Am Tresen des Ex & Pop Westberlin leben

Nicht quatschen, trinken!

Wenn Leute wissen wollen, was die Achtzigerjahre im alten Westberlin waren, nimmt man sie an die Hand und geht mit ihnen in die Randbereiche zwischen Schöneberg und Kreuzberg. Nachts im Regen im dunklen Mantel schlendert man unter den 30 Yorckbrücken entlang zum U-Bahnhof Yorckstraße und erklärt: Hier war mal das „Risiko“, das war ganz wichtig, Hausbesetzer, Punks, Blixa Bargeld, knickknack-Sie-wissen-schon, und als nächstes dann eine Islamschule und nun wieder eine Eckkneipe; und hier, in der Mansteinstraße, ist das Ex & Pop, eine Radikalverdichtung der 80er-Jahre bis gestern zumindest noch.

Man drückt auf den Klingelknopf, jemand guckt und lässt einen rein. Drinnen ist das Klingeln ein Lampenblinken über der Tür. Das Ex & Pop war in den 80ern sehr wichtig: weil alle hier so düster Wave- bis Rock-'n’-Roll-mäßig ausgesehen hatten, weil es immer so schön laut war, weil die „Lolitas“ hier gespielt hatten und Olga, die Bassistin, so klasse ausgesehen und Françoise Cactus so schön gesungen hatte, weil hinter dem Tresen in den schönsten Zeiten Harry Hass gestanden hatte, der wilde Rauschdichter mit den flinken Augen, der das Barkeepen so im Sinne von Zen und die Kunst hinter dem Tresen zu stehen betrieb. Das hieß im Nachtleben dann, dass er immer hinter dem Tresen hin- und herflitzte, schlaksig, mit vornüber gebeugtem Kopf, krummem Rücken, Jackett und zerwuselten grauen Haaren.

Wer beim besten Barkeeper Berlins Whisky bestellte, bekam sein Glas randvoll eingeschenkt, was immer auch als eine Probe an die Ernsthaftigkeit des Gastes gemeint war. Vormittags nach der Arbeit hatte Harry Hass dann an seinem im Maas-Verlag erschienenen Roman „Koko Metaller“ gefeilt, was allerdings ungewöhnlich war, denn Literatur galt in den 80ern eher als ein bisschen peinlich.

Am Ende des Ex & Pop, das am Montag zum letzten Mal geöffnet hatte, wurden oft die Promis erwähnt, die hier verkehrten: Blixa Bargeld, der hier früher seine Postadresse hatte, Alexander Hacke, Nick Cave, Kathy Acker, die hier mal gelesen hatte, und dann auch noch Meret und Ben Becker. Doch eigentlich war die Zeit, in der die Beckers und der Laden plötzlich gegenseitig füreinander warben, in der Ben Becker sein Stück „Sid und Nancy“ mit der Schwester, Hacke und sich selbst in der Hauptrolle im Ex & Pop aufführen ließ, in der das Ex & Pop zuweilen zur Kleinkunstbühne mutierte, die auch nicht vor einem fidelen Schlagerabend zurückschreckte, schon Niedergang: Die Touristen, die kamen, fanden das Ex & Pop dann doch immer zu ranzig und verschreckten andererseits wieder die Stammgäste. Umgekehrt gab’s 98 im Ex & Pop auch mal im Winter eine Suppenküche. Bei minus 5 Grad kostete die Suppe damals 1,50 Mark, unter minus 10 Grad gab's alles umsonst.

Harry Hass war mein Ex & Pop. Heimkind war er gewesen, hatte in seiner ersten Berliner Zeit in einer Peepshow gearbeitet, und als er dann das erste Mal im Ex & Pop zu Gast war, hatte er sofort erkannt: „Mensch, das sind doch Gleichdenkende, das sind doch auch Burschen, die mit dieser Gesellschaft nichts zu tun haben, die auch eher Buddhisten sind und keine christlichen Motherfucker“. Später zog er dann einen Entzug durch.

Als Neuberliner Student, der, wie alle normalen Studenten, alles Studentische eher blöd fand, machte man sich immer Gedanken darüber, wie man hier am besten sein Bier bestellt, wie man unter Wahrung einer angemessen zurückhaltenden Dezenz beim Bestellvorgang – man gehörte ja nicht zur Szene – dennoch erfolgreich ist. Oder welcher Platz am Tresen anzustreben wäre, und wie man an diesen Platz kommen könnte, der zugleich für Überblick und ununterbrochenen Trinkfluss im düsteren Trubel sorgen sollte.

Einerseits stand man also immer am Tresen, der mit der Zeit vielfältigste Veränderungsphasen durchlaufen hatte – eine Zeit lang hingen da auch ein paar Fernseher mit trashig-pornografischen Sachen drin; andererseits hing man auch gern in dem Flipper- und Kickerraum am Ende vom Ex & Pop herum.

Der Lärm in der Erinnerung vermischt sich mit den Rufen der Leute am Kicker, dem Klackern der Bälle, den Trucks, die im Flipper losfuhren, wenn man die Kugel die rechte Bahn hochgeschossen hatte und dem trockenen Klack, wenn jemand ein Freispiel geholt hatte.

Die Bedeutung von Flippern und Tischfußball für die Décadence-Periode des Westberliner Nachtlebens bis Anfang der 90er-Jahre wird ja immer noch oft unterschätzt – dass auch die ersten Berliner Housepartys 1988 im Ex & Pop stattfanden, nur am Rande. Der Flipper hatte meist kleine Macken, weil Tischfußball beliebter war. Oft kriegte man mit rechts keinen richtig hoch. Den Flipper gibt's nicht mehr. Den Kicker dafür schon. Am Ende, in den letzten Tagen des Ex & Pop. Und auch der irgendwann eingerichtete „Drogenraum“ ist längst weg, aber im Klo gibt's immer noch UV-Licht, damit man die Venen nicht findet, und der Urinstrahl phosphoresziert dabei ganz hübsch. In der Nacht, als der Golfkrieg begann, hatten hier die 80er-Jahre unter dem Motto „Alle reden vom Krieg – wir trinken“ geendet, und Harry, der Barkeeper, war mit Feuerwerksraketen gekommen, und wir gingen dann doch demonstrieren.

Früher war das Ex & Pop noch woanders in Schöneberg. In der Zeit, als Ecstasy noch XTC geschrieben wurde, hieß es auch mal kurz „X & P“. In der ersten Hälfte der 80er-Jahre war hier auch das „Frontkino“ drin. Christiane Roesinger, die früher bei den Lassie-Singers sang, hat das Ex & Pop mal als „Workclub“ beschrieben und damit die vielfältigen Anstrengungen gemeint, die zu unternehmen waren, um hier im Nachtleben anerkannt zu werden. Viele saßen auch nur einzeln schweigend, irgendwie existenzialistisch rum. Wir sind zum Trinken, nicht zum Quatschen hier! Als ich mich verabschiedete, war das Ex & Pop ein Zeitloch mit tollem Gedränge, prima Leuten und Garagen-Rock-'n'-Roll bis zum Morgen.DETLEF KUHLBRODT