Die alte Tante wird modern

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat es endlich geschaft, eine Onlineausgabe ins Web zu stellen. Die Redaktion hält sich an die Rechtschreibreform und will das Leben ihrer Leser besser organisieren

von JUTTA HEESS

„FAZ.NET ist Deutschlands erste SMART SITE.“ Große Worte in einem kurzen Satz, online-buchstapelt die brave Frankfurter Allgemeine Zeitung ungewohnt hoch. „SMART“, belehrt das Wörterbuch, heißt „hübsch und dabei gewandt; liebenswürdig und dabei geschickt und durchtrieben“.

Am Anfang jedoch standen eine dicke Verspätung und technische Probleme. Unter scharfer Beobachtung der Konkurrenz war es vergangene Woche endlich soweit. Das FAZ.NET ging ins Web, und kein Blatt, keine Internetseite, die nicht über den verschleppten Fehlstart berichtete. Dabei wurde die Spätzündung von Seiten des Verlages immer damit begründet, man wolle die Fehler der anderen Zeitungen vermeiden. Fast ein Jahr lang geplant, rund 20 Millionen Mark investiert, der Start vom November in den Dezember und schließlich ins Jahr 2001 verschoben. Und der Rest der Medienwelt auf die Folter gespannt.

Nicht weiter verwunderlich also, dass sich am 8. Januar alle unter www.faz.net trafen und dafür sorgten, dass die Server zusammenkrachten. Drei Tage lang gab es daraufhin kein Lebenszeichen mehr aus Frankfurt am Main. Nur einige entschuldigende Worte im Mutterblatt und auf der Startseite den Satz: „Sehr geehrter Nutzer, leider können Sie FAZ.NET derzeit nicht erreichen. Wir bedauern dies, auch wenn wir uns über das große Interesse der Öffentlichkeit über unseren neuen Online-Auftritt freuen.“ Pretty smart indeed.

Doch seit Freitag surft alles wie geschmiert, und die hübsche und gewandte Seite kann nach der Aufregung um das Wann, Wie und Ob überhaupt auf das Wesentliche geprüft werden – nämlich auf die Inhalte. Um sie zu finden, muss man sich am Layout vorbeischleichen. Mit dem ersten Klick landet man unter einer dezent lilablauen Kopfleiste und ist bemüht, sich zwischen minimalistischen Buchstaben, großen Bildern, mehrfarbigen Überschriften und Kästchen in einem mal zwei-, mal dreispaltigem Seitenaufbau zu orientieren. Erst wenn sich das Auge an die Dunkelheit angepasst hat, findet sich der „junge kluge Kopf“ langsam zurecht. Für ihn nämlich ist die SMART SITE gemacht, sie soll ihn „hocheffizient in der persönlichen Lebensführung“ unterstützen. Das lernen verirrte User in der Rubrik „Über uns“, die glücklicherweise eine kurze Einführung in die Verhaltensregeln des FAZ.NET gibt – und zunächst beim Navigieren hilft.

Die Hilfe zur Lebensführung gliedert sich danach in fünf Hauptressorts, die jeweils noch in diverse Unterrubriken münden: Wirtschaft, Politik, Sport und Kultur sowie „Audio“, die Liveübertragung des Programms des FAZ-Business-Radios aus Berlin. Unter dem Titel „Uptoday“ die aktuellen Nachrichten, Hintergrundberichte, Börsenkurse und meteorologischen Aussichten gebündelt. Hier unterscheidet sich FAZ.NET tatsächlich von den Onlineauftritten anderer Zeitungen und Fernsehsender: Zwar gibt es auch hier viele umformulierte Agenturmeldungen, unterschrieben mit der im Internetjournalismus gängigen Autorenzeile „mit Material von dpa“, doch im Gegensatz zur Konkurrenz überrascht die Digi-FAZ mit längeren Exklusivinterviews – zum Beispiel mit dem Leiter des ZKM in Karlsruhe, Peter Weibel, oder dem BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel. Zudem verhübscht die Onlineredaktion ihr Angebot mit den vier ganz schön hip klingenden „Special-Interest-Bereichen“: „Investor“, „Book“, „Travel“ und „Active“.

Nur für Papierleser?

Entschiedene Netzbürger aber, die gar nicht daran denken, heute noch eine gedruckte Zeitung zu abonnieren, stehen schon hier vor einer ersten Hürde. Der Klick auf den „Fitness-Coach“, der Tipps gegen Haltungsschäden infolge von Schreibtischarbeit verspricht, löst eine barsche Dialogbox aus: „Diesen Link können Sie nur benutzen, wenn Sie am FAZ.NET angemeldet sind. Möchten Sie sich jetzt anmelden?“

Ja, gerne, aber dafür wird eine gültige Kundenummer verlangt, die mit der Abo-Lieferadresse für die Druckausgabe aus Frankfurt übereinstimmen muss. Erst mit diesem Nachweis des Papierkonsums kommt man in den vollen Genuss des FAZ-Onlinedienstes – in dieser Praxis der Kundenverjagung haben die Frankfurter wirklich die Nase vorn. Es ist eben ein „Angebot, das in dieser Form im World Wide Web einmalig ist“, sagte bereits der Chefredakteur Frank Gaube, allerdings meinte er damit wohl eher die Inhalte, die von den rund 30 Redakteuren und ebenso vielen Technikern ins Netz gehievt werden.

Aber als „Member“ darf man nicht bloß diverse Sonderrubriken einsehen. Man kann die viel gepriesenen und vielfältigen Serviceleistungen der Website tatsächlich nutzen. Zum Beispiel eine E-Mail-Adresse („mein-name@myfaz.de“), eine personalisierte Startseite, Chats, Foren und weitere „viele tolle Funktionen“. Und man hat endlich die Erlaubnis, in den aktuellen digitalisierten Artikeln der gedruckten FAZ sowie ihrer englischsprachigen Ausgabe zu stöbern, die sich unter dem Frakturschriftzug am Seitenkopf verbergen.

Mut zum langen Text

Dem abonnierten User öffnet sich damit in der Tat ein in seinem Umfang einmaliges Onlineangebot. Allerdings hat der Verlag vor die gänzliche Preisgabe seiner Schätze ein kostenpflichtiges Archiv gesetzt – 3 Mark kostet das Einsehen eines einzigen Artikels an Werktagen, nach 20 Uhr und an Wochenenden immer noch 1 Mark. Was in diesem Fall vielleicht eher clever als smart ist. Denn fast die gesamte Konkurrenz ist so töricht und lässt sich unentgeltlich in die Archive schauen.

Die Macher von FAZ.Net zumindest wollen mehr bieten als lediglich Informationen – und vor allem mehr als schnell konsumierbare und oberflächliche Informationen. Sie streben eine enge Bindung der User an ihr Produkt an. Edmund Keferstein, stellvertretender Geschäftsführer der FAZ, erklärt, das Angebot folge den drei C: „Content, Community und Commerce“. Ob sich vor allem das letzte hohe C mit unabhängigem Journalismus verträgt? Neben der altmodischen Bannerwerbung haben die FAZ-Onliner eine in Deutschland bislang unbekannte Werbeform eingeführt. Auf sogenannten Micro-Sites können Kooperationspartner ihre eigenen Inhalte anbieten. So beherrscht beispielsweise die Deutsche Bank mit einer Private-Banking-Miniseite die Investorrubrik. Im Literaturressort wirbt Buch Habel – an dem der FAZ-Verlag beteiligt ist – mit einer „Micro-Site“ und wird zudem neben jeder Buchrezension mit einem Link beglückt: „Dieses Buch können Sie einfach und versandkostenfrei bei unserem Partner bestellen.“

So symbiotisch das Verhältnis zu den Förderern ist, so kühl ist es zum Mutterblatt. Viel mehr als die drei Buchstaben und den überdachenden FAZ-Verlag haben die beiden nicht gemeinsam – FAZ.NET bildet zusammen mit dem FAZ-Business-Radio die eigenständige F.A.Z. Electronic Media GmbH.

Die gedruckte FAZ wiederum beschränkte sich auf die Meldung, dass die Internetseite existiere, und die darauf folgende Warnung, dass nichts daran funktioniere. Leise Schadenfreude war nicht ganz zu überhören, und seither schweigt die FAZ-Redaktion beharrlich über das neumodische Kind von nebenan, das denn auch gleich ein bisschen aufmüpfig daherkommt: Während sich die FAZ eisern der neuen Rechtschreibung verweigert, texten die Onlineredakteure munter reformiert – ein Stilbruch, der durch die unabhängige Entwicklung von redaktionellen Inhalten noch größer werden wird.

Aber eigentlich ist es ein charmanter Zug, dass die Online-FAZ kein bloßer Abklatsch des deutschen Überblattes sein will. Trotz aller Eingangshürden schielt sie zumindest auf ein neues Publikum, das seine Köpfe nicht mehr hinter Papier verstecken, sondern sich selbst aktiv informieren will und „noch besser organisieren kann“. Zumindest vermutet das die Onlineredaktion, und vielleicht steckt dahinter ja wirklich mehr als ein organisiertes Versprechen.

pechlucky@gmx.de