Sotschis Ski-Gebiet Rosa Chutor: Disneyland im Kaukasus

Rosa Chutor, Austragungsort der alpinen Wettbewerbe soll aussehen wie ein Alpendörfchen – wirkt aber nur halb so natürlich wie die Kulissen der „Lindenstraße“.

Rosa Chutor, Kunstort mit Fake-Rathaus. Bild: dpa

ROSA CHUTOR taz | Alexander Sawilow steht auf dem weitläufigen, mit roten und grünen Steinen gepflasterten Platz. Vor ihm die Brücke über den Fluss Msymta, hinter ihm das Rathaus mit seinem großen Turm und seiner großen Uhr. Sawilow dreht seinen Kopf einmal nach links, einmal nach rechts. Es soll wohl verdeutlichen, dass er wirklich genau hinschaut, bevor er zu dem Schluss kommt, dass Rosa Chutor eigentlich so aussieht „wie Sölden“.

Sawilow ist Pressesprecher von Rosa Chutor, zumindest wenn es um olympische Belange geht. Er muss wohl solche Vergleiche ziehen. Aber Sölden? Rosa Chutor versucht, die österreichische Gemeinde mit Fachwerk- und Gründerzeitnachbauten zu imitieren. Selbst die Abnutzungsspuren scheinen künstlich aufgetragen zu sein. Eine Stadt im Used-Look. Sawilow bemerkt ein Zweifeln der Reporter. „Für euch sieht es vielleicht wie Disneyland aus, aber für andere ist es einfach nur: Wow!“

Seit 2003 wird an diesem Wow auf 900 Meter Höhe gebaut. Erst langsam, dann, seit Wladimir Putin 2007 die Winterspiele nach Sotschi holte, schneller. Im Winter 2011/2012 wurde das Skigebiet eröffnet: 77 Kilometer Pisten, 16 Lifte. Hier finden seit diesem Wochenende die alpinen Skiwettbewerbe statt. Den Anfang machten die SnowboarderInnen und FreestylerInnen, am Sonntag beginnen die Abfahrten der Frauen und Männer.

Vor ein paar Jahren stand hier kein Gebäude, es gab keine befestigte Straße, keinen Strom. Nur Wald. Heute schlängeln sich sieben Hotels den Fluss entlang, dazu ein Rathaus, ein McDonald’s, ein paar Boutiquen, Restaurants, ein Wirtshaus, abends ist alles erleuchtet. Wow! Disneyland! Mehr als 1,6 Milliarden Euro sollen in diesen Ort geflossen sein. Quellort der vielen Scheine: Wladimir Potanins Brieftasche. Er ist einer der Oligarchen, die Putin in die nationale Pflicht nahm, als die Kosten für die Spiele explodierten.

Jetzt gehört Potanin hier quasi alles. Und auch er hat Vergleiche zur Hand: „Wir bauen unser eigenes Courchevel in Krasnaja Poljana“, sagte der milliardenschwere Investor, als er im Winter 2010 am Rande der Olympischen Spiele in Vancouver sein Projekt vorstellte. Das ist praktisch für ihn, denn sonst lebt Potanin selbst eine lange Zeit des Jahres in Courchevel in den französischen Alpen.

Außerdem kann er in Rosa Chutor viel besser entscheiden, mit wem er sich umgeben muss. Denn wer in den Ort einfährt, muss eine Schranke passieren. Das Ganze ist Potanins Privatgrundstück. Ein Centerparc am Fuße eines Skigebiets, neu gepflastert, mit Parkbänken, schönen Mülleimern, stets sauber. Die „Lindenstraße“ der ARD wirkt, verglichen mit Rosa Chutor, wie ein über Jahrhunderte gewachsener Stadtkern.

Disneyland mit Rathauskulisse

Regiert wird diese Pseudoortschaft von Moskau aus, wo Potanins Firma Interros seinen Sitz hat. Neben dem Skipark besitzt Interros auch noch Pharmaunternehmen, ein paar Medien, Kinos und baut Nickel, Palladium sowie Kupfer ab.

Doch natürlich entwickelt auch ein Kunstort seine eigenen Verwaltungsstrukturen. „Big Ben“ nennen sie hier die Rathauskulisse mit seiner großen Uhr. „Sie“, das sind die Manager, die die Hotels, Restaurants und Geschäfte leiten. Richtige Bewohner gibt es schließlich nicht. Doch auch unter jenen gibt es einen Primus inter Pares: Jean-Marc Farini. Er spielt auf der Rosa-Chutor-Bühne den Bürgermeister.

Der große Franzose mit seinen schwarzen, nach hinten gekämmten Haaren sitzt zurückgelehnt in seinem Bürostuhl. Hinter ihm hängt ein Bergpanorama. Eingerahmt. Ist das schöner als der reale Blick durchs Fenster auf die andere Seite des Flusses, auf das Fachwerkhaus, in dem die McDonald’s-Filiale ist, und auf die Liftstation daneben? Nein, für Farini nicht. „Ich mag diese Stadt. Ich mag das Design.“

Er managt das Skigebiet. Farini, der selbst aus dem französischen Skiort Chamonix stammt, soll dafür sorgen, dass Rosa Chutor zu einer internationalen Topadresse wird – oder zumindest zu einer solchen in Russland. Denn bislang machen Russlands Reiche lieber Winterurlaub in den Alpen.

Und dass Österreicher, Schweizer oder Franzosen sich in umgekehrter Richtung in den Kaukasus aufmachen, um die Pisten runterzuwedeln ist unwahrscheinlich. Harald Bürkle glaubt zumindest nicht daran. Bürkle ist 38, er stammt aus Oberfranken und leitet in Rosa Chutor das Radisson Blu. Fünf Sterne. Sauna, Fitnesscenter und Entspannungsraum im obersten Stockwerk. Massagen kosten extra. Die erste Adresse am Platz, nannte man solche Häuser mal. 2004 war Bürkle schon Manager in Moskau, dann in Kiew, in England, auf Rügen, und seit 2011 ist er hier. „Die spannendste Station“ für ihn.

Nach Olympia soll auch er mithelfen, die anvisierten 1,2 Millionen Besucher pro Saison nach Rosa Chutor zu locken. 5.000 Betten im Skigebiet sollen schließlich möglichst dauerhaft belegt werden. „Eine Herausforderung“, sagt Bürkle. Denn nur zu Olympia werden viele ausländische Touristen in seinen Betten schlafen, anschließend werden 85 Prozent der Besucher aus Russland kommen, schätzt er. Für alle anderen ist das mit den Visa zu kompliziert. Außerdem wird es so gut wie keine Direktflüge nach Sotschi geben.

Aber egal. Die Einheimischen seien eh viel spendierfreudiger als die Deutschen oder sonst wer. Bürkle zeigt auf eine Hennessy-Flasche hinter der Bar. „Die kostet 1.000 Euro im Einkauf – und ist schon halb leer.“ Er verkauft in seinem Luxushotel mehr Weinflaschen zu 400 Euro als zu 50 Euro. „Die geben Geld aus, die Russen“, sagt er. Bislang allerdings lieber in Frankreich. Aber das kann sich ja schon bald ändern. Schließlich hat Potanin nun in Russland sein eigenes Courchevel. Oder Sölden. Wow.

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