Dt.-Viet. Mediendialog: Von Verwirrung bis Verständnis

Wie funktioniert eigentlich Zensur in Vietnam, wer hat einen Presseausweis und wer versteht das „Dekret 72“?

Umwege erweitern die Ortskenntnis. Bild: dpa

Im Oktober 2013 fand der zweite Deutsch-Vietnamesische Mediendialog mit dem Thema „Wie verändert das Internet die Medienlandschaft?“ im Goethe-Institut Hanoi statt. Hier wurde deutschen und vietnamesischen JournalistInnen die Gelegenheit gegeben, sich über die Unterschiede und den Wandel des Berufs in den verschiedenen Ländern auszutauschen. Die Teilnehmenden, darunter auch drei VertreterInnen vietnamesischer Ministerien, haben überraschend offen über Korruption, Zensur, Zusammenarbeit mit der Polizei und ihren Konflikt zwischen der Verantwortung als JournalistInnen und den Repressionen der Regierung berichtet.

Vielen Anwesenden war nicht klar, wie das Mediensystem in Vietnam funktioniert, und wie Zensur konkret aussieht. Obwohl offensichtlich ist, dass in einem Land, welches ausschließlich von der Kommunistischen Partei regiert wird, keine Pressefreiheit zu erwarten ist, kann wenig darüber in der internationalen Berichterstattung gefunden werden. Der Deutsch-Vietnamesische Mediendialog vom Auswärtigen Amt und dem Goethe Institut sollte ein wenig Licht ins Dunkel bringen. Gerade die persönlichen Geschichten waren es, die den Arbeitsalltag in einem völlig anderen politischen System am besten verdeutlich haben. So entbrannten Diskussion um die Frage, ob es erlaubt sei, dass JournalistInnen Straftaten begehen, um Korruption aufzudecken, um die Copy-Paste-Kultur und die Vermischung von redaktionellen und gesponserten Beiträgen. Sicherlich Fälle, die in Vietnam u.a wegen des wirtschaftlichen Drucks eine ganz andere Relevanz haben und wohl auch deshalb mehr Akzeptanz genießen.

In Vietnam darf nicht jedeR JournalistIn sein, Interviews führen und schreiben, geschweige denn seine Meinung verbreiten. Informationen erhalten diejenigen, die einen Presseausweis besitzen, und einen Presseausweis haben diejenigen, die eine Ausbildung an einer staatlichen Universität genossen haben und mit ihren Beiträgen noch nicht negativ aufgefallen sind. Ist der Ausweis weg, gibt es keinen Zugang zu Pressekonferenzen, keine Interviewtermine und keine Auskunft von Ministerien. Regierungskritische Texte unter dem eigenen Namen zu veröffentlichen, überlegt sich Mensch da zweimal, und selbst wenn diese Entscheidung getroffen wurde, muss noch eine der staatliche Zeitungen den Text drucken. Diese haben aber genaue Vorgaben, was geschrieben werden darf. Laut eines Teilnehmers des Mediendialoges treffen sich die VertreterInnen des Ministeriums für Information und Kommunikation wöchentlich mit den ChefredakteurInnen, um die kommenden Inhalte zu besprechen. Meist sind diese ChefredakteurInnen zudem vom Staat gestellt. Abweichungen von der festgelegten Linie gibt es kaum, private Zeitungen auch nicht.

Als Alternative selbst ein Blog zu schreiben oder seine Texte über Soziale Medien zu verbreiten, ist nicht nur gefährlich (es wurden im Jahr 2013 knapp 50 BloggerInnen in Vietnam festgenommen), sondern braucht seit Einführung des „Dekrets 72“ auch eine Genehmigung. Was genau darunter fällt, ist keiner der anwesenden Personen klar, obwohl eine Vertreterin des Ministeriums vor Ort ist, die am Schreiben des „Dekrets 72“ beteiligt war. Bei den ausufernden Erklärungsversuchen, in welchen Fällen das Dekret in Kraft tritt, und was für Folgen das hat, scheiterte die sonst perfekt funktionierende Simultanübersetzung. Die Ausführungen des Ministeriums standen damit am Ende der Diskussion als „zu wirr zum Übersetzen“ im Raum. Markus Beckedahl und Christian Bartels verweisen in ihren Berichten über den Mediendialog u.a. auf weitere Artikel zum Thema Einschränkung der Meinungsfreiheit durch das „Dekret 72“.

Als VertreterIn der taz bin ich nach Hanoi gefahren, um von der Gründung der taz als Gegenöffentlichkeit, der Zeitung als Genossenschaft und über taz-zahl-ich und das Finanzierungskonzept von taz.de zu berichten. Dass unabhängiger Journalismus in Vietnam durch Spenden finanziert wird, ist nicht nur wegen der gesetzlichen Lage noch nicht denkbar, sondern auch, weil das Bewusstsein über die Relevanz noch wachsen muss. Und genau das ist erfreulicherweise gerade der Fall, wie alle Teilnehmenden des Dialogs bestätigen können. Großen Zuspruch auf vietnamesischer Seite fand die Idee der Quersubventionierung von Journalismus z.B. über den Verkauf von tazpresso. Die vielen Nachfragen und Bezugnahmen in der Diskussion auf diese Thematik zeigten, welche gedanklichen Kettenreaktionen unsere alternativen Finanzierungskonzepte angestoßen haben.

Mitgenommen hat jedeR das worauf sie oder er sich einlassen konnte, oder manchmal welchen Ausführung eher Glauben geschenkt werden konnte. Es wird z.B. unterschiedlich interpretiert, dass das Ministerium für Information und Kommunikation auf vietnamesisch noch immer Information und Propaganda heißt. Die einen sehen die Umbenennung im Englischen als einen ersten richtigen Schritt, dem weitere folgen werden. Die anderen sehen es als Zeichen, dass außerhalb von Vietnam ein Bild des Landes kreiert wird, welches nicht der Wahrheit entspricht.

Die Abschlussrunde zeigte, Verständnis für und die Kritik an den Arbeitsweisen des jeweils anderen Landes waren nicht alles, was mitgenommen wurde. Auch der Vergleich innerhalb der Ländergruppen brachte interessante Unterschiede, z.B. in welchem Umfang gesponserte Beiträge und Anzeigen erscheinen, wie diese gekennzeichnet werden und wohin die Gelder fließen. Ein für mich besonders starkes Statement der Abschlussrunde war: „Danke, dass ich seit dem Mediendialog wieder weiß, welch hohe Verantwortung auf dem Rücken der JournalistInnen liegt. In Deutschland vergessen wir das manchmal“. 

Zusatz: In dem Bericht „Vietnam – Programmierter Tod der Informationsfreiheit" stellt Reporter ohne Grenzen die Methoden und Strukturen dar, mit denen die Regierung Medien, Blogger und Web-Aktivisten verfolgt und schikaniert. Hier geht es zum Download.

Aline Lüllmann