Nahostreporter Jörg Armbruster: „Ich habe die Nase voll“

Jörg Armbruster über Risiken und die journalistische Ethik in der Kriegsberichterstattung, seine schwere Armverletzung aus Syrien und Ägyptens Perspektiven.

Hohes Risiko für Journalisten in Kriegsgebieten: Der US-Amerikaner James Foley wurde im November 2012 in Syrien entführt. Bild: reuters

sonntaz: Herr Armbruster, Sie wurden im März während einer Recherche im syrischen Aleppo lebensgefährlich angeschossen, die Arterie in Ihrem rechten Arm wurde durchtrennt. Wie geht es Ihnen heute?

Jörg Armbruster: Ich muss dreimal in der Woche zur Therapie, muss jeden Tag meine Übungen machen, doch es lohnt sich. Die Beweglichkeit hat zugenommen, aber es ist noch ein langer Prozess. Der Arzt macht keine Prognosen, noch ist unklar, ob ich die Hand jemals wieder ganz bewegen kann.

Sie waren an jenem Karfreitag mit Ihrem Kollegen Martin Durm, dem Team, einem Fahrer und einem Guide unterwegs. Obwohl Sie Schutzwesten dabeihatten, haben Sie diese nicht angelegt. Warum?

Es gibt zwei Gründe: Wir waren ja auf dem Weg in die Türkei, wollten eigentlich nur noch einen Müllsack mit Verbandsmaterial und Medikamenten in einem Krankenhaus abgeben, dann wären wir sofort rausgefahren. Uns erschien das nicht als übermäßig gefährlich, weil wir nicht ständig die Schutzwesten in Aleppo anhatten.

Außerdem hatten wir nur Westen für das Kernteam dabei, nicht für unseren Guide und unseren Fahrer. Dass nur wir gut geschützt im Auto sitzen und die beiden anderen nicht, dass wollten wir nicht. Im Nachhinein ist das vielleicht dumm gewesen.

Waren Sie als Journalisten oder als Privatpersonen unterwegs?

Als Journalisten.

„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemeinmacht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache“ , lautet eine Regel in unserem Job. Haben Sie diese umgangen, als Sie die Medikamente abgeben wollten?

65 Jahre alt. War von 1999 bis 2005 und von 2010 bis 2013 ARD-Nahostkorrespondent. Armbruster begann 1974 beim WDR-Hörfunk, 1982 wechselte er zum Fernsehen und arbeitete für den SDR. Zwischen 2005 und 2010 moderierte er den „Weltspiegel“, 2004 war er mit Arnim Stauth für den Deutschen Fernsehpreis nominiert.

Ich gebe zu, es ist grenzwertig, wir haben auch über diesen Zwiespalt diskutiert. Aber unsere journalistische Arbeit war abgeschlossen, Medikamente hatten wir ohnehin dabei, deswegen wollten wir diese noch rasch in einem Krankenhaus abliefern. Wenn Sie miterleben, wie kleine Kinder, von Schrapnells getroffen, schreiend in die Krankenhäuser eingeliefert werden, dann kann man manchmal auch über den journalistischen Schatten springen.

Sie bekommen demnächst den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis. Von Friedrichs stammt das genannte Objektivitätsdogma des Journalismus …

… ja, aber ich wüsste nicht, mit wem ich da gemeinsame Sache machen sollte. Höchstens mit Menschen, die verletzt sind. Und mit den Ärzten dort, denn diese sind die wahren Helden. Sie versuchen noch am Ende, Hilfe zu leisten. Ich hoffe auch, dass ein gegnerischer Soldat behandelt wird, wenn dieser eingeliefert wird. Das kann ich natürlich nicht sagen. Ich glaube, Friedrichs hat nicht solche Situationen gemeint, als er von einer „guten Sache“ sprach.

Reporter ohne Grenzen zählt in Syrien seit Beginn des Aufstands im März 2011 mindestens 23 Journalisten und 59 Bürgerjournalisten, die getötet wurden. Gibt es heute weniger Hemmungen, auf Journalisten zu schießen?

Das weiß ich nicht. Aber es gibt weniger Hemmungen, auf Menschen zu schießen. Wer jedoch immer auf uns geschossen hat, der wusste nicht, dass da Journalisten in unserem Bus saßen – er war nicht gekennzeichnet, der Schütze konnte wegen der verdreckten Scheiben auch nicht ins Innere schauen.

Hadern Sie manchmal damit, dass Sie die Schutzweste nicht übergezogen haben?

Die hätte mir ohnehin nicht viel geholfen. Ich hätte mir zwar den Bauchschuss erspart, aber mein Arm wäre auf jeden Fall verletzt worden.

Hat Ihr Arbeitgeber Sie wegen dieser unvorsichtigen Recherche später ermahnt?

Die Demokratie hat ein Nachwuchsproblem. Heißt es. Dabei gibt es sie: Junge Menschen, die in eine Partei eintreten. Die sonntaz hat sechs von ihnen begleitet – bis zu ihrem ersten Wahlkampf. Die Titelgeschichte „Wer macht denn sowas?“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 24./25. August 2013. Darin außerdem: Ein Gespräch mit der Ethnologin Yasmine Musharbash über Monster, und ein Porträt über Wolfgang Neskovic, der einst aus der Linksfraktion ausbrach. Außerdem der sonntaz-Streit zur Frage: Braucht Deutschland Coffeeshops? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Na ja, ich war so elend, da hat er sich vermutlich gesagt, der braucht nicht mehr ermahnt zu werden. Aber er hat die Zügel schon angezogen und alle Kollegen beauftragt, in solchen Situationen Schutzwesten anzulegen – was absolut richtig ist.

Sender aus den USA und Großbritannien sollen ihre Teams mit privaten Sicherheitsdiensten nach Syrien losschicken. Wären solche Maßnahmen auch für deutsche Kollegen denkbar?

Eine solche Show, „Ich bin hier, ganz mutig“, hat nichts mit Journalismus zu tun. Wir können der Bevölkerung nicht mit Bodyguards gegenübertreten und damit demonstrieren, dass wir ihr nicht über den Weg trauen. Denn wenn ich ihr nicht trauen, muss ich auch nicht dorthin fahren.

„Wer aus Syrien berichtet, trifft überall auf Lügen“, schreibt Sonja Zekri, Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung in Kairo. Teilen Sie diese Erfahrung?

In Damaskus muss man mit dem Informationsministerium zusammenarbeiten, sonst wird man sofort ausgewiesen. Natürlich trifft man da ständig auf Lügen. Aber ich bin auch auf Menschen gestoßen, die mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit und ohne Kamera erzählten, wie es wirklich zugeht. Es gibt allerdings auch Kollegen, die lassen sich anlügen.

Einer dramatischen Story wegen?

Interviews mit Extremisten, die einem der syrische Geheimdienst präsentiert, halte ich schon für sehr problematisch.

Sie haben einen großen Arbeitgeber hinter sich, bei dem Sie Geschichten ablehnen können und dennoch Ihr Gehalt bekommen. Für freie Journalisten ist es viel schwieriger, vor allem in Kriegsgebieten, die Kollegen sind auf das Zeilenhonorar angewiesen.

Natürlich sind die freien Kollegen in einer ganz anderen Drucksituation als ich, die müssen liefern, wenn sie ihr Geld wollen. Es ist brutal, als freier Kriegsreporter unterwegs zu sein. Die fühlen sich dann vielleicht besonders unter Druck gesetzt und liefern besonders scharfe Geschichten.

Die britische Sunday Times, die 2011 eine Reporterin in Syrien verlor, kauft keine Texte mehr von Freien aus Syrien ein.

Das kann ich natürlich verstehen, aber es ist tragisch für die freien Mitarbeiter. Beim SWR wird das von Einzelfall zu Einzelfall entschieden.

Sie sind ohne ein Visum über die Türkei eingereist. Wusste die ARD von diesem illegalen Grenzübergang?

Aus syrischer Sicht ist das natürlich illegal, ich komme auch nicht mehr nach Damaskus. Die ARD wusste davon, wir hatten den Auftrag gemeinsam mit dem BR, eine große Sendung über den „neuen“ Nahen Osten zu drehen. Der Redakteur in Deutschland vertraut auch auf unser Urteil.

Sie sind offiziell seit Beginn des Jahres im Ruhestand, es ist bekannt, dass in Syrien gezielt auf Journalisten geschossen wird. Warum sind Sie dennoch dorthin aufgebrochen?

Warum ist man Reporter? Reporter ist man dann, wenn man Lust hat, vor Ort dabei zu sein. Es ist sehr unbefriedigend, über Syrien vom Schreibtisch aus zu berichten. Wir sollten zusammen mit dem BR einen 90-Minüter drehen, das ist schon ein großes Glück, 90 Minuten in der ARD zu bekommen. Endlich mal die ganzen verschiedenen Facetten, die man sonst nur in Einzelberichten unterbekommen kann, zusammenhängend darzustellen – das ist schon eine sehr lohnende Geschichte.

Der Film war ursprünglich für den 10. Juni geplant, was haben Sie nun mit dem vorhandenen Material gemacht?

Teilweise ist es im „Weltspiegel“ verwendet worden. Vielleicht mache ich noch etwas für die „Tagesthemen“, ansonsten verwenden wir es nächstes Jahr für die große Sendung, reichern es an und sagen dann natürlich auch, dass es ein Jahr alt ist. Mir ist erst mal wichtig, die Hand wieder bewegen zu können. Ich weiß auch nicht, ob ich wieder nach Syrien fahren würde, im Augenblick habe ich die Nase voll.

Wie kann dieser Krieg mit mittlerweile über 100.000 Toten beendet werden?

Das weiß ich nicht. Russland und die USA müssen an einem Strang ziehen. Der Iran muss mit einbezogen werden, er ist ein ganz wichtiger Spieler in diesem Geflecht – aber die USA wehren sich dagegen, dass Iran als Verhandlungspartner mit am Tisch sitzt. Ich glaube, es gibt im Moment keine Lösung ohne Baschar al-Assad, aber der wird sich nicht mit einer Zwischenlösung zufrieden geben, deswegen habe ich gerade wenig Hoffnung.

Richten wir den Blick auf einen anderen Konflikt in der Region: Sie waren 2011 live auf Sendung, als sich die Nachricht vom Rücktritt von Ägyptens Machthaber Husni Mubarak auf dem Kairoer Tahrirplatz verbreitete. Er wurde anschließend verurteilt und ins Gefängnis gesteckt. Nun wurde er vorläufig wieder aus der Haft entlassen. Wird in Ägypten die Revolution rückgängig gemacht?

Das dreht in der Tat die Revolution weit zurück. Auch wenn es rechtsstaatlich legitim gewesen sein mag, ihn freizulassen. Aber ich habe ohnehin große Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit in Ägypten, wenn man sich anschaut, was im Moment gegen die Muslimbrüder unternommen wird. Da wird alles wild verhaftet, was nach Führungskader aussieht. Ich fürchte, dass Ägypten auf dem Weg zu einem neuerlichen Militärstaat ist – mit einer zivilen Regierung, die nach vorne geschoben wird. Aber der wirklich starke Mann ist Militärchef Abdel Fattah al-Sisi. Die Demokratisierung ist sehr stark ausgebremst.

Hätten Sie sich diese Entwicklung vorstellen können, als Sie damals am Tahrirplatz standen?

Dass die Muslimbrüder die stärkste Partei und eine Regierung stellen würden, konnten wir uns alle gut vorstellen, dass das Militär so durchgreifen würde, hingegen nicht. Und dass sich die Muslimbrüder nach ihrem Wahlsieg so undemokratisch verhalten würden, hatten wir ebenso wenig erwartet.

Jetzt kämpfen Mursi-Anhänger gegen Mursi-Gegner. Jeden Tag gibt es Tote. Gibt es einen Weg, wie die Gewalt in Ägypten beendet werden könnte?

Wenn die zivile Regierung den Willen dazu hätte, hätte sie viel früher mit Teilen der Muslimbruderschaft sprechen müssen. Vielleicht haben die Militärs das verhindert und wollen die Muslimbruderschaft vernichten. Das wird aber nicht gelingen. Dafür ist sie zu stark, zu gut organisiert und hat gerade auf dem Land eine große Anhängerschaft. Ich glaube, dass ein Teil der Muslimbruderschaft in den Untergrund gehen wird.

Das verheißt nichts Gutes für die Stabilität des Landes.

Im Augenblick sind die Aussichten für Ägypten sehr düster.

Versuchen unsere Medien solch einen Konflikt in ein Gut-Böse-Schema zu pressen?

Das passiert manchmal, weil es halt sehr schwer vermittelbar ist, was da in Ägypten passiert. Aber ich würde nicht pauschal sagen, dass unsere Medien das tun. Ich merke selbst, wie schwer es mir fällt, die Situation in Ägypten schlüssig zu erklären, weil die Grenzen fließend sind. Manchmal kommt man da um Pauschalisierungen nicht herum. In den Zeitungen wird das aber schon einigermaßen differenziert dargestellt.

Könnte sich in Ägypten, ähnlich wie in Syrien, ein jahrelanger Dauerkonflikt entwickeln?

Ich glaube kaum, dass es in Ägypten zu einem Bürgerkrieg kommt. Ich fürchte eher, dass dort ein neuer Nährboden für Terrorismus entsteht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Das finden Sie gut? Bereits 5 Euro monatlich helfen, taz.de auch weiterhin frei zugänglich zu halten. Für alle.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.