Hamburgs Kurzfilm Festival: Der Ort fürs Eigenwillige

Kurzfilme erreichen ihr Publikum nur noch im Internet und auf Festivals. Eines der größten ist das Internationale Kurzfilm Festival Hamburg.

Turnkaderschmiede in Rumänien: Der Film "Giant" erzählt vom militärischen Drill im grazilen Sport. Bild: Salla Tykkä

HAMBURG taz | Man kann ja mal eine Geschichte nur durch Abdrücke auf der Erde erzählen. Die Menschen werden durch die Spuren ihrer Schuhe und den Rhythmus ihres Schrittes beschrieben, man sieht Hundepfoten und die Krallen von Vögeln, Reifenspuren, die Konturen eines Hundehaufens und die Kreidezeichnung des Hüpfspiels von Kindern.

Abendfüllend ist solch ein minimalistischer Stil kaum, aber eine schöne Idee für einen Kurzfilm. Sonja Rohleder hat sie in ihrem drei Minuten langen Animationsfilm „Dame mit Hund“ perfekt umgesetzt: Konsequent sind auf der Tonspur nur Straßengeräusche und unverständliche Gesprächsfetzen zu hören. Beim Kurzfilm können die Künstler solche eigenwillige Ideen noch umsetzen: Die in der Regel geringen Produktionskosten machen das möglich.

Sonja Rohleders Erzählung aus der Bodensicht läuft im Deutschen Wettbewerb des Internationalen Kurz Film Festivals Hamburg, das vom 3. bis zum 9. Juni in Hamburg stattfindet. Filmfestivals sind die Reservate, bei denen Kurzfilme heute noch ein größeres Publikum erreichen. Abgesehen vom Netz natürlich. Ein Kurzfilm aus Österreich, das in diesem Jahr den Länderschwerpunkt bildet, heißt dann auch „MeTube: August sings Carmen ’Habanera‘“. Darin wird die für Youtube-Auftritte typische Mischung aus Dilettantismus und Exhibitionismus ins Absurde gesteigert, indem der singende Protagonist mit Glatze und Pullunder in einen Trip ins Surreale montiert wird.

Über 300 Kurzfilme werden in Hamburg in den Kinos Metropolis, B-Movie, 3001, Filmraum, Lichtmess, Studio und Zeise sowie Open Air und im Festivalzentrum Halle 5 gezeigt. Das Kurzfilmfestival in Oberhausen mag das älteste und wichtigste bleiben, aber gleich danach kommen die Hamburger, weil sie fast die ganze Kinoszene der Stadt eingebunden haben und mit 14.000 BesucherInnen rechnen können.

Das Sichtungsteam hat mehr als 6.000 Einreichungen aus über 70 Ländern angesehen und aus ihnen die Teilnehmer für die verschiedenen Wettbewerbe ausgewählt. So läuft etwa im Internationalen Wettbewerb mit „The Way“ von Max Ksjonda ein Film aus der Ukraine, den man in diesen Tagen ganz anders sieht, denn in ihm wird durchgehend Russisch gesprochen. Erzählt wird von einem Jungen, der von seinen in Scheidung lebenden Eltern vernachlässigt wird und versucht, durch eine lebensgefährliche Aktion in eine Clique von Straßenkindern aufgenommen zu werden. Seine Mutprobe, bei der ein fahrender Lastwagen und ein Rollstuhl eine Rolle spielen, ist extrem dramatisch inszeniert. Damit wird der 21 Minuten lange Kurzspielfilm sicher auch die kleinen Zuschauer des Mo & Friese Kinder Kurz Film Festivals packen, das parallel zum Kurzfilmfestival stattfindet, allerdings schon am 1. Juni beginnt.

Es gehört zu den Reizen von Festivals, dass sich oft Verbindungen zwischen verschiedenen Filmen bilden. So wird etwa in dem deutschen Animationsfilm „Michelles Opfer“ von Jon Frickey eine ganz ähnliche Geschichte erzählt wie in „The Way“. Auch hier versucht ein Kind, durch einen gefährliche Akt die Trennung der Eltern zu verarbeiten. Dazu beginnt die junge Titelheldin, wie besessen in einem Turnverein zu trainieren, um bei einem Wettbewerb vor den Augen ihrer Eltern eine spektakuläre Übung am Reck vorzuführen.

Ihre Übungen ähneln nun wieder den Bildern aus der finnischen Dokumentation „Giant“, die in einer Turnkaderschmiede in Rumänien gedreht wurde, in der auch heute noch junge Mädchen dazu gedrillt werden, als Turnerinnen Medaillen zu gewinnen. Ihre Sprünge und tänzerischen Bewegungen wirken eher militärisch als grazil. Der Film ist ein virtuos fotografiertes und montierten Stimmungsbild.

Der thematische Schwerpunkt ist in diesem Jahr der Sport. So steht der Wettbewerb „Flotter Dreier“, in dem Filme laufen, die höchstens drei Minuten lang sein dürfen, unter dem Thema „Doping“. Dort läuft ein animierter Rap-Videoclip von Murat Haschu mit dem Titel „Keine Haftung“, in dem ein Dealer seine Kundschaft in schnodderigem Ton auf die oft tödlichen Nebenwirkungen der von ihm verkauften Steroide hinweist.

In einem Sonderprogramm mit dem Titel „Motiv: Moving Bodies, Moving Images“ wird der spanische Kurzfilm „La Gran Carrera“ von Kote Camacho gezeigt, in dem die Aufnahmen so überzeugend künstlich gealtert wurden, dass man sie kaum von den einmontierten Archivaufnahmen unterscheiden kann. Eine Sportveranstaltung aus den 30er- oder 40er-Jahren, also zur Zeit des Franco-Regimes, wird zu einer Mischung aus Massenexekution und Pferderennen: Die Zuschauer wenden ihre Augen von den baumelnden Toten zur Entscheidung an der Zielgeraden.

In einer kleinen filmhistorischen Reihe werden Fundstücke von den internationalen Sportfilmtagen vorgeführt, die zwischen 1968 und 1975 in Oberhausen stattfanden. Und in einer zweiten thematischen Retrospektive gibt es zehn frühe Kurzfilme von berühmten Regisseuren wie Alexander Kluge, Lars von Trier, Agnés Varda und Rainer Werner Fassbinder zu sehen.

Fast alle Filmemacher haben zuerst Kurzfilme gemacht und diese dann auch als Visitenkarten für ihren Einstieg in die Filmbranche genutzt. Aber dass Kurzfilme viel mehr sind als solche Karriereschritte, das beweist ein Festival wie dieses.

Internationales Kurz Film Festival Hamburg: 3. bis 9. Juni; Kinder Kurz Film Festival Hamburg: 1. bis 9. Juni
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