Neuer Verfassungsschutzchef: „Keine in der Wand versteckte Wanze“

Seit August ist Bernd Palenda Chef des Berliner Verfassungsschutzes. Nun will er den Geheimdienst reformieren. Der taz erzählt er, warum er dafür an Schulen will und wie er zur SPD kam.

"Jeder, der glaubte, das Internet sei ein sicherer Raum, war ein Narr." Bernd Palenda Bild: Senatsverwaltung für Inneres Berlin

taz: Herr Palenda, wie schützen wir uns als Bürger am besten vor dem Verfassungsschutz?

Bernd Palenda: Seien Sie rechtstreue Staatsbürger und folgen Sie der freiheitlich demokratischen Grundordnung.

Trotzdem trauen wir dem Verfassungsschutz nicht.

Vertrauen hat nur bedingt mit Schutz zu tun.

Bernd Palenda

52 Jahre, gebürtiger Berliner, studierte Jura an der FU Berlin. Seit 1990 beim Berliner Verfassungsschutz, 1993 Wechsel zu den Amtskollegen nach Brandenburg. Seit 2006 zurück in Berlin, erst zuständig für Grundsatzfragen beim Verfassungsschutz, später für die Fachaufsicht über die Polizei. Seit November kommissarischer Leiter des hiesigen Verfassungsschutzes, seit 20. August auch offiziell.

Nach dem NSA-Abhörskandal ist das Vertrauen jedenfalls futsch. Welche Konsequenzen ziehen Sie aus der Affäre?

Mein Telefonverhalten hat sich geändert. Wenn ich aber etwas geheim halten will, dann rede ich ohnehin mit der Person unter vier Augen. Es gibt keine sichere Kommunikation. Jeder, der geglaubt hat, das Internet sei ein sicherer Raum, war ein Narr. Snowden hat im Grunde nicht wirklich viel verraten.

Haben Sie keine Skrupel, Informationen aus den USA oder sonst woher zu verwenden, die illegal erworben wurden?

Wir bekommen die Informationen ja nicht direkt von einem fremden, ausländischen Dienst, sondern von einer Bundesbehörde. Solche Nachrichten sind sehr kurz gehalten: Das und das steht dann und dann an. Dem gehen wir nach, und das müssen wir auch.

Nicht nur der NSA-Abhörskandal wirft ein schlechtes Licht auf die Geheimdienste. Die deutschen Verfassungsschutzämter haben beim rechtsterroristischen NSU versagt. Was macht für Sie den Reiz aus, eine Behörde zu führen, die so einen Ansehensverlust erlitten hat?

Leicht kann ja jeder. Wenn es die beliebteste Behörde der Welt wäre, wäre es mit Sicherheit nicht so interessant.

Sie haben schon immer die Herausforderung gesucht?

Klar. Deshalb bin ich Beamter geworden (lacht). Es ist schon eine echte Herausforderung, an einem Umgestaltungsprozess teilzuhaben, bei dem es darum geht, das Vertrauen der Bürger in den Verfassungsschutz zurückzugewinnen.

Einfach wird das nicht, selbst CDU-Innensenator Frank Henkel fordert einen Neuanfang. Was genau haben Sie vor?

Wir analysieren im Augenblick. Klar ist: Es muss eine Veränderung geben. Der werden wir uns stellen. Es wird aber keine Veränderungen in toto geben. Bei der Frage der Schwerpunktsetzung und bei internen Kontrollmechanismen haben wir bereits einiges reformiert. Und wir konzentrieren uns noch stärker auf den Rechtsextremismus.

Dann schauen wir mal auf die Bürgerinitiative Hellersdorf, die dort zuletzt gegen Flüchtlinge mobilmachte. Was haben Sie da an Erkenntnissen?

Die Bürgerinitiative ist definitiv ein rechtsextremistisches, demagogisches Projekt. Da gibt es keinen, der als Bürger auftritt, sein Gesicht zeigt und zusammen mit anderen ein gemeinsames Anliegen verfolgt.

Geführt von der NPD?

Das ist ein Konglomerat, das im Verborgenen operiert und sehr glücklich darüber ist, mit dem Asylbewerberheim endlich ein Thema gefunden zu haben, das ihm mediale Präsenz verschafft. Man hat etwas, womit man demonstrativ auftreten und Hass schüren kann.

Und die Anwohner stimmen in die Hassparolen ein?

Mein Eindruck ist, das kommt bei den Anwohnern nicht besonders gut an. Ja, es gab bestürzende Aussagen. Und ja, es gibt verdeckten Extremismus quer durch alle Bevölkerungsteile, überall. Dazu gehören auch dumpfe Befürchtungen und ungeklärte Ängste. Diese aufzubereiten ist den Gegendemonstranten vor dem Asylbewerberheim sehr gut gelungen.

Wie viele V-Leute haben Sie bei den Rechten drin?

(Lächelt)

Haben Sie überhaupt welche drin?

Ich zitiere jetzt den üblichen Satz: Zu operativen Angelegenheiten können wir in der Öffentlichkeit leider keine Stellungnahme abgeben. Das bedeutet weder eine Verneinung noch eine Bejahung Ihrer Frage.

Können Sie wenigstens sagen, in welcher Art Sie einen Einblick – zum Beispiel in die Bürgerinitiative – haben?

Wir operieren mit verschiedenen nachrichtendienstlichen Mitteln.

Ist es schwieriger geworden, V-Leute anzuwerben, nachdem im Zusammenhang mit dem NSU-Skandal Informanten geoutet wurden?

Eigentlich nicht. Geld zieht immer. Wir suchen ja nicht nach dem Ideologen, der gratis für uns tätig sein soll. Wir suchen nach Leuten, die mit uns zusammenarbeiten wollen und unsere Bezahlung gern in Kauf nehmen.

Warum setzen Sie überhaupt noch auf V-Leute? Gerade beim NSU wurden die Sicherheitsbehörden von den Spitzeln an der Nase herumgeführt.

Der V-Mann war noch nie ein 100 Prozent sicheres Mittel. Deshalb müssen wir alle Informationen, die wir bekommen, dreifach prüfen. Aber Alternativen dazu gibt es nicht. Bei aller Reform wird es am Ende nach wie vor noch einen Nachrichtendienst geben. Es sei denn, man schafft ihn ab.

Genau das will die Opposition.

Um ehrlich zu sein, ich wäre auch für eine Gesellschaft, in der es keinerlei diesbezügliche Einrichtung geben müsste. Diese idealistische Gesellschaft haben wir aber nicht.

Der Verfassungsschutz bezieht 80 Prozent seiner Informationen aus öffentlichen Quellen. Da ist doch eine Aufgabe der geheimdienstlichen Mittel gar kein großer Sprung.

Die 20 Prozent Informationen, die wir aus verdeckten Quellen gewinnen, benötigen wir aber zur Erhärtung und zur genauen Bestimmung von im Untergrund liegenden Strukturen. Es steht nicht alles im Internet. Und es wird auch nicht jeder Terroranschlag 14 Tage vorher mit Ort und Zeit angekündigt.

Wie viele Anschläge sind in Berlin aufgrund von nachrichtendienstlichen Erkenntnissen konkret verhindert worden?

Das kann man so eindeutig nicht sagen, weil man nie weiß, wie sich etwas Gestopptes weiterentwickelt hätte.

Aus welcher Ecke kommt derzeit die größte Gefahr?

Der islamistische Terrorismus ist für mich nach wie vor die Nummer eins. Wir haben abstrakt ein recht hohes Gefährdungspotenzial, weil Deutschland und Berlin weiter im Zielspektrum stehen.

Was für ein Bild vom Verfassungsschutz möchten Sie nach außen verkörpern?

Das Bild vom Informationen gebenden Gesprächspartner, bezogen auf den Bürger. Das bedeutet auch, Warnhinweise zu geben. Es ist unser Auftrag, die Gesellschaft und den Staat darauf hinzuweisen: Guck mal, da gibt es ein Problem, kümmere dich drum! Haben Sie sich mal das Verfassungsschutzgesetz angesehen? (Greift in seine Jackentasche und zieht ein stark zerknittertes Bündel Seiten heraus: das Verfassungsschutzgesetz.)

Haben Sie das extra für das Interview eingesteckt?

Nein, das begleitet mich schon einige Jahre. Ist ja auch nicht mehr ganz neu. Wenn ich mal auf eines hinweisen darf: Der Verfassungsschutz sammelt Auskünfte. (Liest wörtlich vor:) Die einzige Aufgabe des Berliner Verfassungsschutzes ist laut Paragraf 5, Absatz 1, den Senat und das Abgeordnetenhaus von Berlin, andere zuständige Stellen und die Öffentlichkeit über Gefahren zu unterrichten. Aber natürlich haben die Bevölkerung und die Politik eine weitaus höhere Erwartung.

Wie gehen Sie damit um?

Wir wollen uns öffnen. Ich will zu den Leuten gehen und um Vertrauen werben: Guck mal, ich bin zum Anfassen. Ich bin nicht die Wanze, die in der Wand versteckt ist.

Sie waren bei den Falken, dem SPD-nahen Jugendverein, auf dessen Heim Brandanschläge verübt wurden.

Da war mir wichtig, direkt von den Betroffenen zu hören, wie das politische und gesellschaftliche Agieren in solch einer Bedrohungssituation ist. Es ging nicht darum, irgendwas an Informationen zu gewinnen, sondern zu sagen: Wir sind jetzt da. Wie würdet ihr euch unsere Rolle vorstellen, damit wir eine Form der gemeinsamen Bekämpfung des Rechtsextremismus finden?

Und was machen Sie mit den Erkenntnissen aus den Gesprächen?

Das fließt ein in das, was wir zukünftig als neue Strategie fahren wollen. Sehen Sie, so was haben wir ja in der Vergangenheit kaum gemacht. Jetzt suchen wir den Kontakt.

Sie wollen auch in Schulen gehen. Haben Sie Ihr Kommen schon angekündigt?

Nein, um Gottes willen!

Warum um Gottes willen?

Na ja, wie sieht das denn aus? Mir geht es überhaupt nicht darum, die große Rundfahrt zu machen und jede Schule dieser Stadt abzuklappern, und hinterher gibt’s ein Zertifikat. Nein, nein, so geht das nicht. Wir bieten an, uns der Diskussion zu stellen. Im Übrigen auch für die Lehrerfortbildung. Und wer nicht will, der will nicht.

Haben solche Veranstaltungen denn schon stattgefunden?

Es gibt immer mal wieder Anfragen von Schulen, und es hat auch Veranstaltungen gegeben.

Geht es nur um Rechtsextremismus?

Nein. Auch die ganze Frage um den islamistischen Terror ist eine massive Belastung des Integrationsansatzes. Deshalb muss man da ran und in eine Diskussion kommen.

Sie wollen Moscheen besuchen?

Nein, Moscheen sind nicht unser Ziel. Ich möchte versuchen, die Kontakte über Dachorganisationen, wie sie im Islamforum vertreten sind, langsam aufzubauen. Ich stehe mit meinen Plänen noch relativ am Anfang. Eine schnelle Aussage zur Zukunft kann ich Ihnen nicht bieten nach der zertrümmerten Gesamtsituation.

Sie sind 23 Jahre lang in verschiedenen Verfassungsschutzbehörden aktiv gewesen. Für einen wirklichen Aufbruch stehen Sie nicht, oder?

Das hängt davon ab. Man muss sich intensiv prüfen, ob das, was man vorher kennengelernt hat, immer in der Form richtig und notwendig war. Ich gehöre vielleicht nicht zu den Zweiflern, aber die Frage, das eigene Tun zu reflektieren, gehört zu den Dingen, die ich sehr viel tue.

Sie sind Sozialdemokrat, wie kam es zu dem Entschluss, in die SPD einzutreten?

Ich war 17. Ich bin in Neukölln zur Schule gegangen. Die politische Überzeugung und Auseinandersetzung war bei mir schon immer drin. Und ich fand damals die Zusammenarbeit mit den Jusos außerordentlich interessant. Darum bin ich eingetreten.

Dann sind Sie im Grunde ein Linker?

Na ja, wer aus Neukölln kommt … Aber das wollen wir jetzt nicht vertiefen.

Waren Sie politisch richtig aktiv?

Sehe ich aus wie eine Karteileiche? Natürlich war ich auch aktiv. Natürlich habe ich auch in Neukölln gestanden und Flugblätter verteilt. Und als man da die ersten Rechten gesehen hat, hielt man die Zettel fest und dachte: Na, kriegste eins auf die Mütze oder gehen sie an dir vorbei? Natürlich! Aber das liegt lange zurück. Mit dem Eintritt in den Verfassungsschutz kam auch die Zeit der nach außen relevanten Mäßigung. Ich mache hier keine sozialdemokratische Arbeit. Ich mache eine gesetzesorientierte Tätigkeit.

Das haben wir auch nicht anders erwartet. Auf den Punkt gebracht: Was ist Ihre Mission?

Niemand kann sich von den Prägungen und Erfahrungen in seinem Leben endgültig freimachen. Aber das ist nicht die Zielrichtung meiner Arbeit. Es geht um das Bewahren eines Systems, in dem Freiheiten nicht durch externe Gewalt oder Repression von wem auch immer unterbunden werden. Das ist immer ein Zwiespalt zwischen Freiheit und Eingriff. Es ist immer eine Abwägung: Wo fängt die Verhältnismäßigkeit an, und wo hört sie auf?

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