Schulenburg-Verlag macht weiter: Der Kopffüßler hält durch

Nach dem überraschenden Tod des Verlegers Lutz Schulenburg geht die Arbeit in Hamburg-Bahrenfeld weiter - wie bisher und doch ganz anders. Denn mit Schulenburg hat man im Mai dieses Jahres einen verloren, der Funken schlug

Erinnerungsstücke im Besprechungszimmer: Über alten und neuen Bildern von Lutz Schulenburg hängt die Spiegel-Bestsellerliste, deren 1. und 2. Platz Nautilus 2007 innehatte. Bild: Miguel Ferraz

Der Name steht noch an der Klingel. Unten der Verlag, oben die Wohnungen von Lutz Schulenburg und Hanna Mittelstädt, seiner Freundin und Mit-Verlegerin der Edition Nautilus über 40 Jahre. Lutz Schulenburg ist am 1. Mai gestorben, überraschend, er war 60 Jahre alt und nach einer Gehirnblutung wenige Wochen zuvor glaubte man ihn auf dem Weg der Besserung. Lutz Schulenburg war ein Anarchist, er quoll über vor Ideen und vor Charme, zumindest an den gut gelaunten Tagen. Er war der „Frontmann“ des Verlags, so sagt es Hanna Mittelstädt. „Uns fehlt jetzt sozusagen der große Diamant, wir müssen jetzt sechs kleine Diamanten sein.“ Und sie glaubt, dass das gehen kann.

Eigentlich wollte sie in diesem Jahr kürzer treten im Verlag, Lutz Schulenburg tat das theoretisch auch, praktisch aber nicht. Es gibt viel Arbeit in einem Verlag – und dass er klein ist, macht sie nicht weniger. Nautilus heißt „Kopffüßler“, es war Schulenburgs Idee, den Verlag so zu nennen. Vielleicht hat er auch eher an Jules Vernes Unterseeboot gedacht, wer weiß.

Passen tut beides: Eine Zuflucht für Aussteiger war Nautilus von Beginn an, mit den anarchistischen und dadaistischen Texten, die der dritte Gründer, Pierre Gallissaires, mitbrachte. Es war inhaltliches Neuland für Mittelstädt und Schulenburg, beide Anfang 20, und ganz besonders für Schulenburg, der aus einer Dekorateurslehre geflogen war. „Mit 19, bei den Anarchisten begann seine Bildung“, sagt Mittelstädt heute, „beim Lernen haben wir Bücher daraus gemacht.“

Es scheint, dass sich der Verlag diese Haltung eines ganz praktischen Es-wissen-Wollens erhalten halt. Sei es mit Christoph Twickels „Gentrifidingsbums oder eine Stadt für alle“ über den Kampf für eine Stadt für alle, sei es mit David Graebers Handbuch „Direkte Aktion“ oder der Text-Sammlung der russischen Pussy-Riot-Aktivistinnen. Die hat Nautilus nur bekommen, weil eine Agentin ihnen wohlgesonnen war, und als sie den Zuschlag erhalten hatten, gab es Nachtschichten bei Nautilus, weil Übersetzung und Lektorat in sportlichen acht Wochen beendet sein mussten.

Und, um auf den Kopffüßler zurückzukommen, der stimmt auch, weil Nautilus bei aller Leidenschaft für das Anarchische und Abseitige immer auch einen gesunden Sinn dafür hatte, dass man mit Büchern Geld verdienen muss, wenn man als Verlag überleben möchte. So haben sie nach einem Angebot der Titanic-Redaktion Texte des früheren DDR-Chefkommentators Karl-Eduard von Schnitzler veröffentlicht – als „Provokation“, sagt Mittelstädt, „und weil wir glaubten, dass sie sich verkaufen würden“. Haben sie dann auch, 20.000 mal. Die Dresche, die sie unter anderem dafür bezogen, hat die Leute von Nautilus nur bedingt beeindruckt.

Menschen, die dem Verlag wohlgesonnenen sind, gab und gibt es, erstaunlicherweise haben die meisten ihm auch den Bestsellererfolg mit den Krimis von Anna Maria Schenkel gegönnt. Im Konferenzraum mit großem Holztisch und Kochzeile – man isst zusammen – und Blick auf eine Holzterrasse hängt ein Poster von „Kalteis“, dem vorletzten Roman Schenkels, der bei Nautilus erschienen ist, und oben auf einem Regal steht eine Pappe, auf dem eine Spiegel-Bestsellerliste klebt: „Tannöd“ steht auf Nummer eins und „Kalteis“ auf Platz zwei.

Die Geschichte mit Andrea Maria Schenkel ist aus Sicht von Nautilus ambivalent. Um mit dem Positiven anzufangen, hat der Verlag mit ihren Texten sehr viel Geld verdient, so viel, dass er in helle Räume in Hamburg-Bahrenfeld umziehen konnte, so viel, dass er seinen MitarbeiterInnen Boni zahlen konnte: zwischen 2.000 und 80.000 Euro, je nach Zugehörigkeit. Der Verlag hat zum ersten Mal erlebt, wie es ist, Lizenzverhandlungen in 20 Sprachen zu führen, über Filmrechte zu verhandeln, einen Presseansturm zu bewältigen. Wenn Hanna Mittelstädt und die Lektorin Katharina Picandet darüber sprechen, hört man den Stolz heraus: darüber, wie sie das gewuppt haben.

Aber das hat Anna Maria Schenkel nicht daran gehindert, mit dem vierten Titel zur größeren Konkurrenz, Hoffmann und Campe, zu gehen – und das nehmen Mittelstädt und Picandet ihr übel. Schwierig zu sagen, ob AutorInnen das Recht haben, weiterzuziehen oder nicht, vermutlich bewegt man sich hier in anderen Kategorien. Aber interessant ist dieses Übelnehmen allemal, weil Mittelstädt und Picandet nicht so wirken als neigten sie dazu, sie wirken auch nicht sonderlich interessiert am Geld – es ist beim Einheits-Stundenlohn geblieben, der zwischen zehn und 15 Euro liegen soll.

„Andrea Maria Schenkel kommt nicht von unten“, sagt Picandet, sie musste nicht wie andere Nautilus-AutorInnen die Erfahrung von Markt-Ungängigkeit machen. Diese Underdog-Haltung hat Nautilus sich bewahrt, das betont Hanna Mittelstädt, daran habe auch „Tannöd“ nichts geändert. „Wir haben kein Geld“, sagt Mittelstädt, „aber Ideen.“

Genau dieses Kapital, die Ideen, waren, was Lutz Schulenburg mit in den Verlag gebracht hat. Nicht das Verwalterische, das war nicht sein Ding, auch kein verlegerisches Geheimwissen. Aber etwas Widerständiges, das durchaus anstrengend sein konnte – „wir hatten ein hartes Training in Moderation“, sagt Mittelstädt – aber eben auch ungemein fruchtbar. Es lässt sich nicht ersetzen, aber der Verlag hat nun einen Beirat gegründet, der in der Summe solche Funken schlagen soll, wie Schulenburg es getan hat. Und sie haben den Verlag, der bislang auf seinen Namen lief, in eine GmbH umgewandelt, an der alle Mitarbeiter, die das wollten, beteiligt sind.

„Ich muss nicht denken, dass ich die Witwe des Verlags bin“, sagt Mittelstädt. „Es ist einen Schutz für mich und fürs Verlagsprojekt.“ Das Projekt geht nun weiter mit Autoren, von den Mittelstädt und Picandet glauben, dass sie bleiben werden. Leuten wie Jochen Schimmang, der einmal bei Suhrkamp begonnen hat, und Abbas Khider, einem Exil-Iraker, der plötzlich bei ihnen auftauchte, inzwischen hat er sein drittes Buch bei Nautilus veröffentlicht, wird mit Preisen überschüttet. Er will bleiben. Das wollte Andrea Maria Schenkel wohl auch mal. Die Edition Nautilus jedenfalls wirkt, als würde sie ihre Fahrt fortsetzen.

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