Smoking / No Smoking

Zigarettenkapital vs. Medienmacht: In Michael Manns Informationssphären-Thriller „Insider“ verliert nicht nur eine kriminelle Tabakindustrie, auch die kritische Presse steht innerhalb der Neuen Ökonomie auf verlorenem Posten
von DIEDRICH DIEDERICHSEN

Michael Mann ist ein Meister fetter Gegenwartsästhetik. Keinen Millimeter Leinwand verschenken, keine Soundfrequenz unbestimmt lassen, kein Drehbuchelement, keine Person und keinen Schauplatz unbestimmt und uneingeführt einer unbefugten Fremdimagination überlassen. Hier ist für alles gesorgt.

Im Gegensatz zu anderen Überdeterminierungsgenies wie Stanley Kubrick oder Brian De Palma, die ebenfalls einer Ästhetik des Full Service zuneigen, hat man aber bei Mann manchmal den Eindruck, dass ihn eher ein aus seinen Stoffen herrührender manisch-mechanischer Zwang zur Kontrolle antreibt – habe ich irgendwas vergessen? – als die künstlerische Folgerichtigkeit lebenslanger Projekte. Legendär sind seine zugekleisterten und doch zwingenden Soundspuren – angefangen mit Tangerine Dream in seinen ersten beiden Filmen aus den frühen 80ern bis zu Lisa Gerrard in den letzten beiden, „Heat“ und „Insider“.

Dazwischen lag unter anderem sein Einsatz für „Miami Vice“, wo bekanntlich auch keine Tonspur trocken und ungerockt blieb. Man kann – wie amerikanische Wissenschaftler herausfanden – den Reiz-Zeichen-Konnex von Motorboot und aufheulenden Rockgitarren nicht mehr trennen. Beide sind für immer miteinander vernäht. Rockgitarren sind zwar inzwischen außer Mode, aber die Motorboote können sich nicht wehren.

„Insider“ nimmt sich nun den Luxus einer opulenten, flirrenden Orient-Episode als lang gezogenes Bond-Intro, nur um den Fakt zu etablieren, dass die CBS-Sendung „60 Minutes“ auch beim letzten Terror-Scheich als Inbegriff des fairen Journalismus gilt. Und dass man insbesondere Produzent Lowell Bergman (Al Pacino) durch nichts korrumpieren kann. Der ganze mühselige und schwer beladene Zug des journalistischen Flaggschiffs der freien Welt in das unwegsam verschlammte Gebiet von Mullahs und Maskeraden nimmt hier nur deswegen seinen Lauf, um diesen emphatisch freien Journalismus als Macht einzuführen, die vor nichts in die Knie geht.

Nicht Gewaltexzesse, nur Psychoterror

Aber vielleicht ist das auch nötig. Denn es ist zwar in den USA bekannt, dass die Zigarettenindustrie, gegen die es nun im Rest des Films geht, ein gefährliches, kapitalistisches Biest ist; im Rest der Welt, insbesondere hier, wo Rauchen immer noch lässig-linker Lebensstil ist, könnte diese Konstellation allerdings belächelt werden. Michael Manns Machtästhetik ist nun bestens geeignet, um das Funktionieren einer bösartigen, willkürlichen und unbegrenzten Einschüchterungskampagne gegen einen Einzelnen darzustellen. Selbst wen die hier offen gelegten Methoden der Tabakmultis, Leute süchtig zu machen, nicht so sehr schrecken, den dürften sie durch die spektakulär skrupellose Gemeinheit, mit der sie das Bekanntwerden ebendieser Methoden zu verhindern versuchen, von ihrer kalt-kapitalistischen Bosheit überzeugen. Nicht Gewaltexzesse, sondern gut gesetzter Psychoterror, der die feinsten Verwundbarkeiten seines Gegners ausnutzt, machen diese Macht aus.

Ein Insider (Russell Crowe), ein Chemiker, will nun gerade nachdem und weil ihn seine Company wegen Dissens entlassen und eingeschüchtert hat, dem CBS sagen, was er weiß. Und neben vielem anderen, was in diesem Film noch so passiert, ist der Niedergang, die komplette Demontage dieses Informanten, das einzige durchgehende lineare Kontinuum. Zwar verspricht ihm der Produzent Pacino Schutz und Hilfe und, ja, die Zigarettenindustrie muss irgendwann ihre historische Niederlage einstecken, aber Crowe, den aufrechten Naturwissenschaftler, rettet das nicht, weder seine Stellung noch seine Seele.

Nun ist das Zigarettenkapital zwar böse, terroristisch und grenzenlos unmoralisch, aber dagegen sollte das konventionelle Kraut der Demokratie noch immer gewachsen sein. In den USA heißt das vor allem: die Judikative. Horden von wohlmeinenden linken privaten Anwälten und ehrenwerten Staatsanwälten schlagen eine Schlacht nach der anderen. Immer auf der Hut vor den Winkeladvokaten der anderen Seite, hangeln sie sich von einem begrenzten Triumph zum nächsten. Prozesse sind in den USA immer noch wichtigstes Mittel der Politik. Abtreibung, sämtliche schwarzen Bürgerrechte – alles Ergebnisse von Präzedenzfällen und Musterprozessen, so auch der Kampf gegen Tobacco.

Dies hat ein filmisches Genre demokratischer Musterauseinandersetzung geschaffen, das hierzulande oft viel ideologischer und weltfremder wirkt als in den USA, wo es zumindest noch ein bisschen mit der politischen Wirklichkeit korrespondiert. Die Schlacht der Argumente, Tricks und Charakterpanzer im Gerichtssaal gehört auch in „Insider“ zu den eindrucksvollsten Momenten: das Duell unter festen Regeln, deren Garantien von den Kräften des Kapitals natürlich immer wieder in Frage gestellt werden. Doch während die juristische Front hält, bricht die publizistische ein. Altes Kapital schlägt man zuweilen eben doch mit demokratischen Mitteln, zumindest im Genre des linksliberal-machtkritischen Hollywoodkinos. Gegen das Neue ist man aber machtlos, da es genau die Informationssphäre durchökonomisiert hat, von der hier noch einmal der ohnehin schon schwere Kampf gegen das alte Kapital seine Kraft und sein Pathos bezieht.

CBS steht vor einer Übernahme, und zudem droht im Falle einer Ausstrahlung des alles enthüllenden Crowe-Interviews eine Milliardenklage durch den Tabakkonzern. Diese Klage könnte aber, völlig unabhängig von ihrem Ausgang, den Preis der Übernahme verderben. Alle, auch die besten Freunde des immer noch ehrenwerten Pacino, geben klein bei, die kritische Presse ist am Ende – sie hat gegen die neue Ökonomie keine Chance. Diese, das ist die „Botschaft“ der Geschichte, ist wesentlich schlimmer als der übelste Mullah Mesopotamiens, der sich ja immer noch vor der Institution der freien Medien beugt.

Allein wie Al Pacino „Makjusie“ sagt

Dass die „Allein gegen die Mafia“-Geschichte trotzdem ein in Maßen gutes Ende bekommt, liegt daran, dass die Tabakindustrie als Verkörperung des alten, noch hinter fixen Machtstrukturen mit E-Mail-Einschüchterung und windigen Winkeladvokaten verschanzten alten Kapitals tatsächlich noch von dem merkwürdigen amerikanischen Institutionen-Mix zur Strecke gebracht werden kann. Dass man gegen das Neue keine Chance mehr hat, ist dann nicht mehr das Problem dieser Männer.

Besonders gelungen ist vor allem deren zwar triefend ideologisches, dann aber doch darüber hinausgehendes „Zwei ritten zusammen“-Verhältnis, voll echter Freundschaft, paradigmatischer Missverständnisse und tragischer Enttäuschungen. Crowe, der Naturwissenschaftler, erzählt Pacino in einem ruhigen Moment inmitten des mittlerweile lichterloh entflammten Kampfs gegen seinen alten Arbeitgeber ein bisschen von sich. Seinen Vater, einen Ingenieur, habe er immer bewundert. Pacino lacht kurz auf, seinen Vater hat er kaum je gesehen. Dafür bewundert er einen anderen Mann, seinen Uni-Prof damals in Berkeley, einen Emigranten, Herbert Marcuse. Nicht nur weil man gehört haben muss, wie Al Pacino „Makjusie“ ausspricht, ist dieser Moment ein Höhepunkt, sondern weil er auch einen Ausgangspunkt bildet, von dem aus die beiden Charaktere als Vertreter der beiden Kulturen entfaltet werden.

Der naturwissenschaftliche Glaube an eine objektive Wahrheit ist letztlich für Crowes ethische Entscheidung verantwortlich, diese Wahrheit auch zu sagen – irgendwem, irgendwo, ganz unstrategisch und präpolitisch; einfach aussprechen, dass die Tabakindustrie bewusst süchtig machende Substanzen einsetzt. Dem steht der strategischere, linke Geisteswissenschaftler Pacino gegenüber, der die Regeln des Diskurses kennt und als Profi weiß, dass man die Wahrheit nicht nur sagen, sondern vor allem platzieren muss. Und der als Marcusianer von dem höchsten Imperativ geleitet ist, dass sie immer da am besten gesetzt ist, wo sie die Macht bricht. Beide Männer zusammen repräsentieren einen Idealtypus demokratischer Öffentlichkeit, der hier schon zu Beginn des Filmes ziemlich ramponiert ist, am Ende aber endgültig abtritt. Pacinos letzter Coup, die Medien gegeneinander auszuspielen, CBS gegen New York Times, ist erkennbar nur noch ein taktisches Manöver, auf dem sich keine Öffentlichkeit mehr aufbauen lässt, nur noch eine Medienguerilla. Und das steht einem ja vielleicht tatsächlich bevor.

Das Generalstabsmäßige, mit dem die Beeindruckungsmaschine von Michael Mann abläuft, bricht immer wieder seltsam in irgendwie erfrorenen Effekten ein. Macht der Ästhetik (Bruch) essen Ästhetik der Macht (Mechanik) auf. Fett-liberales Hollywood, „Allein gegen alle“, freier Journalismus, Unabhängigkeit der Justiz – das alles läuft hier auf Hochtouren und stemmt sich komisch kreischend und zu laut mit letzter Kraft gegen ein längst besiegeltes Schicksal; zuweilen im offen gelegten Bewusstsein, seinen letzten Kampf zu kämpfen, und dann wieder mit einer Hoffnung, die ganz rührend amerikanisch in Individuen wie Russell Crowe, seinen Vater, Al Pacino oder Herbert Marcuse gelegt wird.

„Insider“. Regie: Michael Mann. Mit: Al Pacino, Russell Crowe, Gina Gershon u. a. USA 1999, 142 Min.