Der Bankraub als fordistische Tat

Schanzenbuchladen und Schwarzmarkt: Präsentation von „Vabanque“ heute und morgen  ■ Von Tobias Nagl

Alles war hergerichtet, denn eine gute Vorbereitung ist schon die halbe Beute. „Tausende Menschen hatten sich aufgemacht, um einer Filmproduktion beizuwohnen, in der es um einen Bankraub gehen sollte. Die örtliche Polizei hatte sich in voller Stärke eingefunden und spielte wunderbar mit. Als die Gangster kamen, hatten sie die ganze Kulisse, allerdings kein Interesse daran, Teil eines Films zu sein. Die Gang von John H. Dillinger betrat die Security Bank, räumte die Kassen leer und verschwand mit der fetten Beute von 49 000 Dollar. Als die Cops merkten, dass etwas nicht stimmte, nahmen sie die Verfolgung auf. Diese endete aber abrupt wenige Meilen hinter der Stadtgrenze, irgendwer hatte die Straße mit Dachpappennägeln gespickt. Tags zuvor hatte sich Homer van Meter, ein Gangmitglied, bei der Bank und den Cops als Filmproduzent ausgegeben und die Bevölkerung eingeladen, zuzusehen ...“

Bankraub ist die Königsdisziplin unter den mit Strafverfolgung bedrohten Vergehen. Kaum ein Verbrechen kann mit so viel Sympathie rechnen wie die „räuberische Erpressung“, und kaum ein Verstoß gegen die bürgerliche Eigentumsordnung zieht eine ähnliche Mythenbildung nach sich. „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“, lautet eines der berühmtesten Apercus Bertolt Brechts, und manche Bankräuber waren sich der symbolischen Bedeutung ihrer Aktionen und deren medialer Verdoppelung durchaus bewusst.

Dillinger, Amerikas „Public Enemy No. 1“ der Depressionsära, inszenierte seinen spektakulärsten Coup als widerspenstiger Regisseur und wurde nach einem Kinobesuch von zwei Polizisten am 22. Juli 1922 hinterrücks erschossen. Bonnie Parker und Clyde Barrow, das berühmteste Runaway-Couple der Kriminalstatistik, verschickten gleich Fotos und selbstverfasste Verse an die Zeitungen, um auch ihre öffentliche Existenz selbst zu bestimmen.

Der Kulturwissenschaftler Klaus Schönberger hat nun eine Anthologie herausgegeben, die sich all diesen und weiteren Verflechtungen des Themas widmet, und den schönen Titel trägt: Vabanque. Bankraub. Theorie. Praxis. Geschichte – und er gastiert jetzt zwei Tage in Hamburg, um es vorzustellen. Spannender und anekdotenreicher als alles, was jemals von Bommi Baumann oder Paco Ignacio Taibo II zusammen an Räuberpistolen volkstümlicher Renitenz ersonnen wurde, versteht sich Vabanque weniger als Glorifizierung der individualistischen Expropriation der Expropriateure und als klammheimlich-schadenfrohe Handlungssanleitung. Vielmehr hat der Bankraub nämlich nicht nur eine Geschichte, sondern auch eine Zeit. Und die ist aus verschiedenen Gründen definitiv vorbei; das Zeitalter des Bankraubs ist das der proletarischen Revolution und der unbegrenzten Mobilität.

Letzterer huldigten Bonnie und Clyde, indem sie nur die neuesten Ford-Modelle bei ihren Raubzügen einsetzten: „Fordistisch war ihre Arbeitsweise in einem ganz präzise-doppeldeutigen Sinne also durchaus. Längst aber bleiben die Bankräuber im Stau stecken: Ihre Sehnsucht nach nach „freier Fahrt“ unterscheidet sie kein bisschen von den freien Bürgern. Und selbst wo der Weg freigemacht wurde, stehen die Chancen schlecht: lückenlose Luftüberwachung und die Entmaterialisierung der Geldströme machen es den Selbstbedienern schwerer denn je, die Früchte ihrer Arbeit frühverrentet auf irgendeinem tropischen Eiland auch tatsächlich zu genießen.

Aber auch mit der revolutionären Seite der Angelegenheit ist das so eine Sache für sich. Trotz einer langen Tradition, die vom jungen Stalin über Durruti bis zur Stadtguerilla der 60er und 70er Jahre reicht, ist der Bankraub, wie das Lottospiel, zugleich auch immer privates „Opium des Elends“ (Balzac). Magisch ausgerichtet auf das nie ausreichende „allgemeine Äquivalent Geld“, so Schönberger, gleicht der Bankraub einer kollektiven Phantasie, die der kapitalistischen Vergesellschaftungsweise inhärent ist.

Vom Lottospiel unterschiedet sich der der Raub jedoch im Möglichkeitshorizont seines Glücksversprechens: Wo das Lottospiel seine Betreiber zur Passivität verdammt, äußert sich der Bankraub als konkrete, weil aktive Utopie. Die ist durchaus im Sinne des marxistischen Philosophen Ernst Bloch zu verstehen, und darum erzählt jeder gescheiterte Bankraub auch immer eine Geschichte der noch nicht eingelösten Hoffnungen vom Ende der Arbeit. Anders als der Bankraub werden diese Hoffnungen aber, wenn überhaupt, erst mit der tatsächlichen gesellschaftlichen Abschaffung von Arbeit enden.

Lesung, Video und Musik (die Anwesenheit einer echten Bankräuberin ist versprochen): heute, 20 Uhr, Buchladen im Schanzenviertel (Schulterblatt 55) sowie Sonntag, 16 Uhr, Schwarzmarkt (Kleiner Schäferkamp 46); Klaus Schönberger (Hg.), Vabanque. Bankraub. Theorie. Praxis. Geschichte, Verlag Libertäre Assoziation/Schwarze Risse/Rote Straße, Hamburg/Berlin/Göttingen 2000, 324 S., 34 Mark