„Was heißt hier Neonazis?“

Sie trafen sich im Gasthof zur Linde, bevor sie die WG zertrümmerten. Die Wirtin fragt: „Wer sind denn das, Skinheads?“

aus Finsterwalde HEIKE HAARHOFF

Christa Kaleta hat sich nie gefragt, wieso der Herr Worch aus Hamburg überhaupt ihre Adresse hatte. Wieso er wusste, dass die Gaststätte „Zur Linde“ in Massen, einem 1.400-Seelen-Dorf in der Niederlausitz, sich eignet für Konzerte. Wieso er sich in den Kopf gesetzt hatte, ausgerechnet hier, 450 Kilometer von Hamburg entfernt, Versammlungen durchführen zu wollen. Es hat sie nicht stutzig gemacht, auch da nicht, als ganz offen von „Skinhead-Konzerten“ die Rede war. „Wer ist denn das, Skinheads?“, fragt sie arglos, verschränkt die Arme vor der rot geblümten Bluse, blickt trotzig auf: „Jeder Gast wird von mir gleich behandelt.“ Und der Herr Worch, „der hat mir halt eines Tages geschrieben“, sagt Christa Kaleta, „er stellte sich als Rechtsanwalt vor“.

Damit hatte der gelernte Notargehilfe Christian Worch, Kopf der deutschen Neonazi-Szene, nur geringfügig übertrieben.

Christa Kaleta rückt Stühle entlang der langen Tafel im Schankraum. Es ist Mittwochabend. Mittwochs ist eigentlich Ruhetag in der „Linde“, „aber morgen haben wir hier einen 80. Geburtstag“. Sie streicht das Tischtuch glatt, die Stoffblumensträuße müssten auch mal wieder abgestaubt werden, ihr Sohn Frank Kaleta, 35, geht ihr ein wenig zur Hand, und wer spontan hereinschaut und das mit dem Ruhetag nicht wusste, bekommt trotzdem eine Cola.

Christa Kaleta ist 62 und eine tüchtige Kneipen-Geschäftsführerin. Seit 20 Jahren schenkt sie in der „Linde“ aus, meistens billiges Bier und Schnaps, und nur weil sie sich für den Herrn Worch und seine Aktivitäten nicht weiter interessiert, heißt das nicht, dass sie nicht auch Fragen stellte. Wenn auch andere.

Warum beispielsweise alle, also das Ordnungsamt, der Bürgermeister, die Polizei, sich plötzlich dafür interessieren, mit wem sie Geschäftsbeziehungen pflegt. Geschäftsbeziehungen, die dem Dorf seit 1992 Besuche von Glatzen aus ganz Südbrandenburg bescheren und seit einigen Tagen den bösen Verdacht, der Gewalt das Klima zu bereiten: Der 20-köpfige Schlägertrupp, der am vergangenen Wochenende eine Wohngemeinschaft linker Jugendlicher im benachbarten Finsterwalde überfiel, saß noch am sehr späten Freitagabend bei Bier in der „Linde“ und schmiedete brutale Pläne. Anschließend zog er in die Naundorfer Straße nach Finsterwalde aus, mit Baseballschlägern und Äxten Fensterscheiben zu zertrümmern. Auf Türen, Sicherungskästen, Regale, Lampen und Fernseher einzudreschen. Die Erdgeschosswohnung in dem gammeligen Eckhaus binnen weniger Minuten in ein Schlachtfeld zu verwandeln und die beiden in einem Hinterzimmer verbarrikadierten Bewohner, die über Handy die Polizei rufen konnten, nur in Ermangelung von Zeit nicht auch noch mit „platt zu machen“.

So jedenfalls erzählten es mehrere Tatverdächtige, die vorübergehend festgenommen wurden, und gegen die nun wegen des Verdachts des schweren Landfriedensbruchs und versuchter Körperverletzung ermittelt wird. Damit, sagen Polizei, Amtsgericht und Staatsanwaltschaft, habe die Gewalt eine neue Qualität erreicht. Kämpfe zwischen linken und rechten Jugendlichen, so zielgerichtet, so straff organisiert, so brutal vorbereitet, das hatte es bisher in Finsterwalde und im Elbe-Elster-Kreis nahe Cottbus nicht gegeben. Was die Richter nicht daran hinderte, die Tatverdächtigen nach ihrer Vernehmung gleich wieder auf freien Fuß zu setzen.

Die Schläger, zwischen 17 und 20 Jahre alt, verehren Männer wie den Herrn Worch, 44. Fünfeinhalb Jahre hat der im Gefängnis verbracht, wegen Volksverhetzung, weil er zum Rassenhass aufstachelte und weil er diejenigen, die ihn deswegen verurteilten, bedrohte.

Nie über Politik gesprochen

„Was heißt hier rechte Jugendliche, was heißt hier Neonazis?“, fragt Christa Kaleta, ihr Blick wandert zum Fenster, und da hängt wie zum Gegenbeweis ein Schild: „Hier wird Billard gespielt“. Na bitte. Wie sollte sie alles andere auch beurteilen, „die Jungs von außerhalb“ beispielsweise, die sich an so manchem Wochenende neben ihren Stammgästen von der örtlichen Feuerwehr, der Volkssolidarität und dem Frauenverein in der „Linde“ einfinden, „diese Jungs reden doch nicht über Politik“. Und ihren Musikgeschmack, also Bands wie „Böhse Onkelz“, „Macht und Ehre“, „Spreegeschwader“, „Frontalkraft“, „Radikahl“ oder „Sturm und Drang“, den teilt sie zwar nicht, aber: „Das hört man sich dann halt an wie man einen Schweißapparat auf der Baustelle vor dem Fenster ja auch erträgt.“ Solange sie Geld brachten und behördlich genehmigt waren, tolerierten Christa Kaleta und ihre Tochter, der die „Linde“ mittlerweile gehört, rechtsextreme Veranstaltungen und Konzerte – jahrelang (siehe Kasten). Dass Polizei und Bundesgrenzschutz das Dorf Massen dazu regelmäßig hermetisch abriegelten, kam Christa Kaleta vertraut vor: „Wenn zu DDR-Zeiten Konzerte stattfanden, dann war die Stasi doch auch da.“

Sie hat jetzt genug, es ist spät, und sie hat sich nichts vorzuwerfen; sie holt einen Ordner hervor, Schriftwechsel mit Christian Worch, „den größten Teil hab ich schon vernichtet“, aber ein paar Faxe sind noch da, gehalten in dem immer gleichen Stil: „ . . . zeige ich Ihnen an, dass ich nachfolgend näher bezeichnete Veranstaltung durchzuführen gedenke: . . . Konzert des Musikbereichs ,Rechtsrock‘ (sog. Skinhead-Konzert) ... Mit freundlichem Gruß“. – „Nehmen Sie die ruhig mit, ich brauch sie nicht mehr“, sagt Christa Kaleta. Wenn sie dann nur ihre Ruhe hat.

Schräg gegenüber der „Linde“, in einem Büro, in dem der Stromkreis zusammenbricht, wenn man das laut dudelnde Radio ausschaltet, führt Wilfried Klähr seine Geschäfte als ehrenamtlicher Bürgermeister von Massen. Er sagt: „Wenn wir Veranstaltungen verbieten, dann hebt das Amtsgericht unser Verbot wieder auf.“ Der Pressesprecher der Polizei sagt: „Uns ist die ,Linde‘ als Treffpunkt rechtsorientierter Jugendlicher bekannt.“ Die Leiterin des Ordnungsamts Massen sagt: „Für eine gewerberechtliche Untersagung reicht es nicht.“

Derweil wachsen im zwei Kilometer entfernten Finsterwalde Unmut und Zorn. Mit jedem Tag, der vergeht, ohne dass die Täter eingesperrt und bestraft werden, steigt die Gefahr neuerlicher Straßenschlachten zwischen Linken und Rechten.

Der Bürgermeister von Finsterwalde, Johannes Wohmann (FDP), seufzt: „Wir dachten eigentlich, das sei seit Mitte der 90er-Jahre vorbei.“ Damals hatten Punks und Skins so lange aufeinander eingekloppt, bis die Stadt Einsicht zeigte und viel Geld in die Juselhalle steckte, eine ehemalige Turnhalle, kurzerhand umfunktioniert in ein linkes Jugendzentrum.

Die Schlacht schien entschieden: Finsterwalde galt fortan als linke Hochburg, was für südbrandenburgische Verhältnisse so viel heißt, „dass du hier abends nach 22 Uhr noch unbehelligt herumlaufen kannst“. Dass du hier noch DVU-Plakate zerreißen kannst, ohne nachts eins auf die Schnauze zu kriegen. Dass du hier vorigen Sonntag, nach dem WG-Überfall, hundert Menschen zu einer spontanen Demonstration und am Montag danach doppelt so viele zu einem Benefizkonzert zugunsten der Opfer mobilisieren konntest. So schildern es die Langmähnigen, die Bunthaarigen, die Rastagelockten, die Redskins, das gute Dutzend Jugendliche zwischen 15 und 24 also, das sich an diesem Nachmittag, wenige Tage nach dem Überfall, in der Juselhalle zur Krisensitzung trifft. „Es ist ganz wichtig“, appelliert einer, „dass wir die Öffentlichkeit auf unserer Seite behalten.“ Soll heißen: keine Gegengewalt, keine Provokation.

Derzeit stehen die Chancen dafür mehr als gut: Die Demonstration gegen rechte Gewalt am heutigen Samstag durch Finsterwalde, organisiert von den Jugendlichen aus der Juselhalle, wird von den Fraktionen aller demokratischen Parteien unterstützt, von Gewerkschaften, Geschäftsleuten, Vereinen, selbst die Polizei ist dafür, und beide Bürgermeister, aus Massen wie aus Finsterwalde, werden Reden halten: „Der Imageschaden würde doch bloß größer, wenn man versuchen würde, das Thema unter den Teppich zu kehren“, hat der Finsterwalder Bürgermeister erkannt.

In der Juselhalle reift unterdessen die Erkenntnis, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Rechten die Ruhe in Finsterwalde stören würden. „Die wollen die Stadt zurückhaben“, sagt Fritz*, 22. Zusammen mit seinen Mitbewohnern Klaus*, 21, und Carsten*, 21 (*Namen geändert), hat er die eingeschlagenen Fenster notdürftigst mit Pappe zugenagelt und weigert sich nun, die zertrümmerte Wohnung zu verlassen, nicht einmal für die Zeit, bis die notwendigsten Reparaturen durchgeführt sind. „Ich sage doch, die warten bloß darauf, die Stadt zurückzukriegen.“

Von Faschos zusammengelegt

Nur beschränkte sich dieses Zurückhabenwollen bislang darauf, „dass ab und zu mal einer von uns von den Faschos zusammengelegt wurde und umgekehrt“. Fritz grinst. Das war ein kalkulierbares Risiko. Dass die Faschos es dagegen wagen würden, eine WG mitten in der Finsterwalder Innenstadt zu stürmen, das ist eine Dimension, die bei denen, die den Fall klären wollen, Rätsel aufwirft. Keinem will sich das Motiv erschließen, weswegen ausgerechnet diese drei freundlichen Jugendlichen in Turnschuhen, Jeans, Parka und mit Dreitagebart überfallen wurden, diese eher umgänglichen Kids, die geradezu sanft reden, zuweilen ein Bier zu viel trinken, aber bislang weder politisch noch gewalttätig auffielen. Dem Bürgermeister will sich das nicht erschließen. Dem PDS-Stadtverordneten nicht. Dem Ersten Bevollmächtigten der IG Metall nicht. Der Polizei nicht.

Für Fritz, Klaus und Carsten dagegen ist die Sache klar: „Wir wurden verwechselt.“ Und zwar mit der befreundeten Punker-WG, die in dem Haus direkt gegenüber ihrer Wohnung lebt. Die Punks, so wird erzählt, sollten Rache erfahren. Denn die Punks hätten vor wenigen Wochen „einen Fascho zusammengelegt, der zuvor einen Finsterwalder als Zeckenschwein beschimpft hatte“. Die Punks aus dem Haus gegenüber bestätigen das ohne Umschweife. „Ja“, sagt einer von ihnen, „der Überfall galt uns.“ Und konkrete Tatverdächtige kennten sie auch, sagen sie. Nur dass sie danach bislang niemand gefragt hat. Der Bürgermeister nicht. Der PDS-Stadtverordnete nicht. Der Erste Bevollmächtigte der IG Metall nicht. Die Polizei nicht.

Der Punk verübelt es ihnen nicht. „Natürlich könnten wir jetzt anstelle der Bullen losziehen und wiederum die Faschos aufmischen.“ Er überlegt. „Aber das würde nichts bringen, im Moment jedenfalls nicht.“

Demo, heute, 11 Uhr, Am Markt, Finsterwalde. Spenden für die Opfer des Überfalls: Verein für multikulturelles Europa, Raiffeisenbank Cottbus, BLZ 18 09 27 94, Kto: 2 04 64 01 87, Stichwort: Finsterwalde