von der Stange. Im Kongo selbst können Musiker ihren Beruf kaum mehr ausüben. „Ich würde mich wundern“, meint der Gitarrist Bopol Mansiamina, „wenn man heutzutage einen Satz Saiten in Zaire auftreiben könnte.“ An der Misere dürfte wenig ändern, dass nun Kabilas Sohn von seinem ermordeten Vater das Zepter übernommen hat.

Dabei besaß „Leo la Belle“, das einstige Leopoldville und heutige Kinshasa, einmal das musikalisch aufregendste Nachtleben ganz Afrikas. Die Musiker lebten gut damals. „Während der Präsident noch mit dem Fahrrad fuhr“, erzählte der Gitarrist Dizzy Mandjeku einmal, „hatten die Wendos und Bowanes schon ihren Cadillac.“ Eine Mode jagt damals die nächste. Die jungen Leute gründen Modeclubs mit Namen wie Super Playboys, Supreme Surfs oder Universe, man lief in Cowboyhüten durch die Straßen, und Westernfilme waren der Hit.

Cité Joyeuse

Über 150 Ethnien lebten damals in der „Cité Joyeuse“, dazu kamen Franzosen und griechische Händler. Die belgischen Kolonialherren praktizierten eine Apartheid mit strikt nach Ethnien getrennten Wohnvierteln und öffentlichen Plätzen. Anders die französische Kolonialverwaltung auf der gegenüberliegenden Seite des Kongo-Flusses, in Brazzaville: Sie war zwar liberaler, versuchte aber, die Afrikaner mit französischer Kultur zu „zivilisieren“. Paradoxerweise ließ gerade die rassistische Abgrenzung der Belgier den Kongolesen den Raum, in den „Quartiers Indigenes“ von Leopoldville ihre eigene Popmusik zu entwickeln: die Rumba Congolaise.

Das Musikbusiness war zu dieser Zeit hauptsächlich in der Hand griechischer Händler. Offen und immer am Puls der Zeit, versorgten sie die Stadtbevölkerung per Schellacks mit den neuesten Tanzstilen: Polka Pikés, Rumbas, Beguines und dann ChaChaChas. Die Plattenfirmen verfügten über eigene Hausbands, die sich um herausragende Instrumentalisten gruppierten. 1955 bekam etwa der legendäre Gitarrist Franco seine erste Chance beim Label Loningisa, die wahrscheinlich bedeutendste Band des Kongos aus der Taufe zu heben: OK Jazz. Und auch sein großer Gegenspieler Joseph Kabasele gründete seine nicht weniger gefeierte Kapelle African Jazz beim Label Opika.

Mit seinem „Independance Cha Cha“ schrieb Joseph Kabaseles 1960 den Soundtrack zur Unabhängigkeit nicht nur des Kongos, sondern ganz Afrikas. Der Text war ein Fanal, aber auch die Aufnahmequalität übertraf alles bisher Dagewesene: Die Verwendung von Echo-Effekten durch den Gitarristen Dr. Nicos faszinierte die Kongolesen. Kabasele reiste 1960 auch zu den Unabhängigkeitsverhandlungen nach Brüssel und entdeckte dort, dass sich der Chef seiner Plattenfirma für alle seine Songs als Komponist hatte eintragen lassen und kräftig Tantiemen kassiert hatte.

Afrika um jeden Preis

Mitten in den politischen Wirren der Sechzigerjahre riss dann General Mobutu die Macht im vom Zerfall bedrohten Kongo an sich, benannte Leopoldville in Kinshasa um und startete 1972 seine „Authenticité“-Kampagne. „Wir müssen“, predigte Mobutu im Radio, „um jeden Preis unsere Kultur reafrikanisieren.“ Inspiriert von einem Besuch bei Mao Tse-tung, verbot er kurzerhand westliche Anzüge und Krawatten als Ausdruck kolonialer Bürokratie und entwarf ein nationales Kostüm, „abacost“ genannt (von à bas les costumes). 1974 holte er sich für knapp 10 Millionen US-Dollar den Kampf Muhammad Ali gegen George Foreman ins Land und setzte Zaire damit auf die internationale Landkarte. Kurz darauf beginnt seine Zairisierungs-Kampagne, bei der Mobuto sämtliche ausländische Firmen enteignen lässt und unter seinen Getreuen verteilt. Der Gitarrist Franco wird aufgrund seiner guten Beziehungen zu Mobutu zum Präsidenten der Musikergewerkschaft Umiza und zum Chef des einzigen Plattenpresswerks Zaires und benutzt seine Macht zu eigenen Zwecken: Er genehmigt Tourneen anderer Gruppen nicht, verbannt Lieder aus dem Radio und behindert jene Orchester, die seiner Band OK Jazz Konkurrenz machen.

Bis Anfang der 70er die „Nouvelle Generation“ auf den Plan trat. Während der elegante Kabasele fürs reiche Establishment spielte und der weniger gebildete Franco als Stimme der einfachen Leute Kinshasas gefeiert wurde, definierten junge Bands die Rumba Congolaise neu und begeisterten mit ihrem wilden, an westlichen Rock angelehnten Line-up. Der Bläsersatz flog raus, stattdessen standen jetzt rohe Gitarren im Vordergrund, unterstützt von Schlagzeug und Elektrobass. Statt der Paartänze durfte jetzt auch allein getanzt werden, statt Anzügen und Krawatten trugen die Musiker Jeans und T-Shirts, und statt steifer Nachtclubs gab es jetzt auch Bars. Und neue Moden: Legendär wurde Papa Wemba, der als exzentrischer König der Modebewegung La Sape, der „Societé d’Ambianceurs des Personnes Elegantes“, Furore machte. Auf der Bühne zog der „pape de la sape“ schon mal seine Schuhe aus und balancierte sie auf dem Kopf, damit die anwesenden Fernsehkameras das Markenetikett seiner teuren Weston-Schuhe sahen. „La Griffe“ nennt man das bis heute; den Tanz der Etiketten. In einer seiner La-Sape-Hymnen singt Wemba: „Matebu, am Tag unserer Hochzeit, da werde ich Giorgio Armani, Daniel Hechter und J. M. Weston tragen.“

Botschafter der Mode

Doch es ist ein Tanz auf der Klippe. Missmanagement und Nepotismus drücken die Wirtschaft Zaires zu Boden. Auch löst die Kassette als neues Medium das Vinyl ab. Mit ihr beginnt in Afrika das Zeitalter der Raubkopien. Musiker müssen ihren Lebensunterhalt von nun an im Wesentlichen mit Auftritten bestreiten, und der Exodus beginnt. Eine der Schlüsselfiguren dabei ist der Sänger Sam Mangwana, „le pigeon voyageur“, der 1977 in Abidjan die African All Stars gründet. Innerhalb eines Jahres nehmen sie acht Alben auf und landen zig Hits. Viele folgen seinem Vorbild und suchen ihr Glück im Ausland. Franco und Rochereau, die beiden großen Rivalen, ziehen Mitte der 80er mitsamt Orchester nach Paris, als sie Schwierigkeiten mit Mobutu bekommen. In Paris treten die beiden Konkurrenten erstmals zusammen auf. Doch als Franco 1989 stirbt, ist die Zeit der großen Orchester endgültig zu Ende.

Danach beginnen, wie Gary Stewart in seinem Grundlagenwerk „Rumba on the River“ schreibt, die „grauen Neunziger“. In Paris entstand eine von Studiomusikern beherrschte, glatte Partymusik, die Soukous genannt wurde. Schon in den 80ern hatte sich die Szene aufgesplittert. Durch ihre Präsenz in Europa beginnen die Bands aber auch erstmals außerhalb Afrikas Gehör zu finden; Ende der 80er wittern einige europäische Labels im Soukous sogar einen Nachfolger für den Reggae. Doch Soukous-Stars wie Kanda Bongo Man schaffen letztlich nicht den Sprung in den Pop-Mainstream, ja nicht einmal zu richtigem Weltmusik-Ruhm.

„Die kongolesische Musik von heute hat keine Seele mehr“, urteilt der Gitarrist und Komponist Bopol Mansiamina über die Gründe für dieses Scheitern. „Ich hatte noch die Chance, mit großen Musikern wie Papa Noel, Dr. Nico, Tabu Ley Rochereau und Sam Mangwana zu arbeiten – Leute, die ihr Metier beherrschten. Als ich 1969 anfing, da haben wir mit Liebe Musik gemacht. Heute höre ich mir die Sachen, die in Paris gemacht werden, kaum mehr an; die Musik wird schnell und vor allem billig am Computer zusammengebastelt. Alles, was sie machen, ist, in ihren Songs irgendwelche Namen zu zitieren, egal von wem. Wenn du ihnen Geld gibst, dann singen sie auch über dich.“

So lässt sich auch erklären, warum eine legendäre Figur wie Wendo, der heute in Paris lebt und seine goldenen Tage auch in finanzieller Hinsicht längst hinter sich gelassen hat, etwa ein Lied für Laurent Kabila schrieb. Er wollte es eigentlich seiner letzten CD „Marie Louise“ beifügen, doch seine französische Plattenfirma fand die Idee nicht so gut. „Kabila hat mir ein Haus und einen Pajero Jeep versprochen“, gesteht Wendo, „aber bis heute habe ich nichts davon gesehen.“

Dafür gelang dem einstigen Star des Rumba Congolaise mit „Marie Louise“ ein kleines Comeback, wie auch seiner Kollegin Antoine Mundala mit ihrem Album „Kessé Kessé“. Die Wiederkehr der alten Helden hat auch zu einem wieder aufgeflammten Interesse an den alten Hits geführt. So hat die Plattenfirma „Sterns“ in London kürzlich mit den Alben „Bel Ami“ vom Gitarristen Papa Noel und „Sam Mangwana sings Dino Vangu“ gleich zwei CDs herausgebracht, auf denen die Blütezeit der Rumba Congolaise beschworen wird. Und auch die Archive werden aufs Neue durchforstet. Das belgische Crammed Disc-Label brachte unlängst mit „Roots of Rumba 1–4“ heraus, was von Loningisas Archiven noch zu finden war. Und die Frankfurter Plattenfirma Popular African Music veröffentlichte in Zusammenarbeit mit dem Institut für Ethnologie und Afrikastudien in Mainz mit „Ngoma – the early years“ und „Souvenirs de l’independance“ vor wenigen Jahren einige der legendären Aufnahmen Ngomas; eine weitere Compilation mit Schellacks ist in Planung. Der Institutsleiter Wolfgang Bender kehrte erst kürzlich von einer Reise nach Griechenland zurück, wo er versucht hatte, die letzten noch lebenden Plattenbosse, die einst im Kongo ansässig waren, zu interviewen. Allein drei von ihnen sind in den letzten zwei Jahren gestorben.

Die Nostalgie für die Klassiker des Rumba Congolaise beschränkt sich aber nicht nur auf die Liebhaber afrikanischer Klänge in Europa. Als der belgische Filmemacher Mirko Popovitch vor ein paar Jahren seinen Film „Tango Ya Ba Wendo“, eine Dokumentation über das Leben Wendos, in Kinshasa präsentierte, erntete er großen Zuspruch: „Die Leute kamen nach der Aufführung immer wieder ganz begeistert zu mir“, erzählt Mirko, „und bedankten sich für den Film. ‚Wir fühlen uns sehr einsam und leer‘, sagten sie zu mir, ‚unser Land ist kaputt, viele haben sich ins Exil abgesetzt. Mit Wendo kehrt eine Zeit wieder zurück, in der man stolz war, aus dem Kongo zu kommen.‘“

Mit der Musik scheint heute die wichtigste Quelle des kongolesischen Selbstbewusstseins versiegt. „Trotz all der Diamanten, Kupfer und Öl“, schreibt Gary Stewart in seinem Buches, „wird Freude im Kongo immer noch in den Noten eines Songs gemessen.“

Wendo: „Marie Louise“ und Antoine Mundala: „Kessé Kessé“ (Label Bleu); Papa Noel: „Bel Ami“ und Sam Mangwana: Sings Dino Vangu (Stern’s)