Homotaz Freundschaft: „Hab nichts gegen Schwule, aber...“

In Kroatien zeigen sich Schwule selten öffentlich als Paar – zu gefährlich. Kurz vor dem EU-Beitritt hat die Kirche die Hetze gegen Homosexuelle verschärft.

In Kroatien für Minderheiten eintreten? Nur für wenige selbstverständlich. Bild: taz

ZAGREB taz | Die erste warme Mai-Nacht in Zagreb, alle sind draußen. Etwas abseits des Zentrums, in einem Biergarten, der mit seiner sperrmüllartigen Einrichtung und dem bunten Publikum auch am Spreeufer in Berlin liegen könnte, sitzt eine Gruppe junger Anwaltskollegen. Die Männer buhlen um die Aufmerksamkeit der Frauen. Sie behaupten, besser als die Ehefrau zu Hause zu kochen, gründlicher zu putzen und sogar die Wäsche selbst zu waschen. „Ich wasch alles immer 40 Grad. Nur Schwule drehen die Hemden um und gucken nach, wie viel Grad das Ding verträgt.“

Ein blöder Scherz? Die selbstverständliche Antwort: „Ich hab nichts gegen Schwule." Und nach einer Pause: „Aber die müssen ja nicht in aller Öffentlichkeit Händchen halten“.

In den Straßen der kroatischen Hauptstadt sind gleichgeschlechtliche Paare, die Händchen halten, nirgens zu entdecken. Auch nicht auf der kleinen Demo für die Homo-Ehe durch die Innenstadt ein paar Tage später.

Diesen und viele weitere Texte lesen Sie in der Homotaz vom 4. Juli 2013 mit 16 Seiten über Freundschaft. Interviews, Porträts, persönliche Geschichten und Analysen aus der ganzen Welt. Am Donnerstag am Kiosk oder direkt als epaper.

„Das ist das Paradebeispiel für diese lächerliche Scheinheiligkeit in diesem Land“, sagt Ana Benacic. „Niemand von denen empfindet es als Zumutung, dass die Kirche ihre Prozessionen in aller Öffentlichkeit durchführt. Sollen die doch ihre Kreuze in ihren eigenen vier Wänden lassen“, schimpft sie. Ana ist Journalistin, arbeitet für eines der wenigen Online-Portale Kroatiens, das nicht einem der beiden Medienmogule des Landes gehört und wurde kürzlich von der Kroatischen Journalistenvereinigung für den besten Internetjournalismus 2012 ausgezeichnet.

In ihrer ersten Zagreber WG vor knapp 10 Jahren lebte sie mit einem schwulen Pärchen. Bedrückt erzählt die sonst sehr selbstbewusste 29-Jährige, dass ihre Mitbewohner sich nie auf der Straße als Pärchen gezeigt hätten. Einer der beiden wurde zwei Mal zusammengeschlagen. Ein Mal, vor einem Club, war sie dabei. „Am Tag, nachdem er sein Studium beendet hat, ist er abgehauen. Nach Berlin. Dort ist er endlich richtig glücklich, wenn auch illegal.“

700.000 gegen die Homo-Ehe

Die Mitbewohner seien auch nie auf der „Pride“ gewesen, die seit 2002 immerhin jährlich in Zagreb stattfindet. „Sie hatten nichts dagegen. Aber sie wollten, dass ihr Verhältnis kein Thema ist, das es normal ist.“ Ana selbst war in diesen Jahren auch nicht auf der Pride. „Ich war keine Aktivistin. Für mich war es ganz normal, dass um mich herum Homosexuelle sind." Erst 2006 war sie zum ersten Mal auf der „Pride", um darüber zu berichten.

Auch vor ein paar Wochen war sie als Journalistin auf der Demo der LGBT-Aktivisten für die Homo-Ehe. Anlass: die Initiative „Im Namen der Familie“, die innerhalb von zwei Wochen 700.000 Unterschriften für ein Referendum gegen die Homo-Ehe sammelte. Einige Tage vorher hatte das Verfassungsgericht der Klage gegen den Sexualkundeunterricht Recht gegeben und ihn damit de facto abgeschafft.

Es war zwar klimatisch eher ein kälterer Mai, aber einer der politisch heißesten der vergangenen Jahre: Kurz vor dem EU-Beitritt des Landes am 1. Juli erlebt das Land einen Frühling der Reaktionäre, ganz so als ob noch schnell ein paar Wertepfeiler einbetoniert werden müssen, bevor die Tür zur großen Hure Babylon aufgemacht wird. Hinter diesen propagandistischen Aktivitäten steht vor allem eine Institution: die katholische Kirche. Die spricht von „Krankheit“ und „Gefahr für das kroatische Volk“, wenn sie Homosexalität meint. Die Medien sprechen von „Krise der Verfassung“, von „Alle gegen alle“, von „konservativer Revolution“.

„Ich spreche von Hetze", sagt Ana. „Bis 14 war ich radikale Katholikin. Eines Tages wurde mir schlagartig klar, wie heuchlerisch die Moral der Kirche ist. Ein Pfarrer sagte mir, dass vor Gott nicht alle Menschen gleich seien“, erzählt sie. Ana wuchs in einer Kleinstadt in Slawonien, im nordöstlich Teil Kroatiens, auf. Ihre Heimatstadt wird seit über 25 Jahren rechtskonservativ, von der HDZ, regiert.

Anas Mutter war mal Klosterfrau. Auch sie hat das Referendum unterschrieben. „Das war der größte Schock meines Lebens. Und als ich ihr sagte, dass ich vielleicht auch lesbisch geworden wäre, hätte ich nicht Lado kennengelernt, war das für sie der größte Schock ihres Lebens.“

Ladislav Tomicic, ebenfalls Journalist, arbeitet für die einzige Printzeitung des Landes, die unabhängig von Medienmogulen ist. „In unserer Gesellschaft ist es mutiger, sich als schwul zu outen als in den Krieg zu gehen. Im Krieg hast du eine Chance zu überleben. Als bekennender Schwuler musst du hier davon ausgehen, dass dich deine eigene Familie lyncht, wenn es nicht vorher deine Nachbarn erledigt haben.“

Da sind die Schwulen, da wirst du gefickt

Lado ist in einem Dorf in Mittelbosnien groß geworden. Als er nach Zagreb zum Studieren ging, gab man ihm im Dorf den Rat, auf keinen Fall das „Baccus“ am Bahnhof zu betreten, da würden sich die Schwulen treffen und er „gefickt" werden. „Als ich dann den erste Schwulen kennenlernte, war ich vor allem davon überrascht, dass es den wirklich gibt, den Schwulen. Bis dahin hatte ich das ganze Gerede für eine dieser mythischen Balkanmärchen gehalten.“ Das Bacchus, ein Jazz-Lokal am Bahnhof, hat er bis heute nicht betreten. „Die Schwulen, die ich kenne, gehen da gar nicht hin.“

Im „Krolo“, der Kneipe im Stadtzentrum, in der sich die LGBT-Aktivisten nach der Demo treffen, ist Lado der einzige Mann in einer Runde. Die Frauen am Tisch sind alte Freundinnen. „Ich bin halt lieber mit Frauen zusammen, weil da mein Humor besser ankommt“. Was er als „selbstverständlich“ bezeichnet - für die Rechte einer Minderheit einzutreten, wenn sie bedroht ist - ist es das für seine Geschlechtsgenossen offenbar weniger? Achselzucken.

Trotzdem, erzählt Ana, sei das Thema Homophobie in Kroatien eigentlich durch. Keine ernstzunehmende Zeitung würde heute noch einen Politiker als „schwul“ bezeichnen, um ihn damit zu diskreditieren. Das sei vor ein paar Jahren noch anders gewesen. „Es gibt keine spezielle kroatische Form der Homophobie“, meint Lado. Es sei alles nur primitiver und die Erfahrung mit der political correctness in diesem Land noch sehr kurz. „Hier gibt es zwar ein Gesetz, das homophobische Angriffe unter 'Volksverhetzung´ fasst. Aber die Polizei erkennt gar nicht, was ein homophober Angriff ist.“

À propos „politisch korrekt": Ana und Lado benutzen während sie erzählen immer wieder die traditionell genitalen Flüche des Landes (wörtlich übersetzt: „Verpiss dich in die Fotze deiner Mutter“, „Das tut meinem Schwanz weh“). „Wenn ich sage: 'Ich spül kein Geschirr, das ist Schwuchtelarbeit'“, erklärt sich Lado, „benutze ich das Wort Schwuchtel in vollem Bewusstsein.“

Politisch unkorrektes Fluchen

Aber beim Fluchen merke man eben, wie stark die Geschlechtsbilder die Kultur prägen und dass es noch mehrere politcial correctness Debatten brauche, bis sich selbst bei Leuten wie ihnen, das Bewusstsein über Geschlechterdiskriminierung auch in einer nicht diskriminierenden Sprache zeige.

Er glaube zwar trotzdem nicht, dass sich Weltanschauungen durch Sprechverbote ändern ließen - „schwul“, „debil“, „Mistvieh, wenn ich das alles nicht mehr sagen darf, wie soll ich Menschen eigentlich noch beurteilen?“, witzelt er -, aber ohne „PC“ erreiche man tatsächlich leider gar nichts.

Ana und Lado stehen immer auf der Seite der bedrohten Minderheiten: „Serben, Schwule, Zigeuner". Dabei gehören sie selbst zu einer vierten: die der unabhängigen Journalisten. Doch Lado winkt ab: „Es wird Zeit, dass die Kirche den Hass auf die Arbeiter lenkt. Das wird dann hoffentlich ähnliche große Medienwirbel verursachen wie der Hass auf Schwule."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.