Der oberste Soldat der Stadt

Gesichter der Großstadt: Hans-Helmut Speidel, der Standortkommandant von Berlin und Sohn eines Wehrmachtsoffiziers, sieht sich als Patriot und Soldat aus Tradition  ■ Von Barbara Junge

1944 wartete der kleine sechsjährige Bub aus dem badischen Freudenstadt ungeduldig auf seinen Vater. Der, Hans Speidel, Wehrmachtsoffizier, Chef der Heeresgruppe B und engster Vertrauter von Wüstenfuchs Rommel in Frankreich, saß zu der Zeit in den Kellern der Gestapo im Berliner Prinz-Albrecht-Bau. Später erst hat ihm seine Mutter davon erzählt, auch davon, wie sie dem Vater – als er bei seiner Verlegung durch Stuttgart gebracht wurde – eine Feile zugeschmuggelt hat. Hans Speidel hat trotz Erschießungsbefehls das Dritte Reich, dem er lange treu gedient hat, überlebt.

Heute kommandiert der inzwischen 59jährige Hans-Helmut Speidel in der Stadt, in der die Freunde seines Vaters aus dem Widerstand vom 20. Juli ermordet wurden, die Truppen der Streitkräfte. Der Sohn des ersten deutschen Nato-Befehlshabers der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg repräsentiert seit dem 1. Oktober 1995 die Bundeswehr in der Hauptstadt: Brigadegeneral Hans-Helmut Speidel ist 50 Jahre nach der Inhaftierung seines Vaters durch die Nazis Standortkommandant von Berlin.

Der Vater war's, der Sohn tut es ihm gleich: Wehrmachtsoffizier Speidel war ein nationaler Offizier, der sich, wie es heißt, zur geistigen Elite hingezogen fühlte, militärischer Verhandlungsführer nach dem Zweiten Weltkrieg für die Integration der neugegründeten Bundesrepublik in die westeuropäische Verteidigungsgemeinschaft. Auch Hans-Helmut Speidel verehrt den jüngst verstorbenen und stets wegen seiner Kriegshymnen umstrittenen Dichter Ernst Jünger.

Hans-Helmut Speidel steht für eine europäisch integrierte Bundeswehr. „Ich habe Dienst als Soldat weniger verstanden als Soldat einer nationalen Armee als vielmehr als Soldat in einem Bündnis“, beschreibt er die Prägung durch seinen Vater. Und über allem steht die soldatische Tradition. „Mein Vater hat von mir erwartet, daß ich zum Wehrdienst antrete, selbstverständlich“, sagt das jüngste Kind, der einzige Sohn des berühmten Offiziers. Selbstverständlich auch, daß sein Jüngster kein Wehrdienstverweigerer geworden ist.

Während die Bundeswehr von einem rechtsextremen Skandal in den nächsten stolpert, müht sich der Soldat aus Familientradition, die Bundeswehr in der Gesellschaft zu verankern. „Ich will zur Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft beitragen“, sagt Speidel. In der Hauptstadt der Wehrdienstverweigerer will der überzeugte Schwabe deshalb junge Männer für den Dienst an der Waffe, „für den Schutz unserer Ordnung“ gewinnen. Denn „Freiheit bekommt man nicht geschenkt“, heißt die Überzeugung des knorrigen Patrioten.

Für seine Überzeugung, für sein Anliegen, die Bundeswehr in der Gesellschaft zu verankern, tourt der General durch die Salons der Hauptstadt. Bei der Buchvorstellung von Edzard Reuter ist er ebenso anzutreffen wie bei der Festveranstaltung zu „110 Jahre Urania“ oder beim Sommerfest der Berliner Journalistenschule.

In seiner gepflegten grauen Bundeswehruniform hatte sich Brigadegeneral Hans-Helmut Speidel auch im November vergangenen Jahres in den Deutschen Dom aufgemacht. Ein Buch sollte vorgestellt werden, ein Buch über die „Berliner Republik“. Eingeführt von Innensenator Jörg Schönbohm. Doch später sagt der Standortkommandant der Hauptstadt schlicht: „Ich wäre lieber nicht dort gewesen.“ Brigadegeneral Hans-Helmut Speidel meldet „verfassungsrechtliche Bedenken“ an. Der oberste Soldat von Berlin hatte nicht mit einem neurechten Plauderstündchen im Deutschen Dom gerechnet.

„,Arbeit macht frei‘ hat General Speidel mir geantwortet“, erzählt dagegen Helmuth Prieß vom Darmstädter Signal der kritischen Bundeswehroffiziere von einem ganz anderen Hans-Helmut Speidel. Als sein Vorgesetzter habe sich Speidel darüber geärgert, daß Prieß eine Arbeit für nicht leistbar hielt. „In diesem Sinne habe ich mich mit Sicherheit nicht geäußert“, weist Speidel dagegen das ihm zugeschriebene Wort zurück, „der Zusammenhang ist völlig verzerrt.“ Prieß' Aussage sei vielmehr eine späte Rache eines Zurechtgewiesenen.

Daß Speidel für seine Äußerung eine Fotografie vom Tor des Konzentrationslagers Theresienstadt, auf dem der Nazi-Spruch zu lesen ist, öffentlich überreicht bekam, bestreitet der Standortkommandant jedoch nicht. Zwar sei „General Speidel kein Rechtsradikaler“, versichert auch Prieß, aber er sei ein Beispiel für die mangelnde historische Sensibilität von hohen Offizieren bei der Bundeswehr. Speidel selbst beschreibt sich dagegen als Verfassungspatrioten. „Zuallererst stehe ich zu unserer Verfassung, sie ist die beste, die wir je hatten“, formuliert er seine politische Überzeugung. Der Vater von drei Töchtern und einem Sohn hängt an Traditionen. Ebenso wie er sich pünktlich jedes Wochenende bei seinen Kindern telefonisch meldet, wie er die Familientradition pflegt, begrüßt er, daß der Mensch „landsmannschaftliche Zugehörigkeit“ kennt. Denn „der Mensch braucht in seiner Existenz ganz viele Verbindungen über sich selbst hinaus, die ihn halten“. Dazu zählt der Soldat auch ein nationales Selbstbewußtsein. „Im Ausland wollen uns die Leute als Deutsche sehen, unsere Interessen wissen, damit wir für sie berechenbar sind“, schildert der Offizier, den es im Dienste der Bundeswehr als Heeresattaché durch mehrere Länder getragen hat.

Im September geht der General nach 41 Jahren Bundeswehr in den Ruhestand. Nach vierzehn Umzügen quer durch die Republik und durch Europa wollen Speidel und seine Frau – „die mir immer liebevoll bei meinen Wechseln gefolgt ist“ – in der Hauptstadt bleiben. Der Kultur wegen und der politischen Prozesse. Speidel: „Hier geht die Post ab.“