Pro und Contra Schwarz-Grün: Ist die Zeit reif?

Ist ein Bündnis mit der Union für die Grünen politischer Selbstmord? Oder ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt dafür?

Passt das zusammen? Bild: reuters

Contra: Das Zeitfenster öffnet sich erst 2017

Sprechen die Inhalte gegen Schwarz-Grün? Nein, überhaupt nicht. Bei den wichtigsten Projekten wären sich Angela Merkel und Jürgen Trittin wohl in wenigen Minuten einig. Die Grünen dürften die Energiewende organisieren, die CDU hielte die Wirtschaft bei der Stange. Bei der Bildung wollen beide Ähnliches, beim Mindestlohn oder Spitzensteuersatz wären Kompromisse flott gefunden. Die letzten Felsbrocken in der Gesellschaftspolitik könnten beide ignorieren, bis Karlsruhe sie wegräumt - siehe Adoptionsrecht für Homosexuelle.

Wer im Jahr 2013 ernsthaft behauptet, die inhaltlichen Differenzen zwischen Merkels weichgespülter Union und den staatstragend-braven Grünen seien unüberbrückbar, liegt also falsch. Und dennoch: Schwarz-Grün wird es nach dieser Wahl nicht geben, das ist so gut wie sicher. Grund ist die strategische Gefechtslage. Jedes Bündnis hat sein historisches Zeitfenster, und das für Schwarz-Grün wird sich im Bund erst 2017 öffnen.

Zunächst wäre da Merkels Präferenz für eine Große Koalition. Sie hat sie mit ihrem Anruf bei Sigmar Gabriel am Tag 1 nach der Wahl mehr als deutlich gemacht. Die auf Sicherheit bedachte Kanzlerin will in einer Legislaturperiode, die wieder durch die europäische Krise geprägt sein wird, eine große Mehrheit und verlässliche Partner, die sie kennt. Und sie will kein Experiment, das im Bundesrat eine Übermacht gegen sich hätte.

Und die Grünen? Die sind im Moment eine tief verunsicherte Partei. Der Ausgriff in die bürgerliche Mitte ist gescheitert, nur gut 8 Prozent Stammwähler blieben treu - und für die wäre Schwarz-Grün eine grandiose Provokation. Die Grünen haben Merkel im Wahlkampf zur Hauptfeindin erklärt und sich gleichzeitig an die SPD gekettet. Einen brutalen Schwenk könnte die grüne Basis als moralische Bankrotterklärung interpretieren.

In der Partei drängen jetzt junge, gute Leute in Spitzenpositionen. Dieser Generationenwechsel war überfällig, doch die neue Führung wäre mit dem Management einer Regierungsbeteiligung heillos überfordert. Ihr fehlte das Gewicht, um die Partei in den neuen Kurs zu zwingen - und sie würde von Merkels übermächtiger Union an die Wand gedrückt. Für die Kanzlerin ist ein schwarz-grünes Bündnis also nur die unattraktivere Variante, doch für die Grünen wäre es im Moment politischer Selbstmord. Aber sich für 2017 alle Optionen offenzuhalten, dagegen spricht nichts. Ulrich Schulte

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Pro: Wenn nicht jetzt, wann dann?

Es stimmt, dass die Grünen schwer mit sich selbst beschäftigt sind, aber darf man eine Partei aus der Verantwortung entlassen, bloß weil sie sich gerade nicht gut fühlt? Nein! Denn sie verpasst eine einmalige Chanc.

Sicher stehen die Grünen vor dem überfälligen Generationswechsel. Daraus zu schließen, bei den Neuen handele es sich um Polit-Azubis, die nichts auf die Reihe kriegen, ist aber fatal. Gerade die Grünen standen mal für neue Kräfte, nicht durch jahrzehntelange Politprofession glatt geschliffen, die an der Spitze stehen. Zudem sollte es in einer Koalition weniger um Personen gehen als um Inhalte. Das spricht erst recht für Schwarz-Grün. Nehmen die Grünen ihr linkes Wahlprogramm ernst, kann das zu echter Politikveränderung führen – wenn sie gewissenhaft sondieren.

Bleibt ein heikler Punkt: Wäre eine Koalition mit der Union für die linksdenkende, CDU-kritische Restwählerschaft kein Affront? Für Schwarz-Weiß-Denker mit Scheuklappen: Ja. Aber wenn die Grünen mit der Union eine gerechtere Steuerpolitik aushandeln, dann muss gerade für linke Grüne gelten: Warum denn nicht?

Denn eins ist klar: 2017 wird die Partei ihren Schwenk zum Konservatismus abgeschlossen haben und so perfekt zur CDU/CSU passen, dass sie in einer Koalition nicht mehr auffällt. Für linksgrüne Politik in einer Bundesregierung gibt es daher genau ein Zeitfenster: jetzt! Gereon Asmuth

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Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters

Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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