Achten, ächten etc.
: Schamhaare für den Staatsanwalt

■ Allein gegen das Böse in der Welt und im Comic. Wie ein aufrechter Verein und ein Staatsanwalt einen Prozeß gegen einen thüringischen Comic-Verlag ins Rollen brachten

Früher verkauften Freaks in der Fußgängerzone den Wachturm oder schickten regelmäßig durchgeknallte Leserbriefe an die Lokalzeitung. Ansonsten gingen sie der Menschheit nicht weiter auf den Wecker. Doch seit Michael Brenner, arbeitsloser Erzieher aus 69151 Neckargemünd, gegen die „Frauen- und Kinderverachtung“ kämpft, ist alles anders. Er kommt ins Fernsehen und stellt Strafanzeige um Strafanzeige, gegen die Frauen- und Kinderverachter von Pro Familia zum Beispiel. Einen Verein hat Brenner auch: „M.U.T. – Menschen, Umwelt, Tiere“.

Vor dem Landgericht im thüringischen Meiningen läuft derzeit ein grotesker Prozeß, ins Rollen gebracht durch eine Anzeige Brenners und vorangetrieben durch den Oberstaatsanwalt Reinhard Hönninger. Angeklagt sind die drei Geschäftsführer der Sonneberger Edition Kunst der Comics – wegen der Verbreitung „gewaltverherrlichender und pornographischer Schriften“. Dem Verfahren geht eine Provinzposse voraus, die im Juni 1995 ihren Anfang nahm: 40 Polizisten, angeführt von Hönninger, stürmten damals die Büroräume des Verlages und des Auslieferungsunternehmens Packwahn in Sonneberg. Dabei beschlagnahmte der Suchtrupp Comic-Alben, gegen die vorher schon erfolglos Indizierungsanträge angezettelt worden waren – unter anderem Ralf Königs „Kondom des Grauens“. Dem Rundumschlag zum Opfer fiel – wegen „nationalsozialistischer Propaganda“ – sogar „Der Schrei nach Leben“, Paul Gillons Comic über den Widerstand im Warschauer Ghetto. Im April 1996 ließ Hönninger dann via „Ermittlungsverfügung“ in rund 1.000 Buchhandlungen nach dem von ihm inkriminierten, aber von keinem Gericht beanstandeten Comics fahnden. „Schlimmer als das Vorgehen der englischen Justiz gegen ,Lady Chatterley's Lover‘“, befand sogar der Börsenverein des deutschen Buchhandels.

Den Schaden schätzt der Sonneberger Verlag auf 800.000 bis eine Million Mark. „Außerdem kostet uns jeder Prozeßtag zwei Tage Vorbereitung und einen Tag Nachbereitung“, sagt Achim Schnurrer, einer der Beschuldigten. Über acht Alben wird derzeit verhandelt, darunter über anerkannte Meisterwerke wie Frank Millers „Hardboiled“. Der haarsträubendste Vorwurf der Anklage betrifft das Album „Alkoven-Geheimnisse“ von Ferocius. Um nicht weniger als „Kinderpornographie“ soll es hier gehen. Hönninger argumentiert mit einem Bild, in dem eine erwachsene Frau – aus einem Land stammend, in dem schon Kinder verheiratet werden – sich unter Hypnose an ein traumatisches Sex-Erlebnis mit ihrem Verlobten erinnert. „Als Beweis für seinen Vorwurf dient Hönninger eine dazugehörige Sprechblase mit dem Text ,Damals war ich 13‘“, sagt Schnurrer. Bei anderen Bildern bewies der Staatsdiener seine Künste als „Schamhaarzähler“ (Schnurrer). Die Dichte der Behaarung bei den dargestellten Figuren ließe darauf schließen, daß diese jünger seien als 14, argumentierte der Ankläger.

Der Gutachter der Anklage setzte noch eins drauf: Der Indizierungsfanatiker Werner Glogauer, vom Spiegel schon 1992 als Mitglied des „wissenschaftlichen Beirats“ der rechten Psychosekte VPM geoutet, ging kaum auf die inkriminierten Werke ein, referierte lieber über die Schädlichkeit von Medien und Werbung im allgemeinen und verstieg sich zu der These, Asterix und Micky Maus seien gewaltverharmlosend.

Voraussichtlich am 1. März wird das Meininger Gericht ein Urteil sprechen, und eigentlich kann es über die Entscheidung keinen Zweifel geben – zumindest wenn man das sogenannte Mutzenbacher-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1990 zum Maßstab nimmt. „Die Indizierung einer als Kunstwerk anzusehenden Schrift setzt auch dann eine Abwägung mit der Kunstfreiheit voraus, wenn die Schrift offensichtlich geeignet ist, Kinder oder Jugendliche schwer zu gefährden“, heißt es in der Urteilsbegründung. Auch wenn ein „Roman möglicherweise zugleich als Pornographie anzusehen“ sei, nehme ihm das nicht die Kunsteigenschaft. „Ihre Anerkennung darf nicht von einer staatlichen Stil-, Niveau- und Inhaltskontrolle oder Beurteilung der Wirkungen des Kunstwerks abhängig gemacht werden.“

So ein „lau-liberales Demokratieverständnis“ ist für Michael Brenner „irgendwo Untergang“. „Ich kenne die Position der taz. Ihr steht auf der Seite der miesen Typen, die diesen Dreck veröffentlichen. Aber jetzt mal Klartext: Die Befürworter der Perversion sägen am Ast, auf dem sie sitzen. Das Land steht am Abgrund. Wir brauchen keinen Hitler mehr, wir brauchen keinen Lenin, wir machen das schon selbst.“ Wird M.U.T. dagegenhalten? Der apokalyptische Querfeldeinreiter verbreitet Hoffnung: „Ich weiß, daß man so'n Land auf den Kopf stellen kann, wenn man 50 bis 100 Leute hat, die intensiv mitarbeiten.“ Aber ein bißchen dauern wird's dann wohl noch mit der Rettung Deutschlands. Zum harten Kern des Vereins gehören derzeit nur 20 Mutige. René Martens