Linken-Abgeordneter über Jugendhilfe-Qualität: „Blick von außen“

Nach dem Tod der kleinen Yagmur fordert Jugendpolitiker Mehmet Yildiz eine Enquete-Kommission. Externe Sachverständige könnten besser als Abgeordnete die Schwachstellen finden.

Plakate, Rosen, Kerzen und Kuscheltiere: Erinnerung an die dreijährige Yagmur in Hamburg-Billstedt. Bild: dpa

taz: Herr Yildiz, nach dem Tod der kleinen Yagmur fordern Sie eine Enquete-Kommission zur Überprüfung der Jugendhilfe. Was soll das bringen?

Mehmet Yildiz: Wir haben jetzt mit Yagmur den sechsten Todesfall eines Kindes, das unter dem Schutz der Jugendämter stand. Das zeigt uns: Das ganze Kinder- und Jugendhilfesystem hat erhebliche Schwierigkeiten, die Sicherheit der Schwächsten zu gewährleisten.

Es gab gerade erst einen Sonderausschuss anlässlich des Todes des elfjährigen Pflegekindes Chantal. Was hilft es, schon wieder ein Sondergremium zu installieren?

Wir waren nicht für diesen Sonderausschuss. Wir hätten auch im Fall Chantal lieber eine Enquete-Kommission gehabt. Und wir haben dem Abschluss-Petitum des Sonderausschusses nicht zugestimmt, weil das unserer Meinung nach nichts bringt. Denn der Sonderausschuss hat im Grunde nur schärfere Kontrollen für Pflegefamilien und Jugendhilfe beschlossen, die Sozialsenator Detlef Scheele schon kurz nach dem Tod von Chantal im Februar 2012 in der Bürgerschaft angekündigt hat.

Was kann eine Enquete-Kommission besser machen?

Dort wären externe Expertinnen und Experten, die einen Blick von außen auf das Jugendhilfesystem werfen können. Die bisherigen Sonderausschüsse haben nichts gebracht. Sie haben Einzelfallprüfungen angestellt und Fehler festgestellt. Wichtig ist aber festzustellen, welche Probleme das gesamte Jugendhilfesystem hat, um diese an der Wurzel zu packen.

35, ist familienpolitischer Sprecher der Linksfraktion und Mitglied des Familien-, Kinder- und Jugendausschusses.

Haben Sie eine These, was falsch läuft?

Der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) ist fast nur mit Kontrollaufgaben beschäftigt und hat zu wenig Zeit, sich seinen eigentlichen Aufgaben zu widmen: mit den Betroffenen zu reden und zu handeln. ASD-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen bis zu 70 Prozent ihrer Arbeitszeit für Dokumentation aufwenden. Der Kontakt zu den Menschen wurde an öffentliche und private Träger delegiert. Zum anderen müssen wir darüber reden, was die Kinder, Eltern und Familien eigentlich brauchen. Diese Betroffenen wurden in den Ausschüssen nie einbezogen und angehört. Und wir wollen untersuchen, welche Rolle die Privatisierung der Jugendhilfe und die steigende Armut bei der Kindeswohlgefährdung spielt.

Auch eine solche Enquete-Kommission wird nur einen Bericht mit Empfehlungen vorlegen. Sie wird vermutlich nicht verhindern können, dass eines Tages wieder ein Kind stirbt.

Das ist richtig. Aber es bringt nichts, wenn man weiterhin nur kleinteilig an Symptomen herumdoktert. Wir müssen das ganze Hilfesystem komplett durchleuchten und gucken, wo die Schwachstellen sind, damit man dementsprechend Rahmenbedingungen schafft.

Sie sind mit dem Antrag vor zwei Jahren gescheitert. Stehen die Chancen jetzt besser?

Wir brauchen ein Fünftel der Abgeordneten, um diesen Antrag durchzubringen. Im Frühjahr 2012 hatten wir die nötigen Stimmen fast zusammen, dann sind die Grünen aber wieder abgesprungen. Wir werden wieder Gespräche führen und für eine Enquete-Kommission werben.

INTERVIEW: KAJ

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