Schlimmer als der deutsche Lauschangriff

■ Die EU will alles von den Bürgern wissen: Nicht nur Kontonummer, Paßwörter und Gebühr

Bonn (taz) – Der neue satellitengestützte Telefonverkehr und das Internet läßt die Fahnder der europäischen Länder erschauern. Sie fürchten, beim Lauschen zu kurz zu kommen. Datenschützer hingegen kritisieren den Datenhunger der Strafverfolgungsbehörden. Ein am Wochenende bekanntgewordener Entwurf des Rates der Europäischen Union sieht europaweit den Zugriff der Sicherheitsbehörden auf Kontoverbindungsdaten, die Gebührenabrechnung des Überwachten und sogar den Zugriff auf Paßwörter und andere Zugangscodes vor.

„Aufgrund der fortschreitenden technischen Entwicklung im Bereich der Telekommunikation“, heißt in dem Entwurf, der von einer „Enfopol“ genannten Arbeitsgruppe bereits im September erarbeitet wurde, hätten „sich auch die Anforderungen der gesetzlich ermächtigten Überwachungsbehörden an Netzbetreiber und Provider für die Zwecke der rechtmäßigen Überwachung des Telekommunikationsverkehrs geändert“. Die bisherigen Überwachungsmöglichkeiten müßten nun auch bei den „neuen bestehenden Technologien, insbesondere Satellitenkommunikation, Internet, Kryptographie, Prepaid Cards und dergleichen“ Anwendung finden. Künftig sollen damit bei der Überwachung der Telekommunikation auch die kompletten Verbindungsdaten erfaßt werden.

Der schleswig-holsteinische Landesbeauftragte für den Datenschutz, Hartmut Bäumler, befürchtet, daß sich anhand der erfaßten Daten „ein detalliertes Persönlichkeitsbild“ der Überwachten erstellen läßt. Bäumler vermißt in dem erst jetzt bekanntgewordenen Ratsentwurf jedwede „notwendige Sensibilität“. Der Entwurf hinterlasse den Eindruck, daß das Fernmeldegeheimnis hinter anderen Interessen zurückstehen solle. Kritik äußert auch der SPD- Medienexperte Jörg Taus an den Überwachungsplänen. Der Enfopol-Entwurf stelle alle deutschen Bestimmungen zum Lauschangriff in den Schatten. Den europäischen Polizeibehörden würde „ein demokratisch und nationalstaatlich nicht mehr kontrollierbares Instrument an die Hand gegeben“. Das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung moniert: „Damit wird den Sicherheitsbehörden prinzipiell die Möglichkeit jeglicher Manipulation elektronischer Kommunikation eröffnet.“

Unklar ist derzeit, wann der Enfopol-Entwurf durch den Europäischen Rat beschlossen werden soll. Die Pläne, heißt es vage bei der Europäischen Union, sollten während der deutschen Präsidentschaft noch nicht verabschiedet werden. Die Meldungen, wonach die deutschen Minister Herta Däubler-Gmelin und Otto Schily schon demnächst in Brüssel mit ihren europäischen Amtskollegen darüber entscheiden sollen, ließen sich nicht erhärten.

Kritiker Taus meint, der geplante „Zugriff, wann immer das Überwachungsobjekt an das Internet angeschlossen ist“, ließe sich unter deutschem EU-Vorsitz am ehesten „wegkriegen“. Wolfgang Gast