Herzhaft in die Prämoderne

Zwischen Rampenkitsch und Realismus oder Wenn sich das Kino im Theaterstaub räkelt.John Turturros Regiedebüt „Illuminata“ ist eine nostalgische Revue mit theatralen Ambitionen

von DIEDRICH DIEDERICHSEN

Man braucht guten Willen, um die extrem italisierenden ersten dreißig Minuten von John Turturros „Illuminata“ durchzuhalten und überhaupt nur in die Nähe der künstlerischen Ideen des Films zu kommen. Wen „Zauber“ und „Poesie“ mechanischer Puppen, gestikulierende und „herrlich verrückte“ italienische Originale sowie die üblichen Theateranekdoten von Gustav Knuths Künstlerstammtisch nicht interessieren, macht was mit. Auch bei den fürchterlich viel sagenden und heftig unüberraschenden Überblendungen von Bühne und Leben, Stage und Offstage, Rollen und Schicksalen muss man beide Augen zudrücken. Man solidarisiert sich automatisch mit dem während dieser ganzen Geschichte von Beginn des 20. Jahrhunderts als Feind beschworenen Ibsen und seiner angeblich so bösartigen Blässe und katastrophalen Kälte. Gebt uns den Norden!

Doch was Turturro mit seiner hochkarätigen Kollegentruppe (u. a. Ben Gazzara, Susan Sarandon und Christopher Walken) und sich selbst in der Hauptrolle ganz gut formuliert, ist die Idee der Theatergruppe als ein Milieu, das über platte Bühne/Garderobe-Authentizismus-Spielereien hinaus sein Leben so organisiert, dass es fortwährend künstlerische Probleme formuliert und deren Lösungen aufspürt.

Dem von Turturro selbst gegebenen Nachwuchsautor fehlt ein Schluss für sein handlungsarm-impressionistisch-poetelndes Drama „Illuminata“. Dass nun genau sein eigenes, vom Theatermilieu bestimmtes Liebesleben diesen Schluss liefert, ist noch nicht originell: Seine Frau (die gute Diva) formuliert die Sätze über die „unzulängliche“, aber einzige Liebe, die sie schließlich auf der Bühne sprechen muss, zunächst in einer Auseinandersetzung mit ihrem Mann. Vorher hatte der aus heuristischen wie karrieristischen Gründen fast etwas mit der bösen Diva (Susan Sarandon) angefangen.

Doch das Gefühl von Selbstbezug und geschlossenem Kreis, von Kunst, die nicht aufhören kann, von ihren eigenen Entstehungsbedingungen zu handeln, und Leben, das seine Protagonisten nicht aufhören können zum Stoff zu trimmen, diese intensive Enge, von der die erzählte Story handelt, die wird von Turturro auch formal sehr offensiv und etwas weniger platt evoziert. Er verfährt die ganze Zeit so, als müssten seine Szenen und Dialoge ohne jedes kinematografische Hilfsmittel auskommen.

Schnell und in flotten Wechseln der Konstellation erzählt er seine Geschichte, so wie eine Bühnenkomödie eher vormodernen Gepräges das tun würde. Dennoch leistet er sich ausgewählte Kino-Stilmittel, springt durch Kulissen und nur durch exzentrische Kamerapositionen ihre Dynamik haltende, ausgesprochen komponierte Bilder. Nur die Außenaufnahme bleibt bis auf imaginäre Zwischenspiele zwischen den Akten verboten.

Indem dieses bühnenhafte Erzählen, dazu die Enge und Dichte von kulinarischen Kulissen mit viel Samt und Pokalen der letzten Jahrhundertwende, sowie temporeiche Tiraden und dynamische Dialoge einer mit aller Beweglichkeit der Neuzeit ausgestatteten Kamera ausgesetzt werden, wird die Künstlichkeit zum Thema, die Form zum Inhalt. So drängt sich auf, dass es Turturro nicht nur um seine Theaterstory geht, sondern vor allem um eine artistische Hommage an ziemlich versunkene Darstellungsformen. Die werden nämlich nicht als die angemessene Form des Stoffs gegen das heutige Kino gesetzt, sondern gerade in der Konfrontation als eigene, ganz andere Art des Erzählens ausgestellt – die in ihrer Künstlichkeit als von Stoffen und Epochen ablösbar und wieder verfügbar gedacht werden könnte.

Ob aber diese Formen tatsächlich in einem solchen Sinne als Stil rehabilitiert und an zeitgenössische Ästhetiken angeschlossen werden oder als kunsthistorisches Präparat unter Glas fixiert werden, bleibt allerdings die meiste Zeit offen. Geht es um ein Kunststück, um eine zwanglose Improvisation über die alte Idee, das Theater als Lebens- und Denkform in die Welt zu verlängern, die eben formal wie inhaltlich durchgearbeitet wird? Oder läuft nicht doch alles auf eine sentimentale Nostalgierevue hinaus, in der der Kitsch und das Klischee überwiegen?

Dieser Eindruck entsteht vor allem durch überflüssige und nur um der Liebe zum homophob-herzhaften Rampenkitsch willen eingeflochtenen Nebengeschichten wie der um Christopher Walken als flamboyanten schwulen Kritiker, jener durch das deutlich gelungenere mittlere Drittel, in dem das Tempo hoch ist und die Pointen so blitzen, dass man sich vorstellen könnte, so auch über andere Dinge als die Liebe in den Zeiten der Divenverehrung zu parlieren.

Das starke Statement für einen Realismus, den das fiktive Stück „Illuminata“ anstimmt, für einen Realismus, der mit der Unzulänglichkeit der Liebenden gerade die Liebe unter den Bedingungen der Wirklichkeit feiern will, wird von Turturros Film nicht auf einen ähnlich klaren Punkt gebracht.

„Illuminata“. Regie: John Turturro. Mit John Turturro, Katherine Borowitz, Susan Sarandon u. a. USA 1998, 119 Min.