Reportagen aus Griechenland: Fressen gegen Hunger

Landolf Scherzer sucht in Griechenland die Ursache der Krise. Er trifft Menschen, viele zufällig, und dokumentiert die Sorgen und Hoffnungen der Griechen.

Wo mal Leben war: geschlossene Läden und Kneipen im Viertel Ladadika von Thessaloniki. Bild: ap

Am Anfang steht das große Fressen. Auf einem fünfundzwanzig Meter langen Buffet ist angerichtet. Im 5-Sterne-Hotel „Oceania Club“ auf der griechischen Halbinsel Chalkidiki sollen es sich die Urlauber mal richtig gut gehen lassen. Fleisch und Fisch, Pasta, Ei und Salat, Obst und Kuchen – wer Griechenland bucht, soll nichts mitbekommen von der schweren sozialen Krise, in der das EU-Land steckt.

Stattdessen, so reportiert es Landolf Scherzer in seinem neuen Buch, leitet manchen deutschen Hotelgast die Vorstellung, mit seiner All-inclusive-Buchung dem griechischen Staat einen Gefallen zu tun. Ferien gegen die Krise, Fressen gegen Hunger.

Scherzer, der freigeistige Thüringer, hört und sieht da genau hin. Und er schreibt alles auf. Dem Mann, der für seine Reportagen schon über Meere gekreuzt ist und ganze Länder durchwandert hat, reicht dieses satte Hotel-Szenario nicht. Im „Oceania Club“ kann er das echte, das krisengebeutelte Griechenland nicht finden. Und deshalb schreibt er für „Stürzt die Götter vom Olymp“ gleich zwei Reportagen.

Nur wenige Wochen nach seinem All-inclusive-Trip fliegt Scherzer noch einmal nach Griechenland, diesmal zieht er ins Hotel „Europa“. Das hat gar keinen Stern, nicht einmal Frühstück, und liegt in einem armen Viertel von Thessaloniki. Scherzer zieht los.

Unsere Autorin hat sich bewusst von ihrem Glauben verabschiedet, doch der religiöse Phantomschmerz bleibt. Warum wird sie Gott nicht los? Eine Spurensuche bei einem Religionswissenschaftler, einem Psychologen und im Kloster lesen Sie in der taz.am wochenende vom 19./20./21. April 2014. Außerdem: Warum wir Verräter wie Judas brauchen. Was Versteckexperten raten. Und: Bela B. von den Ärzten über seinen Rolle als Vater, graue Haare und Spermaflecken auf dem Rücksitz. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Jeder soll sagen, was er zu sagen hat

Er trifft Menschen, viele zufällig, mit manchen ist er verabredet. Er hört zu und fragt nach und gibt Wort für Wort wieder, was seine Protagonisten zu sagen haben. Zur Krise, zu Europa, zu Steuern, zur Schattenwirtschaft, zu Merkel, zur Zukunft. Von der Kaffeehändlerin über den arbeitslosen Akademiker bis zum Museumspförtner – jeder soll sagen, was er oder sie zu sagen hat im Moment der schwersten politischen und sozialen Krise Griechenlands.

Scherzer zeigt sich auch selbst. Der 73-Jährige ist ein Euro-Zweifler, ein Linker, dessen Herz auf eine fast schon altmodische Art für die Benachteiligten schlägt. Dass er konsequent mit den von der Krise Betroffenen das Schicksal des Landes und Europas erörtert, ist ehrenwert. Aber irgendwann im Laufe der 320 Seiten wünscht man sich mehr Weite im Blick. Ein Banker, eine Politikerin, ein Lobbyist – es wäre interessant gewesen, zu lesen, wie sie die Situation einschätzen und wo sie die Ursachen für die verzweifelte Lage der Griechen sehen. Das aber bleibt aus.

Zugewandte Art

Seine zugewandte Art zu reportieren ist Landolf Scherzers Markenzeichen. Der geborene Sachse und heutige Thüringer hat das Journalistenhandwerk in den sechziger Jahren in Leipzig erlernt. Schon in der DDR zeichnete ihn eine eulenspiegelhafte Sicht auf das Leben seiner Protagonisten aus. Als 1988 „Der Erste“ erschien, das Porträt des SED-Kreissekretärs von Bad Salzungen, war das Geschrei groß. Nie zuvor hatte es einen derart authentischen Blick in das Innenleben der Einheitspartei und auf das Desaster der sozialistischen Planwirtschaft gegeben.

Wer das Buch heute liest, wundert sich, dass es in der DDR erscheinen durfte. Es ist eine bittere Medizin für jene, denen der Blick auf die politischen und ökonomischen Gegebenheiten der untergegangenen DDR abhandenzukommen droht. Dabei hatte Scherzer nur getan, was er noch heute als sein Handwerk versteht: zuhören und aufschreiben.

Landolf Scherzer: „Stürzt die Götter vom Olymp. Das andere Griechenland“. Aufbau Verlag, Berlin 2014, 320 Seiten, 19,99 Euro

Das ist aber auch das Großartige an „Stürzt die Götter vom Olymp“: dieser träge Fluss der Tage des Autors. Sein neugieriger Blick auf Menschen und Zustände und sein Interesse auch an der Vergangenheit, aus der diese Krise resultiert. Wer vor widersprüchlichen Nachrichten aus Griechenland nicht mehr weiß, was da wirklich vor sich geht, sollte Scherzer lesen. Hinterher ist man klüger.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.