Der Nachlass als Spende: Sterben für die Umwelt

Immer mehr Menschen vermachen ihr Geld an Greenpeace, WWF und Co. Die Verbände nehmen Millionen ein.

Viele entdecken bei der Abfassung ihres Testaments plötzlich ihr Herz für die Umwelt. Bild: dpa

DEUTSCHLAND zeo2 | Dass Marion Evers die Umwelt am Herzen lag, war zu Lebzeiten nicht sonderlich erkennbar. Evers berufliche Umwelt waren Männer. Sie hat gut an ihnen verdient. Marion Evers war – deshalb ist ihr Name hier verändert – Edelprostituierte mit gehobenem Kundenstamm. Als sie starb, von ihrer Familie verstoßen, hinterließ sie ein klar formuliertes Testament. Ihr gesamtes Vermögen, stolze zwei Millionen Euro, sollten zugunsten von Natur- und Klimaschutz an den WWF Deutschland gehen.

Auch Hubert Klemm war nicht gerade als Öko aufgefallen. Der Mann, der in Wahrheit ein wenig anders hieß, galt als verwahrloster Sonderling. Einer, der Waschmittelkartons in seiner winzigen Wohnung hortete und Zigarettenkippen aufsammelte. In Wirklichkeit besaß der einsame Sparneurotiker 300.000 Euro. Er vermachte sie einer bekannten Umweltorganisation.

Zwei ungewöhnliche, aber gar nicht so seltene Beispiele für einen echten Trend: Immer mehr Menschen tun der Erde Gutes, auch wenn sie schon unter ihr liegen. In ihrer Lebensbilanz wollen sie dem Globus nicht nur ihren ökologischen Fußabdruck verpasst haben. Sie wollen auch positive Spuren zurücklassen, indem sie ihr Vermögen oder einen Teil davon Organisationen vermachen, die sich um Klima, Natur und Umwelt kümmern.

„Meist sind es ganz einfache Menschen“, beschreibt Uli Busch von Greenpeace die grüne Nachlasswelle, „das Bewusstsein für die Umwelt und die Möglichkeit, über den Tod hinaus etwas zu ihrem Schutz zu tun, wächst.“ So wie Greenpeace bekommen auch andere Umweltverbände nahezu täglich Anrufe oder Mails mit einschlägigen Anfragen: „Ich mache gerade mein Testament und will etwas für die Umwelt tun, wie mache ich das am besten?“ 

„Nachlass- Fundraising“

Zu Zweidrittel sind die Interessenten bereits Verbandsmitglieder und Förderer, die sich seit langem mit Mutter Erde verbunden fühlen. Aber immer wieder entdecken auch Unbekannte bei der Abfassung ihres Testaments plötzlich ihr Herz für die Umwelt. Mal sind es Senioren, die kinderlos sind. Mal junge Eltern, die ihren Kindern eine intakte Umwelt sichern möchten. Dann gibt es Menschen, die partout nicht ertragen, dass der Staat ihr Erbe wird. Und manchmal ist da „Nachlass- Fundraising“ heißt.

Ohne Testament gilt die gesetzliche Erbfolge: Es erben Ehepartner, eingetragene Lebenspartner und Blutsverwandte. Sind keine Erben da, erbt der Staat. Wer eine gemeinnützige Organisation bedenken will, kann sie im Testament als Erbe des gesamten Nachlasses einsetzen oder ihr Teilbeträge vermachen mit Sätzen wie: „Aus meinem Erbe erhält der Umweltverband XY ein Vermächtnis in Höhe von …“ Man kann auch mehrere Organisationen bedenken und einen Zweck festlegen. Das Geld kommt in voller Höhe an – null Erbschaftssteuer.

Der WWF bietet sogar quer durch die Republik spezielle Informationsveranstaltungen zu Umwelttestamenten an – mit Fachanwälten für Erbschaftsrecht im Gepäck. In Großstädten füllen sich dabei die Säle schon mal mit 100 Interessierten, die wissen wollen, wie sie in ihrem letzten Willen die Umwelt bedenken und darüber hinaus noch zu Lebzeiten regeln können, was genau mit ihrem Geld „danach“ passiert.

Andere, wie der alternative Verkehrsclub Deutschland (VCD ) und der BUND bieten zusätzlich Vermächtnisdarlehen zu Lebzeiten an: Man gibt der Organisation ein zinsloses Darlehen, das im Todesfall automatisch zum Erbe wird. Wird aber plötzlich ein neues Hüftgelenk gebraucht oder Geld fürs Studium der Enkelin, kann man den Betrag auch wieder zurückrufen.

Die Nachlass-Ratgeber gehen jedenfalls weg wie geschnitten Brot, und immer öfter findet sich in deutschen Testamenten ein letzter Wille, in dem – vermittelt über ökoengagierte Organisationen – nicht nur die Umwelt, sondern ganz konkret das Wattenmeer, die Hochmoore oder der Schwarzstorch zum eigentlichen Erben erklärt werden.

Die Generation „Goldener Löffel“

Dabei sind die Umweltverbände eher Nachzügler auf dem gigantisch gewachsenen Erbschaftsterrain: Bis 2020, so hat das Institut für Altersvorsorge errechnet, werden in Deutschland rund 2,6 Billionen Euro durch Todesfälle ihren Besitzer wechseln. Derzeit vererben deutsche Privathaushalte jährlich über 250 Milliarden.

„Erbschaften von historischem Ausmaß“ wird die Wirtschaftswundergeneration hinterlassen, bilanziert eine Postbank- Studie. Gleichzeitig schrumpft aber die Zahl der gesetzlichen Erben. Die Generation „Goldener Löffel“ hat immer weniger Kinder oder weiß die Nachfahren bereits gut versorgt. Ein üppiger Kuchen also, um den Kirchen und gemeinnützige Organisationen mithilfe von professionellem Management schon seit Jahrzehnten rangeln.

Bei den Öko-Verbänden war der Erbschatz lange tabu. Pietätlos sei das, Erbschleicherei, Ablasshandel: „Die internen Widerstände waren anfangs groß“, erinnert sich Birgit Kern, bis 2002 beim WWF für die Spenden zuständig. Ökoengagierte Förderer mussten die Natur- und Umweltverbände erst zum Jagen tragen.

So wie Ilse Vormann, die bescheiden lebende Witwe eines schwerreichen Bankers und Industriellen. Als sie vor über zehn Jahren starb, vermachte sie den vier großen Ökoverbänden in Deutschland jeweils zwei Millionen Euro – mit genauer Zweckbindung. So schickte sie posthum ein neues Greenpeace- Schiff auf Umweltmission. 

Die Agenturen sollen jagen

„Der Fall Vormann“ , erinnert sich BUND -Spendenexpertin Almuth Wenta „war damals ein Paukenschlag“. Bis heute agieren die Umweltverbände bei den Testamentsspenden immer noch ein wenig zurückhaltend – bloß keinen anrüchigen Druck erzeugen oder Angehörige des Erblassers verärgern. Doch hinter den Kulissen konkurriert man durchaus mit sozialen Einrichtungen und Wohlfahrtsverbänden um den wachsenden Markt.

Personalschwächere Organisationen greifen auch schon mal auf Agenturen zurück, die spezielle Dienste in Sachen Nachlass-Fundraising anbieten. Denn die grüne Erbmasse ist in den Haushaltsentwürfen der Ökoverbände zum relevanten Posten geworden. Fünf bis zehn Prozent ihres Etats bestreiten die großen Umweltorganisationen inzwischen aus Erbschaften. Tendenz: leicht steigend.

Beim WWF werden die Vermächtnisse 2013 erstmals die Marke von sieben Millionen Euro knacken. Andere Umweltorganisationen können 1,5 bis 3,5 Millionen Euro aus Erbschaften verbuchen. Damit liegt das Thema Umwelt im Ranking des Erbschaft-Fundraisings aber immer noch im unteren Mittelfeld. Zum Vergleich: Spitzenreiter wie die Deutsche Krebshilfe oder SOS-Kinderdorf können mit mehr als 35 Millionen Euro Erbschaften im Jahr planen.

Das Umweltbewusstsein ist zwar gewachsen, aber menschlich anrührende Hilfen für kranke Kinder, für Tiere oder gegen Großkatastrophen sind bei der Abfassung eines Testaments deutlich präsenter als eher „abstrakte“ Ziele wie das Klima oder der Kampf gegen Flächenversiegelung. So ist trotz steigender Anfragen und imposanter Nachlasssummen in Millionenhöhe die absolute Zahl derer, die ihr Vermögen für grüne Ziele einsetzen, nach wie vor überschaubar geblieben.

Jeweils 40 bis 60 Erbfälle pro Jahr verzeichnen die großen Umweltverbände. Und Experten warnen vor hochfliegenden Erwartungen: Die fetten Erbschaftsjahre könnten in absehbarer Zeit zu Ende gehen. Lange Lebenserwartung, unsichere Altersversorgung, hoher Pflegeaufwand und wachsende Selbstverwirklichungsmentalität der Alten könnten die künftige Erbmasse aufzehren – noch bevor Natur und Umwelt davon etwas abbekommen.

Vera Gaserow, der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 4/13.

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