Riskante Aktionäre

Bei der Diskussion, ob Wirtschaftsjournalisten an der Börse spekulieren dürfen, liegen Interessenskonflikte und Scheinheiligkeit eng beieinander

von HANS G. NAGL

Seit Mitte Juli düfte es ein paar Unternehmen mehr geben, die auf Journalisten nicht gut zu sprechen sind. Das Wirtschaftsmagazin Capital hatte die Aktien von 20 Gesellschaften zum Verkauf empfohlen. Prompt verloren einzelne Papiere bis zu einem Fünftel an Wert. Und weil dieses simple Reiz-Reaktions-Schema auch in die andere Richtung funktioniert – also Kurssprünge provozieren kann –, wird hitzig über den Aktienbesitz von Wirtschaftsjournalisten debattiert. Denn die Versuchung, vor einer positiven Veröffentlichung noch schnell ein paar Papiere zu ordern und dann von satten Kursgewinnen zu profitieren, liegt nahe.

Das Handelsblatt will seinen Redakteuren ab kommendem Jahr auferlegen, Aktien von Firmen zu verkaufen, über die bzw. deren Branchenumfeld sie regelmäßig berichten. Tun sie das nicht, soll ihnen die Verantwortung für die jeweiligen Unternehmen entzogen werden. Hiergegen hat der Betriebsrat des Blattes geklagt, ein erster Gütetermin vor dem Düsseldorfer Arbeitsgericht endete am Freitag ohne Einigung – so sieht man sich im September zum Prozess wieder. Bis dahin zumindest darf weiter gehandelt werden.

Das Problem ist typisch deutsch: Bei den in Sachen Weltwirtschaft führenden angelsächsischer Medien wird schon immer peinlichst genau zwischen privater Anlage und journalistische Arbeit getrennt: Beim Wall Street Journal ist Redakteuren der Aktienbesitz an Unternehmen, über die sie berichten, untersagt, bei Verstößen droht die Kündigung. Dasselbe gilt beim US-Wirtschaftssender Bloomberg, hier müssenMitarbeiter sogar jede einzelne Transaktion melden und zugekaufte Aktien mindestens sechs Monate behalten, bevor wieder verkauft werden darf.

Bei der auf Wirtschaftsthemen spezialisierten Nachrichtenagentur Reuters muss der Anteilsbesitz zumindest den Vorgesetzten gemeldet werden, wenn über die betreffende Firma geschrieben wird. Auch bei der Financial Times sind die Journalisten vom Handel mit Unternehmenswerten ausgeschlossen, über die zuvor berichtet wurde oder über die ein Beitrag geplant ist, die gleiche Regelung gilt bei der Financial Times Deutschland.

Die Diskussion hat auch andere Blätter aufgeschreckt: Bei der Süddeutschen wird derzeit „an einer kleinen Ethik-Richtlinie“ gebastelt, auch die Börsen-Zeitung diskutiert ihre Verhaltens-Grundregeln. In beiden Häusern – ebenso wie bei der Welt und der FAZ – ist derzeit der Besitz von Aktien an Unternehmen, über die man schreibt, unerwünscht. Verboten ist er aber nicht.

Zwar plädiert Ulrike Mende vom Handelsblatt-Betriebsrat natürlich ebenfalls für „sauberen Journalismus“. Doch weshalb gleich die eigenen Aktien verkauft werden sollen, bleibt ihr schleierhaft: Wenn Verweigerer dann sogar nicht mehr berichten dürften, könne das, so Mende, theoretisch dazu führen, „dass ganze Ressorts zumachen müssen“. Für mögliche Verluste durch den Zwangsverkauf will der Verlag zudem nicht aufkommen. Vor allem aber ärgert die Betriebsrätin, dass nur die einfachen Mitarbeiter des Hauses ihr Aktiendepot gegenüber ihren Vorgesetzten offen legen müssen (wenn auch ohne konkrete „Mengenangaben“), Chefredaktion oder Ressortleiter dagegen ihre Angaben nur beim Notar hinterlegen sollen – und trotz möglicher Interessenskonflikte nicht gezwungen werden, sich von ihren Papieren zu trennen. „Das ist der Knackpunkt der Ungleichbehandlung.“ Eine notarielle Offenlegung ohne die mögliche Pflicht zum Verkauf könnte sie sich dagegen auch für die anderen Handelsblatt-Mitarbeiter vorstellen.

„Dann kann ich so was auch gleich sein lassen“, sagt Handelsblatt Justiziar Georg Wallraf, dem viel an der Trennung von möglicherweise belastenden Aktien liegt. Zudem werde ja auch nur nach den Aktien, nicht aber ihrer Anzahl gefragt. Und durch Offenlegung gegenüber einem Notar lasse sich nicht der Anschein möglicher Interessenskonflikte im Vorfeld ausräumen.

Gesetzliche Regelungen speziell für Journalisten gibt es in Deutschland nicht. Insider-Handel – also Transaktionen bei Kenntnis nicht öffentlicher Fakten – kann grundsätzlich mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden. Strafbar ist nach Auffassung des Bundesaufsichtsamts für den Wertpapierhandel zudem, wenn ein Investment-Journalist seinem Publikum einen Wert wärmstens empfiehlt und ihn vorher selbst noch rasch günstig erhandelt hat. Allerdings muss dabei bewiesen werden, dass der Redakteur gezielt vorgegangen ist. Bei Egbert Prior, Dauergast der „3sat Börse“ und Chef eines Anlegermagazins, gelang dieser Nachweis nicht. Prior hatte zwei Werte empfohlen, woraufhin deren Kurs kräftig gestiegen war, und diese zuvor geordert. Doch konnte ihm nicht mit ausreichender Sicherheit nachgewiesen werden, dass er zum Zeitpunkt des Aktienkaufs auch schon den Tipp plante.

Das Vorgehen des Handelsblattes wird daher ausdrücklich begrüßt: „Dieser Ansatz ist sicherlich nicht schlecht“, heißt es bei der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Der Prior-Fall habe gezeigt, dass gesetzliche Regelungen alleine nicht ausreichten.

Eine wirkliche Kontrolle ist ohnehin kaum möglich. Denn zur Not wandern die umstrittenen Aktien eben ins Depot von Großmutter, Schwippschwager oder Freundin.

Und auch die plötzliche Erfindung der Ehre bei Handelsblatt dürfte eher pragmatische als ethische Gründe haben. Denn Handelsblatt-Verleger Holtzbrinck und das zum Dow-Jones-Konzern gehörende World Street Journal sind eine strategische Kooperation eingegangen. Und da lässt sich ein deutscher Sonderweg einfach nicht mehr so ganz aufrechterhalten.

Hinweis:Zur Not wandern die umstrittenen Aktien eben ins Depot der Großmutter