Den schnöden Mammon unterlaufen

Je mehr Leute mitarbeiten, desto mehr Fehler werden entdeckt: Auf „Wizards of OS“, Deutschlands erster Konferenz zu freier Software und offenen Quellen, ging es um den Wert kostenlosen Wissens  ■   Von Martin Ebner

Der Kapitalismus ist schlecht! Konsumterror und eitler Tand überziehen die Welt. Die ganze Welt? Nein! Ausgerechnet Computerexperten, die Hoffnungsträger des Kapitals, unterlaufen das schnöde Gewinnstreben: Sie entwickeln gratis Computerprogramme, verschenken sie samt dem offen gelegten Programmtext und laden alle zur Kritik ein. Über 400 dieser aufrechten Menschen trafen sich am Freitag und Samstag im „Haus der Kulturen der Welt“ zur Konferenz „Wizards of OS“.

Die erste deutsche Veranstaltung zum Thema „Offene Quellen und Freie Software“ wurde von dem Berliner Verein „mikro“, dem Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie und dem Informatik-Institut der Humboldt-Universität organisiert. Auch kapitalistische Firmen und die Bundesregierung waren vertreten – „Freie Software“ ist zu wichtig geworden, um ignoriert zu werden.

Die meisten Teilnehmer kamen aber nicht mit Krawatte zu den Vorträgen und Workshops, sondern entsprachen dem Bild, das die Öffentlichkeit von Computerfreaks hat: jung, männlich, in der Lage, sich auch über die hundertste Wiederholung eines Wizard-of-Oz-Films zu freuen – und unfähig, mit normalen Menschen eine gemeinsame Sprache zu finden. Laien, die sich am ersten Tag zu der Konferenz verirrten, waren verloren: Rätselhafte Abkürzungen und Zahlen flogen durch den Konferenzsaal. Erst am Samstag wurde verständlicher erklärt, was Freie Software für Gesellschaft, Wirtschaft und Politik bedeutet.

Begonnen wurde die Konferenz mit einem Rückblick: Wie es dazu kam, daß aus der ursprünglich frei für alle zugänglichen Software ein streng geheimes Wirtschaftsgut wurde. Danach stellten sich Vertreter von Projekten vor, die sich dafür einsetzen, daß Software wieder frei wird: Ihr Ziel sei nicht Geld, sondern – ähnlich wie bei Wissenschaftlern – Ruhm und Ehre. Ihnen gehe es hauptsächlich um die Anerkennung der Kollegen: für eine gute Idee oder für wirklich gelungene Verbesserungen von Programmfehlern. Da sich die Software-Entwickler dank E-Mail weltweit schnell und fast ohne Kosten vernetzen können, lesen und korrigieren viele von ihnen die Quellencodes der Freien Software. Folglich sind die frei zugänglichen Programme besser als die von kommerziellen Firmen entwickelte „proprietäre Software“, deren Quellcode als Betriebsgeheimnis gehütet wird: Je mehr Leute mitarbeiten können, desto mehr Fehler werden entdeckt. Entsprechend groß ist der Marktanteil von Freier Software: „Linux“ erlebt gerade einen enormen Aufschwung, „FreeBSD“ wird von bekannten Internet-Diensten wie „Yahoo!“ oder „Hotmail“ verwendet, und „Apache“ ist der verbreiteste Webserver.

Obwohl bei „freier Software“ außer dem Selbstkostenpreis der Vervielfältigung keine Kosten anfallen, nimmt ihre wirtschaftliche Bedeutung doch ständig zu: Folglich ist in der Programmierergemeinde heftig umstritten, wieviel Wettbewerb, Kapitalismus und Korruption dabei erlaubt sein soll und wer befugt ist, für die reine Lehre zu sprechen.

Neben Sicherheits- und Rechtsfragen wurde auf der Konferenz diskutiert, ob Freie Software nicht sogar zu einer ganz neuen Ökonomie führe: Nicht die – digital gratis und beliebig kopierbaren – Produkte selbst müssen mehr bezahlt werden, sondern erst die Beratung und andere Dienstleistungen dazu. Wie jedes Paradies ist aber auch das der altruistischen Software-Entwickler bedroht: Böse Großkonzerne wollen die neue Welt in alte Patent- und Urheberrechtskonzepte pressen; ganz zu schweigen von den Versuchungen des Mammons. Frank Gessner von der kommerziellen Firma „Intershop“ beispielsweise erklärte ungeniert: „Geldverdienen ist nicht böse“, und: „Wir suchen noch Leute.“ Ob da nicht mancher Programmierer doch schwach wurde?

Allerdings wäre es ganz falsch, nur Gratis-Software als „frei“ zu bezeichnen. „Es geht nicht so sehr um Geld – sondern um Freiheit“, machte Richard Stallman, Guru und Gründer der „Free Software Foundation“, klar: „die Freiheit, Software zu nutzen, ihren Quellcode zu studieren und zu verändern – und Kopien für Freunde zu machen. Der freie Austausch von Wissen stärkt die Gesellschaft. Freie Software ist eine politische Philosophie.“ Nach diesem Grundsatzreferat verkleidete sich Stallman als Heiliger, segnete die Anwesenden und sprach: „Exorziert alle böse proprietäre Software von euren Computern – installiert nur Freie Software!“ Informationen zum Kongreß und Mailingliste:www.mikro.org/wos