Denn er weiß, was er tut

Handstreichartig hat Eberhard Diepgen die politische Abteilung der Staatsanwaltschaft wieder belebt. Diese hatte in den 80er Jahren auch SPD-Politiker im Visier. Heute wird im Senat darüber gestritten. Die taz gibt Erinnerungshilfe

von UWE RADA

Berlin, im Jahre 1974: Ulrich Schmücker, Student und Mitarbeiter des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz, wird von einem Kommando „Schwarzer Juni“ ermordet. Im anschließenden Verfahren, dem längsten in der Geschichte der Bundesrepublik, vertrat unter anderem Hans-Jürgen Przytarski die Anklageseite.

Mehrfach kassierte der Bundesgerichtshof die Urteile, weil die Verquickungen des Berliner Verfassungsschutzes in den Mord an Ulrich Schmücker nicht hinreichend berücksichtigt wurden. Moniert wurden auch die „verbotenen Ermittlungsmethoden“ von Przytarski, die jedoch erst 1990, nach der Einstellung des Verfahrens, öffentlich wurden.

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Verantwortlich für die Veröffentlichung war Erich Pätzold (SPD). Pätzold hatte mit Beginn der rot-grünen Koalition 1989 Wilhelm Kewenig (CDU) als Innensenator abgelöst und die Auflösung der P-Abteilung der Staatsanwaltschaft, zu der auch Przytarski gehörte, vorangetrieben. Dadurch geriet Pätzold selbst ins Visier der Scharfmacher. Der CDU-Abgeordnete Dieter Wienhold erstattete Anzeige gegen Pätzold, wegen angeblicher Falschaussage im Schmücker-Prozess. Ein politischer Freund Przytarskis, Oberstaatsanwalt Matthias Priestoph, durfte, obgleich formal gar nicht zuständig, 33 Monate lang gegen Pätzold ermitteln. Erst im Februar 1994 lehnte das Landgericht ein Ermittlungsverfahren ab.

Pätzolds Abneigung gegen die Polit-Staatsanwälte kam nicht von ungefähr. Als Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) war Pätzold bereits 1988 von einem V-Mann des Verfassungsschutzes, Steffen Telschow, bespitzelt worden. Vorausgegangen war eine Festnahme Telschows im Herbst 1988 wegen eines Steinwurfs. Um seine vorzeitige Entlassung zu erreichen, vereinbarte Telschow mit den Staatsanwälten der P-Abteilung einen Deal. Demnach verpflichtete sich der 24-jährige DDR-Aussiedler, Pätzold zu bespitzeln. Die Anklagevertreter plädierten im Gegenzug für eine Bewährungsstrafe und verheimlichten dem Richter zwei weitere Ermittlungsverfahren, die gegen Telschow liefen.

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Erich Pätzold war freilich nur eines von vielen Opfern der staatsanwaltschaftlichen Gesinnungsjäger. 1989 hatte der Rechtsanwalt Hajo Ehrig eine Bilanz der von der P-Abteilung betriebenen Verfahren vorgelegt. Demnach haben die 15 Polit-Staatsanwälte nach den Krawallen des 1. Mai 1987 in 50 Prozent aller Fälle Haftstrafen ohne Bewährung verlangt. Aber nur in drei Prozent aller Verfahren gingen die Angeklagten tatsächlich in den Knast. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Hausbesetzerverfahren bis 1982. Ehrig heute: Ziel der P-Abteilung war es, die Angeklagten durch das Dringen auf U-Haft und die Forderung nach Haftstrafen ohne Bewährung einzuschüchtern.

Ein Beispiel dafür war Jörn M. Nach dem 1. Mai 1989 saß der Schüler auf Betreiben des Polit-Staatsanwalts Dettmer in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: ein Steinwurf und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Nachdem der zuständige Richter schließlich wegen des festen Wohnsitzes von M. auf Haftverschonung entschied, ging die P-Abteilung in Berufung. Die Folge: M. musste bis zur endgültigen Entscheidung des Landgerichts weiter in Haft bleiben.

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Ein eher untypischer Fall ereignete sich im September 1988. Die Spekulantenfirma Data Domizil hatte seinerzeit einen Räumungsantrag gegen sechs Mieter der Gitschiner Straße 87/87a in Kreuzberg gestellt, obwohl diese mündliche Mietverträge hatten. Mehrere Staatsanwälte der P-Abteilung, darunter die Oberstaatsanwältin Diederich sowie der Staatsanwalt Schweitzer, wussten, dass es sich bei den Mietern nicht um Hausbesetzer handelte, trotzdem haben sie den Räumungsbeschluss vorangetrieben.

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Während der Verfolgungseifer der Polit-Verfolger gegen Linke und Sozialdemokraten keine Grenzen kannte, blieb die P-Abteilung auf dem rechten Auge blind. So wurde im August 1987 das Verfahren gegen die Verteiler eines rechtsextremen Flugblattes der „Deutschen Jugendinitiatve Berlin“ eingestellt. Auf dem Flugblatt stand unter anderem: „Berliner Jugend, wehr dich! Schluss mit der Orientalisierung und Ghettobildung in unserer Stadt. Wir sind nicht länger bereit, die schleichende Landnahme durch fremde Menschen des gesamten Erdballs hinzunehmen!“ Dieses Flugblatt, so die politische Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer, sei keineswegs „geeignet, Ausländerhass zu schüren“. Anzeige war im Übrigen vom späteren Justizsenator Erhard Körting (SPD) erstattet worden, dem Vorgänger von Eberhard Diepgen, der als Justizsenator nun die P-Abteilung wieder einsetzen möchte.

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Selbst in sexuellen Dingen bliesen die Gesinnungsjäger zum Angriff. 1989 war in der AL-Zeitung Stachel eine Satire über den Charlottenburger Ex-Bürgermeister Baldur Ubbelohde (CDU) erschienen. In einer Art „Rollentausch“ hatte der Stachel damals geschrieben, man kannte Ubbelohde bislang als „anständig schwulen Politiker und Menschen“. Ubbelohde versicherte daraufhin in einem Schriftsatz, dass er weder „homosexuell, schwul oder heterosexuell sei“. Anstatt dies freilich als fortgesetzte Satire zu begreifen, intervenierte die P-Abteilung. Aus dem Zivilverfahren gegen den Stachel machte die Abteilung ein Strafverfahren wegen übler Nachrede und Beleidigung.

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Welcher Korpsgeist in der P-Abteilung herrschte, zeigte unter anderem der brüchtigte Moabiter Treppensturz. Nachdem im so genannten radikal-Prozess die beiden Angeklagten Benny Härlin und Michael Klöckner 1985 als Herausgeber der Zeitschrift für deren Inhalt verurteilt wurden, betrank sich P-Staatsanwalt Hans-Jürgen Przytarski vor lauter Freude. Peinlich nur, dass er hernach im Kriminalgericht Moabit die Treppe herabstürzte.

Aber auch nach der Auflösung der P-Abteilung und der Entlassung Treppes lebte der Geist weiter. Zuständig für politische, vor allem Gruppendelikte, war ab 1990 die Abteilung 81 unter Oberstaatsanwalt Carlo Weber. Weber, zuvor acht Jahre lang bei der P-Abteilung tätig, zog auch nach 1990 sämtliche Register der politischen Anklage.

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Schließlich wäre noch Wolfgang Müllenbrock zu erwähnen. Als Staatssekretär der CDU-Innensenatoren Kewenig und Lummer war er unter anderem für die Bespitzelung Pätzolds verantwortlich. Als Staatsanwalt der P-Abteilung ließ er aber auch die taz bespitzeln. 1982 gewährte er dem in der JVA Tegel einsitzenden Gefangenen namens Norbert-Leander Hermsdorf die Möglichkeit zum Freigang. Einzige Bedingung. Er solle bei der taz eine Stelle antreten, die man dort als Resozialisierungsmaßnahme gerne gewähren werde. Sein tatsächlicher Auftrag aber lautete, den Verfassungsschutz mit Interna aus der taz zu versorgen.