Von allerweltlicher Schnödheit

Die „ZDF-Hitparade“ im Fall durch die Zeiten: An Dieter Thomas Heck, bei dem nicht nur die Koteletten Aura ausstrahlten, wird Uwe Hübner niemals heranreichen  ■ Von Jan Feddersen

Der Mann kann eigentlich nur eine Sorge haben: Wird man jemals diese Sendung, der er seit gut acht Jahren als Moderator vorsteht, irgendwann einmal, im nostalgisch verklärten Blick auf ein vergangenes Jahrzehnt, mit ihm verbinden? So, wie „Der große Preis“ nur mit Wim Thoelke, „Einer wird gewinnen“ mit Kuli und die Ziehung der Lottozahlen mit Karin Tietze-Ludwig verbunden wird? So, wie es in der alten Fernsehwelt eben war? Wird man jemals die „ZDF-Hitparade“ mit Uwe Hübner assoziieren anstatt mit dem einzigen „deutschen Bariton, der schrill klingt“ (Die Zeit), nämlich mit Dieter Thomas Heck?

Heute führt Uwe Hübner zum 100. Mal durch die Sendung, bei der per TED Zuschauer darüber abstimmen, welcher deutsch gesungene Schlager ihnen am besten gefällt. Er hat sich eine beachtliche Stellung im Showbusineß erobert. Bei seinem Start, am 10. Januar 1990, galt er als Notlösung, der man ein Scheitern auf einem der prominentesten Sendeplätzen des ZDF – sonnabends als Anreißer vor dem Abendprogramm – nicht wirklich übelgenommen hätte.

Fünf Jahre zuvor hatte Dieter Thomas Heck den Bettel hingeworfen. Der Lautsprecher, gelernte Radiomoderator und Autoverkäufer sah seinen Platz beim ZDF nicht mehr im Kreise von Bravo-Lesern und stieg auf Pensionärsshows um, etwa mit „Melodien für Millionen“ oder „Pyramide“. Sein Nachfolger hieß Viktor Worms, der jüngst zum Chef der ZDF-Unterhaltungsabteilung berufen wurde. Worms, ein Jüngelchen, das an das Profil Hecks nie heranreichte, versuchte die „ZDF-Hitparade“ vom Hautgout des Deutschtümelnden zu befreien und der Sendung mehr Hipneß einzuhauchen. Damals wurde etwa die Erlaubnis ausgesprochen, daß auch englischsprachige Titel aus deutschen Studios bei der „Hitparade“ gesungen werden durften.

Der Versuch, den Klepper des deutschen Musik-Fernsehens kulturell an MTV anzuspannen, ging voll daneben. Die Alten schalteten gleich zu den privaten Sendern, die Jungen schlossen Freundschaft mit dem Musikkanal aus N.Y. Darüber hinaus fehlte es Worms an allem, um eine Ikone zu werden. An dem, was Heck heute noch hat: einer Aura, an der man sich reiben konnte; die manche für ekelhaft halten, andere für wohlig-wohnzimmerhaft. Worms aber war nur Worms: ein Junge, der womöglich versehentlich auf die Showtreppe geweht worden war.

Viktor Worms konnte die Lage nicht retten, angesichts deren Heck resigniert hatte: daß der deutsche Schlager der achtziger Jahre so an- und aufregend geworden war wie Kaufhausmusik. Heck wurde immerhin von allen kulturkritischen Leuten gehaßt, weil er allem, was sich ihm in den Weg stellte, so affirmativ gegenüberstand. Ihn konnte man nie heimlicher RAF-Sympathie verdächtigen und daher auch nicht mögen. Der Mann mit den gewaltigsten Koteletten der Republik war einfach nur CDU.

Die Sendung selbst verzeichnete bis Anfang der achtziger Jahre Traumquoten. Alles, was deutschpopmäßig avancieren wollte, mußte bei ihm auftreten, Jürgen Marcus, Cindy & Bert, Mary Roos, Peter Maffay, Roland Kaiser oder Vicky Leandros. Konkurrenz gab es noch keine.

Wer in der „ZDF-Hitparade“ auftrat, hatte karrieremäßig den entscheidenden Sprung geschafft: Plattenverträge, Bädertourneen, Radioeinsätze, Interviews, Homestories. Selbst die Neue Deutsche Welle (NDW) vermochte Heck nach kurzem Zureden zu integrieren, Nena, Spliff oder die Spider Murphy Gang mußten ebenso in die Plexiglaskulisse, um nicht weiterhin Underground zu bleiben.

Als NDW tot war und nur noch Kriegsgewinnler wie Herbert Grönemeyer, Marius Müller-Westernhagen oder Klaus Lage übrigblieben – die sich damit profilierten, öffentlich die „ZDF-Hitparade“ für igittigitt zu erklären –, war auch Heck am Ende. Der Rest war Worms – und ist Hübner. Der hatte bis 1990 Karriere im kleinen gemacht, als Volontär beim Südwestfunk, als Ansager, Radiomoderator u.a. Dann entschied sich das ZDF für ihn und (wie es heißt) gegen Tommy Ohrner. Eine kluge Entscheidung. Die Sendung hat wieder junge Zuschauer, bis zu 40 Prozent im Segment der 14- bis 49jährigen. Der Musikindustrie ist die „ZDF-Hitparade“ wieder wichtig genug, ihre etablierten Künstler dorthin zu schicken, um sich öffentlich zu präsentieren. Nena kommt ebenso wie Wolfgang Petry, Nicole und Rosenstolz.

Hübners Erfolg ist wohl nur so zu erklären, daß er von Anfang an nie den Eindruck erweckte, miese Ware zu promoten. Immer schien es, als liebe er den deutschen Schlager, angloamerikanische Experimente verbat er sich. Nur in gelegentlichen Showeinlagen durften mal Boyzone, Alannah Miles oder Al Jarreau kommen. Die billige Studiodeko der Heck-Zeiten, die alle Blicke auf Dieter Thomas Heck lenkte, wurde durch „wertiges“ Dunkelblau abgelöst. Alles andere aber ist Nebel, Trockeneisdämpfe, die durchs Studio wabern.

Und dann sieht Hübner auch noch so aus, wie eigentlich niemand aussehen will, der auf textile oder oder frisurentechnische Individualität hält: Der Mann, immerhin schon 37, kommt stets ordentlich gefönt daher. Allen wohl und niemand weh: ein Schwiegersohn, der, um mal mit einem Klischee zu kommen, nie sein Deo vergessen würde. Anders gesagt: Hübner hat nur Charakteristika, die einem Erfolg nicht im Wege stehen. Hübners Gesicht ist von allerweltlicher Schnödheit – das schafft Vertrauen, auf beiden Seiten. Und die Musikindustrie vertraut ihm mittlerweile, sieht in ihm einen ehrlichen Verkäufer ihrer Ware.

Dennoch: Paßt Hübner in die großen Schuhe des Dieter Thomas Heck? Einer, der eisern bedacht ist, sich nur nicht böse von den Altvordern abzugrenzen. Wofür Hübner nichts kann, ist, daß inzwischen jeder Sender Schlager ins Programm hebt und seine Sendung längst kein Monopol mehr hat. Der Eindruck aber, daß der gebürtige Pforzheimer an nichts glaubt als an sich selbst, mag sich nicht verflüchtigen. Heck konnte man noch behämen, er ist bis heute der joviale Nachkriegsvater geblieben, den man wegen seiner angepaßten Lebensweise verabscheuen konnte. Der einen am Ende aber doch irgendwie durchs Leben begleitet hat, so oder so. Aber Hübner? Ein netter Junge, der durch seinen Manager verbreiten läßt, „mit frischem Wind und neuem Outfit“ (O-Ton: „kurze, blonde Haare, schwarze Kleidung und trendiger Raverbart“) künftig auftreten zu wollen. Aber stiftet das schon Verehrung? Der Mann ist ein Mißverständnis.