Normierungsdruck

■ Esoterik statt Geschlechterkampf: Der Orlanda Frauenverlag feiert sein 25-jähriges Bestehen – und sucht nach neuen Inhalten

Ika Hügel-Marshall ärgert sich über den Ideenklau der großen Medien. Sie macht die Pressearbeit bei Orlanda und sie findet, dass dem Frauenverlag mehr Ruhm und Ehre gebührt. Zumal in diesem Jahr, da die Orlandas den 25. Verlagsgeburtstag feiern: „Wir leisten diese unglaubliche Arbeit, aber die Öffentlichkeit zeigt erst Interesse an unseren Themen, wenn sie im Stern auftauchen.“

Seit 1974 geben die Orlandas Bücher zur Frauenbewegung heraus: Aufklärung über Körper und Patriarchat in den Siebzigern, Kreuzung von Antisexismus und Antirassismus in den Achtzigern, lesbische Belletristik und ein lesbischer Berlinführer in den Neunzigern sind die Wegmarken.

Keiner der großen Verlage, sagen die Orlandas, hätte sich ihrer Themen angenommen, aber alle sind nach einiger Zeit aus der schmalen frauenbewegten in die breite Öffentlichkeit durchgesickert.

Genugtuung zum Geburtstag kommt dennoch nicht auf, wenn sich der Mainstream beim kleinen Kreuzberger Verlag bedient: „Er bedankt sich ja nicht.“

Kein Dank. Auch nicht von den selbstbewussten Frauen der Gegenwart, denen, so die 52-jährige Hügel-Marshall, „die Frauenbewegung doch erst den Weg geebnet hat“: Sieht so die Bilanz von 25 Jahren feministischer Verlegerei aus?

Den Frust, diesen Ausweis von Nischenbewusstsein, leisten sich die Orlandas nur, wenn sie gefragt werden. Sie wollen ja gerade heraus aus der Nische. Deshalb, sagt Lektorin Ekpenyong Ami (32), steht auf den Büchern nur noch „Orlanda“, nicht mehr „Frauenverlag“. „Die Bücher werden sonst nicht gekauft oder landen in den Läden im Frauenregal, ganz hinten.“ Und die Orlanda-Autorinnen gehören „nicht in irgendeine Ecke“, ergänzt Hügel-Marshall: Sowenig, wie der Kampf gegen männliche Dominanzkultur eben in irgendeine Ecke gehört.

Um nur ein paar Namen zu nennen: 1981 erschien „Trotz allem“ von Ellen Bass und Laura Davis, der erste Ratgeber in Deutschland über sexuellen Missbrauch. Christina Thürmer-Rohr hat bei Orlanda ihre Klassiker zur Frage weiblicher Mitschuld am Patriarchat veröffentlicht. Und Orlanda ist der Verlag von May Ayim, der afrodeutschen Dichterin, die sich 1996 das Leben nahm.

Die Zeiten, in denen sich die Leserinnen gerne duzen ließen, sind vorbei. Das Wir, diese ewige Unterstellung, dass alle Frauen gemeinsame Interessen hätten, wird nicht mehr gebilligt. Im Gegenteil: Überdruss hat sich breitgemacht, auch bei ehemals bewegten Frauen. Das haben auch die Orlandas gemerkt: „Wir machen keine Textbücher der Bewegung mehr“, sagt Ami. „Man muss jetzt andere Formen suchen.“

Aber welche? „Wir geben uns nicht zufrieden, es ist noch nicht alles erreicht“, erklärt Ami. Einerseits. Andererseits trifft es sich verdächtig gut, dass medizinische Ratgeber ein Renner am Buchmarkt sind. Orlanda hat sich angepasst: Gesundheit, Heilkunde und Esoterik füllen die ersten Seiten des diesjährigen Gesamtverzeichnisses. Wohin der Verlag steuert, markiert Ami dann auch lieber mit anderen Stichworten: Jugend, zum Beispiel. Noch im November präsentiert Orlanda den ersten Ratgeber für lesbische, schwule und bisexuelle Jugendliche, „Wir lieben, wen wir wollen“. Da ist es wieder, das Wir.

„Jugendliche, gerade Mädchen, stehen immer noch unter unvorstellbarem Normierungsdruck“, sagt Hügel-Marshall dazu. An den Jugendlichen sei ablesbar, dass die Fragen der Frauenbewegung noch nicht beantwortet seien, ergänzt Ami: „Ist es unsere Welt? Oder ist es immer noch eine Männerwelt?“

Ulrike Winkelmann

Diskussion zu „Wir lieben, wen wir wollen“ heute, 18.30 Uhr, Kulturzentrum Wabe, Danziger Straße 101