Von Feinden umschlossen

Hier geht es nicht um Kriegsverherrlichung. Hier geht es um Details an der Front – und da war es nun einmal romantisch

von TOBIAS KAUFMANN

Nur die Klimaanlage spielt nicht mit. Er hat sie zu spät eingeschaltet. Den ganzen Vormittag über hatte die Sonne durch die voll verglaste Fassade gebrannt, eine von der Sorte, mit der Architekten Transparenz ausdrücken wollen. Guntram Schulze-Wegener sitzt dahinter und hält sich bedeckt. Der Ressortleiter „Zeit- und Militärgeschichte“ des VPM-Verlags empfängt im Konferenzraum. An den Wänden Weltalltapete mit fernen Planeten und Raumschiffen, neben der Tür ein Perry-Rhodan-Pappkamerad. Auf dem Tisch vor sich hat Schulze-Wegener die Erzeugnisse seiner Abteilung ordentlich drapiert: Bücher über Schlachten, Waffengattungen, Fahrzeuge. Dazu liebevoll aufgereiht die kleinen, orangefarbenen Heftchen, die seit 1957 mit Titeln wie „Jagdbomber über der Normandie“ von Deutschlands Kioskregalen herunterleuchten: Der Landser.

Seit eineinhalb Jahren ist er Chefredakteur dieser „Erlebnisberichte zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs“. Wer Guntram Schulze-Wegener im Redaktionsglaskasten in Rastatt besucht, soll den Eindruck bekommen, dass hier einer mit Hingabe seinen Job macht und sich nicht davon beirren lässt, dass er regelmäßig falsch verstanden wird. Schulze-Wegener lebt mit dem ständigen Vorwurf, ein Militarist zu sein.

Militärgeschichte unverkrampft

Ob ihn das trifft, ist schwer herauszufinden, Emotionen dringen bei dem promovierten Historiker selten unkontrolliert nach außen. Sicher ist: Die vier Jahre Bundeswehr sind durchgesickert in die Rhetorik. Dabei ist der 34-Jährige seit geraumer Zeit Zivilist. Das Volontariat beim Schleswig-Holsteiner Verlag brach Schulze-Wegener für den Job beim Landser ab. Jetzt arbeitet er daran, „dass die Deutschen endlich unverkrampft mit ihrer Militärgeschichte umgehen“. So wie die Russen, Amerikaner und Franzosen. „Natürlich sind auch von deutschen Soldaten Verbrechen begangen worden. Das gibt es in jedem Krieg und von jeder Armee. Aber ich wehre mich dagegen, die Wehrmacht als ein Konglomerat von Verbrechern hinzustellen“, sagt er.

Dass die Verbrechen aber gar nicht vorkommen in dem Heft, das ohne Werturteil die soldatischen Leistungen aller Seiten würdigen soll, findet der Chefredakteur ganz normal: „Das ist ja meist hinter den Linien geschehen. Und das ist nicht unser Thema, wir sind immer vorn, direkt an der Front.“ An der Front. Dort, wo der tapfere deutsche Soldat, von fernen Berliner Politikern ausgenutzt und hereingelegt, den Krieg ausbaden musste und wo nach Schulze-Wegener noch Prinzipien galten: „Auf eine Stellung zuzustürmen, von der man weiß, dass darin jemand mit Handgranaten sitzt – das ist Mut.“

Solche Sätze sind es, bedacht und fast emotionslos ausgesprochen, die dem Landser und seinen Machern Beifall von ganz rechts einhandeln. Schulze-Wegener weiß das, und er wird nicht müde zu betonen, dass es in seinem Heft nichts, aber auch gar nichts gebe, was „den Rechten Freude bereiten könnte“. Dass er unter gewissen Umständen Verständnis habe für Deserteure, sagt Schulze-Wegener auch. Dummerweise steht das in den Heftchen nicht drin. Denn deren Ruf ist unter Frontfreunden nicht gut, wohlwollende Rezensionen sind daher selten. Wenn Journalisten über den Landser schreiben wollen, lässt sich Schulze-Wegener deshalb die Artikel sicherheitshalber zur schriftlichen Autorisierung vorlegen.

Einst Forum für Frontsoldaten

Vor 43 Jahren hat der ehemalige Jagdflieger Bertold K. Jochim den Landser gegründet. Er sollte ein Forum sein, in dem heimgekehrte Frontsoldaten ihre Kriegserlebnisse loswerden können – weniger eine Selbsthilfegruppe als eine sehr clevere Geschäftsidee. Sie funktioniert immer noch. Zwar werden die Autoren immer älter, doch neue Leser gibt es nach wie vor. Die meisten seien im Alter zwischen 40 und 50, verrät der Chefredakteur, der sonst aus Zahlen ein Geheimnis macht. Zahlreich genug, damit der Verlag mit den Heften Geld verdienen kann, sind sie auch. Mit einer halben Million Exemplaren fing es an, nach einem Absturz bis Ende der Achtzigerjahre hat sich die Auflage inzwischen bei geschätzten 60.000 eingependelt. Vor allem im Osten blüht das Geschäft. Nachholbedarf.

Kein Wunder, dass Schulze-Wegener schwärmen muss, wenn er über den Landser-Gründer spricht, der mit seinen bald 80 Jahren noch immer täglich in die Redaktion kommt, um dem Nachfolger zur Seite zu stehen. „Es ist unglaublich, wie talentiert dieser Mann schreiben kann“, sagt Schulze-Wegener. Als Beweis greift er ein Heftchen aus dem Stapel, sucht ein bisschen und verweist auf ein Foto. „Hier. So eine perfekte Bildunterschrift hat Jochim in ein paar Minuten parat. Ich brauche da einen halben Tag für.“

Auch militärisch hat der Alte die Nase vorn. Jochim hat es als Pilot „auf 25 Abschüsse gebracht“. Schulze-Wegener ist nur Kapitän-Leutnant der Reserve. Und das „ohne je zur See gefahren zu sein“. Schulze-Wegener lacht. Auch die meisten Landser-Autoren würden wohl über so einen Dienstgrad amüsiert sein, haben sie doch nachweislich praktische Erfahrung. Neunzig Prozent der Texte, die den Landser füllen, seien, so Schulze-Wegener, Erlebnisberichte echter Frontsoldaten. Mancher schreibt nur einmal, andere sind anscheinend zwischen 39 und 45 weit herumgekommen und werfen regelmäßig Erinnerungen ab – per Post, gerade heute ist wieder ein Manuskript gekommen. Der Autor hat sogar einen Titelentwurf gemalt.

Mordsarbeit beim Redigieren

„Das Redigieren ist eine wahnsinnige Arbeit“, erklärt der Chef. Verständlich, denn was diese Männer eint, wenn sie über Partisanenkämpfe, Rückzugsgefechte oder den „Kessel von Cholm“ berichten, ist Soldatenromantik. Selbst wenn es ernst wird, für die „vorgeschobene Feldsicherung“, kommt das Menschliche nicht zu kurz: „Am Ortseingang von Nagorotscha schanzten Pioniere. Ein Posten hielt die Kolonne an. ,Welche Einheit?‘ ,Sängerknaben auf Ferienreise‘, erwiderte der Hauptmann todernst. ,Wo geht's hier zum Konzertsaal?‘ ,Immer geradeaus‘, antwortete der Gefreite, ebenfalls todernst. ,Auf den Mund sind Sie nicht gefallen.‘, schmunzelte der Hauptmann . . .“

Viele von Schulze-Wegeners wissenschaftlichen Kollegen finden das nicht witzig. Der Militärhistoriker Richard Lakowski etwa hat bei der Recherche zu seinem Buch „Der Kessel von Halbe“ in Tagebüchern gefallener Soldaten keine Sängerknaben-Episoden gelesen. Stattdessen solche Sätze : „Warum hört man nicht endlich auf? Muss denn erst alles im Blute sich wälzen vor Schmerzen . . .?“

Keinesfalls will Schulze-Wegener seinen Landser als kriegsverharmlosend oder gar -verherrlichend verstanden wissen. Im Gegenteil, die Darstellung der Schlachten, so „wie sie wirklich waren“, die persönlichen Erlebnisse, niedergeschrieben von Überlebenden, seien ein klares Fanal gegen den Krieg. Wer den Texten im Eifer des Gefechts die abschreckende Wirkung nicht sofort anmerkt, dem hilft die Redaktion weiter: „Die Massenfriedhöfe des II. Weltkrieges sind eine Mahnung, die in jedem Landser ihren Niederschlag findet“, so ein Hinweis in der Heftmitte, kurz vor den Anzeigen von militärgeschichtlichen Kleinverlagen, die Bücher über die Waffen-SS verkaufen. „Wir wollen zeigen, dass Krieg ein Verbrechen ist. Gerade in Deutschland ist doch mit Militär in der Vergangenheit vieles falsch gelaufen.“

Schulze-Wegener legt den Kugelschreiber mit dem Perry-Rhodan-Schriftzug beiseite und fährt sich mit den Fingern durch das dunkelblonde Haar. Dieser Punkt scheint dem Landser-Macher wichtig. „Ich war vier Jahre bei der Bundeswehr, ich habe einen Eid geschworen, und ich sage ihnen, ich habe zum Beispiel den Kosovo-Krieg rundheraus abgelehnt. Da stehe ich mit der PDS alleine.“ Wenn es nach ihm ginge, würde der Landser jedem Wehrpflichtigen per Bundeswehr-Abonnement zur Verfügung gestellt. Damit die Soldaten Bescheid wissen. „Wir zeigen den Krieg, wie er wirklich ist: Ein Kaleidoskop barbarischer Exzesse und menschlicher Höchstleistungen.“

Keine Frage, da gibt sich einer Mühe – allerdings vergebens. Im Verteidigungsministerium ist man von den Vorschlägen der Landser-Redaktion jedenfalls wenig begeistert. „Ein Abonnement findet nicht statt“, so ein Heeressprecher lapidar. Aus dem Stab für Öffentlichkeitsarbeit kommt noch deutlichere Ablehnung: „Den Landser für die Bundeswehr? Gott bewahre! Für uns sind diese Hefte zutiefst militaristisch – und das ist nicht die Art Bildung, die wir unseren Soldaten vermitteln wollen.“

Missverständnisse von Nichtlesern, findet Schulze-Wegener. Er hat angefangen, in einem der hellblauen „SOS Schiffsschicksale“-Heftchen herumzublättern, die ihm als Marinereservisten besonders am Herzen liegen. Es klopft. Vorsichtig tritt die Sekretärin ein. Sie bringt Brezeln mit Butter und kaltes Mineralwasser. Die Klimaanlage surrt noch immer ohne spürbares Ergebnis. Schulze-Wegener hat sich im Sessel zurückgelehnt, auf Fragen nach dem rechten Hintergrund seiner Leser reagiert er leicht genervt. Im Landser würden definitiv keine politischen Aussagen getroffen. Er habe auch noch nie rechte Leserpost bekommen, erklärt Schulze-Wegener und trinkt einen Schluck von seinem Mineralwasser.

Lektüre der Neonazi-Szene

Wahrscheinlich sind diese Leser nie dazu gekommen, der Redaktion einen Brief zu schreiben. Denn dass es genügend gibt, die die Erklärungen des Verlages anscheinend konsequent falsch verstehen, kann beim Landser niemand leugnen. Ermittler finden bei Hausdurchsuchungen in der Neonazi-Szene von Sachsen bis Brandenburg neben verbotenem Propagandamaterial nach wie vor regelmäßig Landser-Hefte. Junge Rechte, für die Soldatenliteratur der Großväter dazugehört, gibt es zuhauf. Gordon R., dem Kreisvorsitzenden der rechtsextremen NPD in Barnim und Tatverdächtigen nach einem Überfall auf Spätaussiedler im brandenburgischen Angermünde am Karfreitag, ist die pazifistische Grundhaltung seiner Lektüre jedenfalls völlig neu: „So habe ich das noch nie gesehen. Mir geht's darum, dass das Tatsachenberichte sind und nicht Lügen, wie bei der Wehrmachtsausstellung.“

Damit die subjektiven Berichte seiner Autoren genau diese Glaubwürdigkeit behalten, muss jede Kleinigkeit stimmen. „Bei uns ist nur von Waffengattungen die Rede, die es zum erwähnten Zeitpunkt vor Ort wirklich gab. Bei jedem Fehler hab ich am nächsten Tag Anrufe. Die Leser kennen sich aus.“ Der Chefredakteur sagt das mit anerkennendem Grinsen.Und dann beugt sich der Kriegsgegner Guntram Schulze-Wegner ganz tief über eine der Zeichnungen und tippt mit dem Finger auf die Uniform des abgebildeten Soldaten: „Hier, diese Schulterstücke. Da hatte unser Grafiker im Entwurf silberne Sterne hingemalt. Die hab ich sofort golden überzeichnet. Die Wehrmacht hatte keine silbernen Sterne. Nie.“