Tochter der Rakete

Tanzende Schlierenschatten: Der Babelsberger Regisseur und Filmdozent Robert Bramkamp verfilmt den Pynchon-Roman „Die Enden der Parabel“

von PETER BERZ
und MARKUS KRAJEWSKI

Vor einigen Tagen erlebte Robert Bramkamps Filmprojekt „Prüfstand VII“, das auf Thomas Pynchons Roman „Die Enden der Parabel“ basiert, eine Voraufführung vor erlauchtem Publikum. Eingefunden hatte sich dazu eine Touristengruppe, die getreu dem Motto „See Europe in three days“ zu ausgewählten ostdeutschen Orten reiste, um dort einem Grenztourismus der besondern Art nachzugehen: Ihr Interesse richtete sich auf die raketentechnologischen Grenzgänge an die Schallmauer und darüber hinaus. Auf den Spuren von Wernher von Braun, Ruth Kraft, Hermann Oberth und natürlich Tyrone Slothrop besuchten die Reisenden, die sich vor zwei Jahren auf einem Thomas Pynchons „Enden der Parabel“ gewidmeten Kongress zusammengefunden hatten, einige Schauplätze des Romans. Ihr Weg führte sie von den unterirdischen Montagehallen in Nordhausen/Harz über das Babelsberger Filmgelände, wo Fritz Lang 1929 die Frau im Mond produzierte, und wieder zurück zur Wiege der Rakete nach Peenemünde auf Usedom.

Im Raketenofen

Doch bevor die Tour in einer gemeinsamen Kutterfahrt zur Greifswalder Oie endete, stand als zweite Etappe die Voraufführung von Brankamps Film bevor. Gezeigt wurden ausgewählte Spielfilmszenen und die ersten drei Kapitel in der Rohfassung.

Wie im Raketenofen selbst bieten die Bilder eine hoch verdichtete Mischung aus Pynchon-eigener Fiktion, Fakten und Pynchon-inspirierter eigener Erzählung. Die Grundstruktur des Films zeigt Bianca, eine Tochter der Rakete (vielleicht gar die Frau im Mond?), auf der Suche nach ihrer Herkunft, die im Strahlantrieb, dem Raketenofen selbst, liegt. In einer historischen Verschiebung tanzt die Protagonistin zu Beginn des Films in der riesenhaft scheinenden Röhre des Großen Windkanals Adlershof den Schleiertanz. „Die Schlierenschatten tanzten“, heißt es in Pynchons „Enden der Parabel“. Doch auf 40 x 40 Zentimetern, „so groß wie die Seite eine Boulevardzeitung“, tanzt man nicht. Das unmenschliche Reich der Physik. Darum kann Biancas Suche nach dem Ursprung eben nur durch diese (vielleicht unbewusste) institutionelle und technische Verschiebung auf 0,2 Mach und im Betonungetüm von Adlershof beginnen. Die andere Wahrheit ist nur die Messkurve.

Bei ihren Nachforschungen stößt Bianca auf ein weit verzweigtes Gewirr aus Fährten, Hinweisen, Stimmen, denen sie nachgehen muss, um die Kakophonie schließlich in ihre eigene Sphärenharmonie auflösen zu können. Zwischen den Spielfilmszenen, die mit bisweilen überraschender Treue einzelnen Episoden aus den Enden der Parabel folgen und ihrerseits wiederum die erstaunlich filmische Erzählweise des Romans offenbaren, befindet sich immer wieder Dokumentarmaterial.

So gibt es einige Windkanal-Takes aus Peenemünde, wo die Ereignisse in der Messkammer hinter dem Panzerglas von einer großen Askania-Filmkamera aufgenommen wurden. Diese Takes liegen im Deutschen Museum und waren schon einmal vor einigen Jahren in einem Feature des SWF zu sehen („Das braune Wunder“, von Frank Haase und Friedrich Kittler).

Misstrauischer Pynchon

Und so kann der Zuschauer auch erstmalig aus den Tiefen der Weltkriegs-Archive gezogene Filmsequenzen von zwei bei Generalleutnant Walter Dornberger ausführlich beschriebenen Fehlstarts des Aggregats 4 auf dem berühmten Prüfstand VII bewundern, der Bramkamps Film gleichzeitig den Titel leiht.

Ähnlich seiner Protagonistin musste auch der Regisseur die Feuerprobe auf seine Recherchen bestehen, um das prinzipielle Misstrauen des Autors Thomas Pynchon zu einer filmischen Adaption seines Romans zu überwinden. Dieses legte sich erst, als Bramkamp nach monatelangen vergeblichen Nachforschungen über eine geheimnisvolle Person aus der Berliner Kunstszene, die angeblich alte Photos, Originale von 1944, mit technischen Zeichnungen der Rakete besaß, resigniert nach New York schrieb, diese Person nicht finden zu können.

Drehort Windkanal

Pynchon antwortete postwendend, er sei leider einem Schreibfehler aufgesessen, der Name des Gesuchten beginne mit „V“ statt mit „K“. Gleichzeitig erhielt der Regisseur, der so die Ernsthaftigkeit seiner Recherchen unter Beweis gestellt hatte, Pynchons „no objections“ für die Verfilmung einzelner Romanepisoden. Das Resultat kann sich sehen lassen: Der Film spielt an den „Stätten deutscher Luftfahrtgeschichte“, ohne deren Grundlagenforschung sich weder die Raketen von einst noch Jet-Lags amerikanischer Grenztouristen von heute entwickeln konnten. Folgerichtig sucht Bianca ihre Wurzeln nicht nur in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde Ost, sondern ebenso in den Institutionen zur Erforschung von schnellen Luftströmen, etwa im Windkanal der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt in Berlin-Adlershof.

Ursprung der Parabel

Dieser Drehort scheint derzeit sehr gefragt zu sein. Als wir vor einigen Tagen eine Besichtigungsreise in den Großen Windkanal von Adlershof unternahmen, strömte mit ihnen eine junge Frau, so alt etwa wie Ruth Kraft 1944, durch die heiligen Betonhallen der „Luftführung“. Sie war nicht zum Spaß hier. Mit teuerer Kamera ausgerüstet, recherchierte sie im Auftrag von Disney Productions die Locations für einen Science Fiction mit dem Titel „Librium“. Irgendwelche Details? „Nein. Weißt du . . .“

Eine weitere Episode von Pynchons Roman und ebenso von Bramkamps Film spielt in der Truman-Villa an der Babelsberger Karl-Marx-Straße. Auch dieses Ziel ließen die Reisenden zum Ursprung der Parabel nicht aus. Nach der Filmaufführung von „Prüfstand VII“ pilgerte die Gruppe entlang des Griebnitzseeufers zu Harry S. Trumans Domizil während der Potsdamer Konferenz. Das Gebäude dient als Kulisse einer Konferenz-Party, zu der die alliierte Generalität lädt: Ein alter BMW, der letzte General der Roten Armee (der Schauspieler Helmut Höge in blendend weißer Uniform!), der Schoßhund der Diva, Micky Rooneys Beine und im Garten ein Verrückter, der nach Haschisch gräbt . . .Am Tag nach den Dreharbeiten zu dieser Szene brannte aus mysteriösen Gründen die Villa beinahe vollständig aus. Im Anblick des ruinierten Hauses und geplagt von der Sorge, nicht zurückzufinden zum Ursprung der Rakete, drängte der Organisator die Reisenden zum Aufbruch. Das nächste Ziel, Greifswald, von wo am nächsten Tag die Kutterfahrt starten sollte zur Insel Usedom und den Resten der Heeresversuchsanstalt Peenemünde Ost, wollte noch vor Einbruch der Dunkelheit erreicht sein. Dort, so war jüngst zu lesen, will sich ein anderer Enkel der Aerodynamik, Luigi Colani, ein Denkmal setzen. Die Produkte seines Designerfleißes, deren dynamische Formen sich allesamt den Stromlinien fügen, sollen im geplanten Futurama Zinnowitz eine dauerhafte Heimstatt finden.