Die Bundeswehr, die Gnade und die Angst

In nächtlichen Vernehmungen versucht der Untersuchungsausschuß den Skandal an der Führungsakademie zu klären  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Man versucht doch, einen zu fangen. Warum soll ich es nicht sein?“ Trotzig und bekümmert zugleich stellt Oberstleutnant Borwin Pahl diese Frage kurz vor Mitternacht vor dem Bundeswehr-Untersuchungsausschuß in Bonn. Nach Aktenlage scheint der Offizier einer der Schurken im Skandalstück zu sein, das sich an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg abgespielt hat. Bei der stundenlangen Vernehmung ergibt sich ein anderes Bild. Ein fatales Geflecht aus Loyalität, Ängsten, Unwissenheit und Sehnsüchten wird erkennbar, das die Ereignisse begünstigt hat. Der Eindruck entsteht, daß hier jemand als Bauernopfer herhalten soll.

Pahl ist für den Ausschuß ein wichtiger Zeuge. Er hat eine Veranstaltung für Kriegsgräberpflege in Rußland in einem Raum der Führungsakademie organisiert, auf der auch ein ehemaliges SS- Mitglied anwesend gewesen ist. Der Offizier hat später den Rechtsterroristen Manfred Roeder für seinen Vortrag an der Akademie vorgeschlagen. Außerdem war er auch daran beteiligt, daß Roeders „Deutsch-russisches Gemeinschaftswerk“ Fahrzeuge auf dem Gelände der Führungsakademie unterstellen konnte.

Trotz mehrerer Kontakte will er vom rechtsextremistischen Hintergrund nie etwas bemerkt haben. Kann einer wirklich so naiv sein? „Ich bin nicht für politische Bildung zuständig“, erklärt der Offizier des Akademiestabs. Er ist für einen reibungslosen Ablauf des Betriebs verantwortlich. Für ihn sei „das Problem heutzutage, daß eine richtige Definition von Rechtsextremismus eben nicht vorliegt“, sagt Borwin Pahl. Es klingt hilflos. Eine Weiterbildung in diesem Bereich habe er sich gewünscht. Aber die bekam er nicht. Alle Informationen habe er sich allein beschaffen müssen. „Schön wär's natürlich, wenn man nicht alles selber machen müßte.“

Die Aussage kann nicht als reine Schutzbehauptung abgetan werden. Pahl berichtet, sich schon früher einmal Sorgen gemacht zu haben. Er habe Bedenken gegen die private Veranstaltung zur Kriegsgräberfürsorge in einem Raum der Akademie gehabt. Der Kreis derjenigen, die dazu eingeladen wurden, weckte in dem militärhistorisch interessierten Offizier den Verdacht, daß auch ehemalige SS-Angehörige dabei sein würden. Sein Vorgesetzter, der damalige Chef des Akademiestabs Hartmut Klasing, habe die Bedenken vom Tisch gewischt.

Auf den Rat eines Rechtsanwalts hin will Pahl durchgesetzt haben, daß die Veranstaltung mit der Auflage verbunden war, die Teilnahme von ehemaligen SS-Angehörigen nicht zu gestatten. „Ich kann mich nicht erinnern, daß Herr Pahl mir Bedenken vorgetragen hat“, sagte dazu der damalige Chef des Akademiestabs Hartmut Klasing vor dem Ausschuß. Der Oberst im Ruhestand will nichts von dem Rat des Anwalts gewußt haben und hat bei der Befragung vor dem Ausschuß auch sonst Erinnerungslücken.

Es war dann doch ein ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS dabei. Pahl prüfte die vorlegte Gästeliste nicht sorgfältig genug. Der Oberstleutnant hatte inzwischen Vertrauen zu dem Initiator der Veranstaltung, dem Hamburger Bürger Harmen Kölln, und dessen humanitärem Engagement gefaßt.

Auch zu einem anderen Mann entwickelte der Oberstleutnant eine „freundschaftliche“ Beziehung: Zu dem Kaufmann Rolf Vissing. Der 84jährige war vor Pahl als Zeuge vor dem Ausschuß vernommen worden. Dabei hatte er Manfred Roeder als Beistand mitgenommen, dessen Ansichten er einer früheren Aussage zufolge bewundert. Vissing führte Roeder an der Akademie ein. Er bemühte sich, den Kontakt zu Pahl zu pflegen, den er bei der Veranstaltung zur Kriegsgräberpflege kennengelernt hatte. Im Dienst vermißte der Oberstleutnant Ansprache und Geselligkeit. Anders als „bei der Truppe“ sei es im Akademiestab nicht üblich gewesen, sich abends auch mal auf ein Bier zu treffen. Es herrsche ein großes Dienstgradgefälle. „Man trifft sich da nicht.“ Anfangs habe er den Versuch unternommen, eine Kaffeerunde bei sich im Büro einzuführen. Das sei wieder eingeschlafen.

Rolf Vissing gehörte für Borwin Pahl zu den besseren Kreisen der Gesellschaft. Einmal war er privat bei ihm eingeladen: „Herr Vissing, Hochkamp, tadellose Gegend. In der Nähe der Führungsakademie, Nachbar ungefähr. Da gehste mal hin, ziehst dich gut an.“ Er wählte die Uniform, „diese Jacke, die ich trage, weil ich dachte, das sei eine ehrenwerte Angelegenheit.“ Einen ganz normalen Abend habe er verbracht. Bowle gab's. Anwesend waren mehrere Leute, darunter auch Manfred Roeder. Aber beide hätten sich in seiner Gegenwart niemals extremistisch geäußert, betont Pahl. Fühlt er sich heute von Vissing getäuscht? „Ja. Ich fühle mich getäuscht.“

Dem Oberstleutnant ist anzumerken, welch hohen Stellenwert er Ordnung und Korrektheit beimißt. Mit Klarsichthüllen und farbigen Aktenmappen ist er nach Bonn gereist. Ein Griff, und er findet die jeweils gewünschten Unterlagen. „Mir ist es passiert. Mir, diesem Sicherheitsfanatiker. Da bin ich reingefallen. Da habe ich auch ein ganz schlechtes Gewissen.“

Was ist in Borwin Pahl vorgangenen, als sein Vorgesetzter von Roeders Hintergrund erfuhr und ihn darüber informierte? Hilflos hebt er die Arme, schüttelt den Kopf. „Jetzt ergreift er eine Disziplinarmaßnahme. Du wirst rausgeschmissen, irgendwohin.“ Nichts dergleichen. Der damals noch ziemlich neue Chef des Akademiestabs Norbert Schwarzer will Gras über die Sache wachsen lassen, wie er auf einer Stabsbesprechung mitteilt. Der Kommandeur soll nichts erfahren. Die Erlösung, die das für Pahl bedeutet hat, klingt noch heute in seiner Stimme mit. „Ich habe danach Tag und Nacht für ihn gearbeitet.“ Sein Anwalt habe ihm abgeraten, das vor dem Ausschuß zu sagen, was er jetzt doch sagen wolle: „Ich habe das als eine Gnade empfunden.“

Hat er nicht an den Schaden für die Akademie gedacht? Da lacht Pahl bitter auf. Um eine Güterabwägung sei es gegangen. „Auf der einen Seite die Führungsakademie, auf der anderen Seite ich. Ich weiß nicht, wofür Sie sich da entscheiden würden in meiner Lage.“ Warum der Oberstleutnant nicht selbst beschlossen hat, dem Kommandeur Meldung zu machen, wollen mehrere Abgeordnete wissen. Er sei seinem Chef doch dankbar gewesen, erwidert der. Da habe er ihm doch keine Schwierigkeiten machen wollen. „Ich darf immer wieder darauf hinweisen, daß irgendwie auch eine Portion Loyalität dabei ist bei der Sache.“ Wenn es in der ganzen Bundeswehr ein gutes Verhältnis zu allen Vorgesetzten gebe, wenn es Gnade gebe, Großzügigkeit, „dann sähe das ganz anders aus“. Inzwischen läuft gegen Borwin Pahl ein Disziplinarverfahren.