Konfrontation von Insel und Kontinent

Erstmals stehen in Paris sieben korsische Nationalisten wegen Erpressung vor Gericht. Die Angeklagten erkennen Frankreichs Justiz nicht an und berufen sich auf Gedächtnislücken. Doch die Indizien wiegen schwer ■ Aus Paris Dorothea Hahn

„Der FLNC-Canal historique verlangt vier Millionen Franc von Ihnen“, sagt der hagere, kleine Mann, der sich als „Gulliver“ vorstellt, zu dem Golfplatzbesitzer. Dann klingelt mehrfach das Handy des kleinen „Gulliver“, und der ohnehin nervöse Erpresser, hat es plötzlich eilig. „Sie wissen, wer hinter mir steht“, sagt er beim Abschied, „wenn Sie nicht zahlen, riskieren sie Konsequenzen.“

Am nächsten Tag schon ist es für den Golfplatzbesitzer Jacques Dewez zu spät. Am Mittwoch, den 11. Dezember, gegen 11 Uhr explodiert eine Bombe auf seinem Golfplatz im korsischen Küstenort Sperone. Sie zerstört ein Wärterhäuschen. Gleichzeitig mit dem Häuschen geht auf der Insel das jahrzehntelang gültige Gesetz des Schweigens zu Bruch: Jacques Dewez erstattet Anzeige.

Zwei Jahre danach sitzen in dieser Woche sieben korsische Nationalisten als mutmaßliche Erpresser vor der 17. Strafkammer im Pariser Justizpalast. Gemeinsam sollen sie den Coup gegen den Golfplatzbesitzer und Immobilienspekulanten organisiert haben. Es ist das erste Verfahren gegen Erpresser aus dem nationalistischen Milieu, die versucht haben „revolutionäre Steuern“ einzutreiben.

Neben den fünf mutmaßlichen Handlangern – darunter Fischer, Bäcker und Multitalente wie „Gulliver“, der im bürgerlichen Leben Filippeddu heißt und schon wegen zwielichtiger Geschäfte aus dem nichtkorsischen Milieu vor Gericht gestanden hat, sitzen auf der Anklagebank auch die beiden mutmaßlichen Drahtzieher. Sie waren zum Tatzeitpunkt zentrale und inselweit gefürchtete Figuren der Nationalistenszene und zugleich ein Liebespaar: François Santoni, der langjährige Chef der „A Cuncolta“, der „legalen Vitrine des FLNC-Canals historique“, und Marie-Hélène Mattei, die Anwältin der Organisation.

Santoni und Mattei haben seit der Tat viele Monate in Haft gesessen. Offiziell hat der kahl geschorene Santoni keine Führungsposition in der Nationalistenszene mehr. Seine Nachfolger an der Spitze der Nationalistenorganisation haben offizielle Verhandlungen mit dem französischen Premier begonnen. Und die schöne Mattei mit dem stolz verächtlichen Blick hat die Beziehung zu Santoni längst abgebrochen.

Aber die Fronten sind die alten geblieben. Im Pariser Gericht konstruieren die Angeklagten und ihre Anwälte eine Konfrontation von Kontinent und Insel. Von Franzosen, die in der Nationalistenszene „allogènes“ heißen und denen sie am liebsten das Wahlrecht entziehen würden, und von Korsen. Nachdem der Angeklagte Santoni tagelang fast nichts, und wenn, dann nur flüsternd geäußert hat, fragt ihn der Vorsitzende Richter Monfort am Mittwoch: „Was denken Sie über dieses Verfahren?“ – „Es ist eine Montage des französischen Staates, um den korsischen Nationalismus zu diabolisieren“, antwortet Santoni. „Haben Sie kein Vertrauen in die Justiz Ihres Landes?“, forscht der Richter. „Dies ist nicht mein Land“; antwortet Santoni. Die angeklagte Nationalistenanwältin Mattei rechtfertigt ihre Lügen gegenüber dem Untersuchungsrichter Bruguière damit, dass der „die Wahrheit nicht verdient“ habe.

Nicht nur die beiden Prominenten, sondern auch vier der anderen Angeklagten bestreiten jede Tatbeteiligung. Auf konkrete Fragen des Richters haben sie keine oder ausweichende Antworten oder geben „Gedächtnislücken seit einem Arbeitsunfall“, wie der Fischer Rossi, zu Protokoll.

Bloß der kleine „Gulliver“ gibt seinen Erpresserbesuch im Pariser Büro des Golfplatzbesitzers zu. Allerdings will er seine Auftraggeber nicht gekannt haben. Santoni und Mattei will er nie gesehen haben. Als Tatauslöser erzählt er eine abenteuerliche Geschichte von einer korsischen Landstraße. Unbekannte und Vermummte hätten ihn nach einer durchzockten Nacht angehalten und ihn zu der Erpressung zu Gunsten des „FLNC-Canals Historique“ gezwungen, behauptet er.

Dabei wiegen die Indizien gegen alle Angeklagten schwer. Besonders ihre Handys, mit denen sie beinahe ständig in Kontakt standen, haben sie verraten. Aber auch die auf der Insel vielfach erfolgreich eingesetzte umständliche Anbahnung der Erpressung ist ihnen diesmal zur Falle geworden. Zuerst hatten der Fischer Rossi und sein Kumpan Gros den Golfplatz von Sperone besucht und einen Kontaktwunsch der Nationalistenanwältin angemeldet. Dann war Mattei nach Paris gereist, um den Besuch von „Gulliver“ anzukündigen. Schließlich war der kleine Mann selbst aufgetaucht.

Im Gegensatz zu den Angeklagten hat der Hauptzeuge nichts an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Dabei hat Golfplatzbesitzer Dewez nach dem Erpressungsversuch überhaupt nicht so reagiert wie ein ordentlicher Citoyen. Er rief zunächst seine hochrangigen korsischen Freunde an, einen Bürgermeister, einen Parlamentsabgeordneten und einen Ex-Präfekten. „Warum haben Sie nicht bei der Polizei Anzeige erstattet?“, fragt Richter Monfort. Der Zeuge hält kurz inne. „Ach, wissen Sie“, sagt er, „wenn man auf Korsika zur Polizei geht, führt das nie sehr weit.“