Nicht lachen, please

■ Drei Laienproduktionen werden beim Festival „Tanz Bremen 2000“ gezeigt. Darunter ist die Choreographie „junge junge“. Die hat der Profi Leonard Cruz, das ehemalige Kraftpaket des Bremer Tanztheaters, einstudiert

Manche von ihnen werden am Sonntag das erste Mal auf einer Bühne stehen-kauern-liegen-robben. Die 20 Tänzer der Produktion „junge, junge“ stammen aus dem Umfeld des impuls e.V. Viele von ihnen haben in der ehemaligen Kleiderfabrik des Tanzinstituts nahe der Endstation Linie 3 einen Anfang gemacht – mit der Ausbildung als Bewegungstherapeut. Nach zwei Jahren Ausbildung, gekrönt durch einen staatlichen Stempel, wissen sie alles über Sportverletzungen oder den Nutzen von Tanz in persönlichen Krisen. Einen Spagat aber kriegen sie deshalb noch lange nicht hin.

Seit Bestehen prunkt das Bremer Tanzfestival nicht nur mit Profiproduktionen, sondern riskiert die Arbeit mit Laien. Drei Produktionen werden es diesmal sein. Die aufwendigste und ambitionierteste heißt „Whirlschool“ (Montag 20 Uhr, Schlachthof). Dafür whirlten sieben ausgebildete Tänzer drei Monate lang durch diverse Schulen.

Mit Grundschulzwergen, aber auch den notorischen Skeptikern der 8. Klasse ertanzten sie sich ein Stück Ethik. Zivilcourage, Minderheiten, Gruppenbildung, lauter schulnahe Themen wurden ,bewegt'.

Die impuls-Produktion „junge, junge“ wird betreut von Leonard Cruz. Vor etwas über einem Jahr verließ er das Bremer Tanztheater, um an der renommierten Folkwangschule in Essen Tanz zu unterrichten. Seit November ist er wieder in der Stadt und setzt sich einer freien Existenz aus, mit all ihren Risiken, Chancen, Glücksmomenten, Ängsten.

Vor allem aber heißt Selbständigkeit herumkommen: Heute bei einer Produktion im Sendesaal von Radio Bremen, morgen ein Projekt mit der Kammerphilharmonie, übermorgen ein Tänzchen zur Orgel in einer Hildesheimer Kirche und dann mal wieder ab in die USA. Mittelfristig gibt es da natürlich schon diesen Traum: ein Ensemble leiten an einem Stadttheater. Durch seine USA-Erfahrungen hätte er da auch einige Ideen. Zum Beispiel würde er knappsen an den nicht selten sechsmonatigen Probezeiten für ein Stück und dafür mehr Arbeit in die Vermittlung stecken: öffentliche Proben, Zusammenarbeit mit Schulen ...

In vier Jahren Kursegeben beim impuls e.V. hat er genug Erfahrung in Laienarbeit gesammelt. „I don't need the most perfect dancers, because I am not talking about the most perfect world.“ Dieser Satz ist zwar von Hans Van den Broeck, ebenfalls Gast bei Tanz Bremen, könnte aber auch von Leonard Cruz sein. Halt nein, könnte er nicht. Denn Leonard Cruz spricht nicht Englisch, sondern eine entzückende Mischung aus Deutsch und Englisch. „Was macht ihr da your private things, das kann ick nicht brauchen, wenn ihr lacht by the way“, raunzt er – wie es für Generalproben nun mal üblich und motiva-tionstechnisch nötig ist. Es ist nicht Virtuosität, was er seinen Studenten vermitteln will, sondern Konzentration, das bedingungslose Aufgehen in der Rolle, also ohne Zurechtrücken des Pullovers, heimliches Zulächeln und verunsicherte Blicke: Bin ich jetzt dran, oder wie?

Leonard Cruz hat seine Tänzer in genderübergreifende Klamotten gesteckt. Rock, Hose, cooles Rave-Shirt, braves Blüschen: JedeR hat mehrere Identitäten angelegt. Alle Tänzer sind durchgehend auf der großen Bühne anwesend – was den Blick des Zuschauers dezentralisiert. Oft löst er sich von den Aktiven und ruht auf den Hockenden und Stehenden, hinten am Bühnenrand, die auf eine miniaturisierte Bewegung reduziert sind. Haupt- und Staatsaktionen gibt es kaum mehr. Meist agieren die TänzerInnen in Zweiergruppen oder ganz isoliert wie moderne Autisten in einer schwer überblickbaren Welt.

Leonard Cruz verehrt die Theorie des alten Tanzpädagogen Rudolf von Laban mit seiner Idee der immerwährenden Dialektik im Tanz: geschlossen und offen, eng und weit, langsam und schnell. In dieser Choreographie aber dominiert das Langsame und die kurze Szene. Obwohl Cruz nichts mit Gerhard Bohner zu tun hat, sieht man bei ihm manchmal eine Art Studie, die Bewegung in Molekularteilchen zerlegt. Nur die Frau hinten, die sich Kleidungsstück für Kleidungsstück entledigt, zeigt Langmut. Inhalte? Wie immer, keine und ganz viele. bk

Schlachthof, Sonntag, 17  Uhr