Diese Injektion an Schwärze

Als Autor, Produzent und Vermarkter war Hans-Joachim Berendt der wichtigste Fürsprecher des Jazz in Deutschland. Und weil er Jazz liebte, stellte er sich in den 50er-Jahren gegen Adorno, dessen Musiktheorie er einen Mangel an Sensualität vorwarf ■ Von Christian Broecking

Es schob sich immer wieder etwas zusammen in seinem Leben. Zum Beispiel als er für eine Zeitschrift mit dem Namen Twen schrieb. Und Panamerican eine Anzeige schaltete, um für ihre Flüge um die Welt zu werben. Da lag dann auf einmal dieses Ticket auf dem Redaktionstisch, und zunächst fand sich keiner, der da mitfliegen wollte. So kam Joachim-Ernst Berendt zu seiner ersten Asienreise. Ein junger Mann, den „die hübschen japanischen, thailändischen und vietnamesischen Frauen sehr interessierten“, wie er sich später im Gespräch mit dem Autor erinnerte. „Es war ja auch noch vor dem Vietnamkrieg, und ich machte mich also auf, um die sinnliche Seite Asiens zu erfahren, und ich bin dann sofort in die spirituelle Seite Asiens geführt worden.“ Von dieser ersten Reise an war er die ganzen Sechzigerjahre durch bis Mitte der Siebziger alljährlich einmal dort, manchmal drei Monate lang. Es folgten sofort große Asientourneen für das Goethe-Institut, nach einer Route, die über lange Zeit, auch als er schon gar nicht mehr dazugehörte, die Standardroute deutscher Jazzmusiker auf ihren Asientourneen war. Angeregt durch die Musik des Saxophonisten John Coltrane erfuhr Berendt in Asien die spirituelle und musikalische Seite dieser Kultur, die nicht voneinander zu trennen sind.

Aus diesen Erfahrungen entstand seine zwölfteilige Plattenreihe „Jazz meets the world“ – mittlerweile zum Teil auch auf CD wieder veröffentlicht – die zu einem wichtigen Impetus für die Weltmusikbewegung wurde. „Wobei mir heute auch bewusst ist, dass dies damals nur der Anfang der heutigen Weltmusikbewegung war. Wir haben halt additiv begonnen, wir haben die Kulturen jener Welt mit der Kultur des Jazz addiert, das eigentliche Ziel allerdings war die Integration.“

Berendt kannte den Saxophonisten John Coltrane bereits, als dieser noch in Philadelphia wohnte und weder Presse noch Publikum von ihm wussten. Berendt hat Coltrane wiederholt als wichtigsten Musiker seines Lebens bezeichnet, die Kompositon „Naima“, die Coltrane für seine erste Frau geschrieben hatte, war eines von Berendts Lieblingsstücken. „Coltrane hat diese Platten gemacht, ,Africa‘, ,India‘, ,Arabia‘, – und er war nie da. Schon wie er Flamencosachen verwendet hat, wirklich, das Land, aus dem all dies kommt, erlebt und selber erfahren hat er es nicht. Dennoch war er vollkommen durchdrungen davon.“

Berendt war Vermittler, Produzent und Vermarkter von Jazz. Beim kleineren New-Jazz-Meeting Baden-Baden testete er aus, was überhaupt ging, und wenn es funktionierte, brachte er es auch zu den Donaueschinger Musiktagen oder zum Jazzfestival nach Berlin. Sein großes Vorbild war der einstige Musikchef des Südwestfunks, Heinrich Strobel, der der modernen Konzertmusik in Deutschland zum Durchbruch verhalf, so sie denn je einen Durchbruch hatte. Er entdeckte die Musiker, die fast alle bei den Donaueschinger Musiktagen zuerst vorgestellt wurden, dann platzierte er sofort Artikel über sie, es entstanden Platten, und so kamen sie im Rundfunk und in die anderen Medien. Berendt hielt sich in seinem Kampf für den Jazz an dieses Muster – wenn man es überhaupt richtig machen will, dann müsse man auf allen Hochzeiten gleichzeitig tanzen, sonst könne diesen Musikern nicht zum Erfolg verholfen werden.

Er fing an, Jazz „mit allen Fasern meines Wesens zu lieben“ – in der Nazi-Zeit. Lieben in einem Gefühl, in einer Situation des Widerstandes. Das sei eine verbotene Liebe gewesen, hatte er später immer wieder betont, „und wie das ja auch im bürgerlichen Leben ist: Verbotene Lieben blühen besonders inbrünstig.“ Sein Vater war einer der Führer des Widerstandes der Bekennenden Kirche gewesen, des sehr geringen Teiles der Evangelischen Kirche, der gegen Hitler war, und hatte die von ihm geleitete Stefanus-Stiftung in Berlin-Weißensee zu einem Zentrum des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus gemacht. „Die Nazis haben meinen Vater mehrfach verhaftet und freigelassen, bis sie ihn dann nach Dachau brachten, wo er ums Leben gekommen ist. Wenn man in den empfänglichsten Jahren seiner Jugend in einem solch widerständigen Elternhaus aufwächst, ist man natürlich tief durchdrungen und tief berührt davon.“

Joachim-Ernst Berendt, Jahrgang 1922, war 1945 Mitbegründer des Südwestfunks Baden-Baden, veröffentlichte 1949 sein erstes Buch „Der Jazz“, leitete die Jazzredaktion des SWF, initiierte und organisierte Aufsehen erregende Jazzreihen und -festivals, produzierte unzählige Schallplatten, Funk- und Fernsehsendungen und wurde häufig ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bundesfilmpreis und dem Kritikerpreis des Deutschen Fernsehens.

1964 organisierte er die ersten Berliner Jazztage, die weltweit beachtet wurden. Das erste Weltmusikfestival „Jazz meets the world“ fand 1967 unter seiner Leitung bei den Berliner Jazztagen statt, Ornette Colemans oder Charles Mingus’ Rückkehr von langer Bühnenabstinenz begann in Berlin, aber auch das Ausbuhen eines Duke Ellingtons gehört zur Geschichte dieses Jazzfestivals.

In Kooperation mit dem Bund, Berliner Senat, ZDF und ARD gelang es Berendt zu Beginn der Jazztage eine Finanzstruktur zu entwerfen, die es sonst nur noch für die Bayreuther Festspiele gab.

„Jazz ist politische Musik. Von Anfang an. Von New Orleans an, von 1900 an – nicht weil die Musiker es so gewollt haben – fast 60 Jahre haben sie nahezu nichts davon geahnt –, sondern weil ihre Musik in eine Gesellschaft hineintönte, die sich instinktiv zu ihr im Widerspruch und Widerstand fühlte – und bis zu einem gewissen Grade auch weiterhin fühlt“, lautete jüngst erst eine von Berendts Kernthesen gegen den Kulturkonservativismus.

Widerstand und Jazz gehörten für Berendt untrennbar zusammen, Kunst könne nicht gedeihen ohne das Moment des Widerstands. 1984 war er im Rahmen des New Yorker Jazzfestivals eingeladen, ein „Jazz and World Music“-Konzert im New Yorker Lincoln Center zu organisieren, damit feierte er seinen offiziellen Abschied vom Jazz. Dennoch meldete er sich – neben seiner Karriere im New Age Sektor – in den letzten Jahren auch zum Thema Jazz zurück.

Er äußerte sich besorgt über eine „Faschistoidität des Geschmacks“, doch seine These von der Vergeblichkeit des Widerstandes durch Kunst korrespondierte mit der Möglichkeit des Widerstandes durch Jazz, die er Anfang der Fünfzigerjahre gegen Adorno vertreten hatte. „Gerade deshalb bin ich so erschrocken darüber, dass diese Möglichkeit von modernen Künstlern heute kaum noch ergriffen wird. Das ist auch eine Sache des Bewusstseins der Künstler und nicht nur der Gesellschaft und der Politiker.“

Der Ausgangspunkt seiner Auseinandersetzung mit Adorno war die allgemein bekannte Tatsache, dass Adorno keinen Jazz mochte. Berendt hingegen fühlte sich mit dem Jazz zugehörig zu alldem, was als moderne Kunst galt. Jazz war für ihn nie ein isoliertes Phänomen. Deshalb initiierte er Brückenprogramme mit Jazz und Lyrik oder Jazz und moderner Konzertmusik. „Ich wollte den Jazz also nicht ausgegrenzt wissen und habe deshalb Adornos Position in der Zeitschrift Merkur widersprochen.“ Das war 1953 und ein Stich ins Wespennest, was zur Folge hatte, dass eine Flut von Leserzuschriften einging. Der damalige Chefredakteur Hans Peschke, Berendts Meinung nach einer der großen Zeitschriftenmacher des letzten Jahrhunderts, lud ihn, den gerade Dreißigjährigen, daraufhin zu öffentlichen Diskussionen mit Adorno ein. „Und ich kam dann bald dahinter, dass Adornos Antipathie gegen Jazz einen simplen Ausgangspunkt hatte: In seiner Studienzeit hatte er sich mal als Jazzpianist versucht, und er war ein so miserabler Jazzspieler, dass er nicht angenommen wurde. Deshalb funktionierte seine Antipathie eher nach dem Motto ‚Die Trauben sind sauer‘. Als er nach Amerika kam, blühte diese Antipathie dann besonders auf, denn Jazz und Swing waren die amerikanische Musik jener Tage. Adorno fühlte sich zwar schon als einer der Stars der Frankfurter Schule, fand aber zunächst kaum Beachtung und fühlte sich sehr ausgegrenzt. Aber ich finde auch in seinem ganzen Verhältnis zur Kunst einen Mangel an Sensualität, an Körperlichkeit, auch an Erotik, der natürlich das genaue Gegenteil dessen ist, wofür der Jazz steht.“

Dass der Jazz immer in jener Kulturindustrie gelebt hat, die Adorno so verhasst war, darüber sah Berendt geflissentlich hinweg. Man hätte deswegen annehmen können, dass Berendt sich aufs Glatteis begab, als er sich auf eine Debatte auf Adornos ureigenstem Terrain einließ, auf das Feld des autonomen Kunstwerks und der europäischen Kunstmusik. Doch diese Vermutung sollte sich nicht bestätigen. Heute gehört der Jazz, nicht zuletzt dank Berendt, im Kulturbewusstsein der Deutschen unzweifelhaft zum Gesamtspektrum der modernen Kunst.

Besonders die Substantivierung, die Abstrahierung, die Entsinnlichung von Sprache war für Berendt ein sehr negativer Beitrag, der von Adorno ausgegangen ist. „Wenn sie große Musiker fragen, was sie an Außermusikalischem am stärksten motiviert, ist es immer etwas Spirituelles. Von Bach bis Gustav Mahler bis Schönberg und Nono – wohin sie schauen, und im Jazz ganz besonders. Wenn sie heutige Musikschriftsteller fragen, dann schreiben die über Musik, als ob es dieses spirituelle Moment überhaupt nicht gäbe. Das eint die Frankfurter Rundschau mit der FAZ, ob da nun Jungheinrichs oder Kochs schreiben: das völlige Missverstehen des spirituellen Moments in der Musik.“ Entsprechend war Gerhard R. Kochs Berendt-Nachruf in der FAZ mit „Lust am ödipalen Vatermord“ betitelt.

Adorno wollte das notierte Werk lesen, Berendt hingegen betonte das Hören und Sehen von Musik, das in der oral tradition so wichtig ist. „Und vielleicht ist das auch letztlich der Kern meiner Kontroverse mit Adorno, wie auch jener, die ich mit vielen Jazzkritikern einst hatte. ‚My sax is a sex organ‘, hat Archie Shepp mal gesagt. Unsere ganze Zivilisation bekommt ja heute einen schwarzen Impetus, eine Injektion an Schwärze, von der wir, die ja einst auf verlorenem Außenposten dafür kämpften, nie hätten träumen können. Allein die Art, wie junge Leute sich heute bewegen, zeigt, was sich in dieser Hinsicht verändert hat. Unvorstellbar meiner Generation, die ja immer für ein mehr körperliches Bewusstsein gekämpft hat. Ich genieße heute noch, wenn ich in schwarzen Städten durch die Straßen gehe, die völlig anderen Bewegungsabläufe jener Menschen zu beobachten, diesen federnden, schwingenden Gang.“

Doch der Jazzmächtige Berendt machte sich nicht nur Freunde. Vorwürfe wurden laut, er hätte in die eigene Tasche gewirtschaftet und sich von der amerikanischen Jazzmafia abhängig gemacht. 1971 wurde er durch einen Artikel des damaligen Spiegel-Autors und heutigen SFB-Redakteurs Schmidt-Joos zum Rücktritt von der Jazztage-Leitung gedrängt. In Berendts Autobiografie „Das Leben – Ein Klang“ (1996) wird deutlich, wie schwer ihm das zusetzte, von einem aus den eigenen Reihen, „moralisch fertig gemacht“ zu werden. Schmidt-Joos ist der einzige unter zahlreichen „Freunden, die zum Verräter wurden“, den Berendt noch namentlich nannte. Wer sich wie Berendt inszenierte, zieht sich leicht eine ganze Seilschaft des Missmuts zu. Ausgerechnet der einstige Jazzredakteur des NDR, Michael Naura, wirft Berendt nun im Berliner Tagesspiegel posthum vor, eher ein „Trommler“ gewesen zu sein. Berendt, der so vehement Widerstand einklagte, duldete selbst keinen Widerspruch. Er starb am 4. Februar in Hamburg an den Folgen eines Verkehrsunfalls.