Ein Bier eint die Geschmäcker

Ungewöhnliche Erfolgsstory der sächsischen Privatbrauerei Wernesgrün. In der DDR stand das Bier als Bückware hoch im Kurs  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Pumperlgesund“ sei die Firma, sagt Peter Schill (34), Leiter der Abteilung Marketing und Öffentlichkeitsarbeit der Wernesgrüner Brauerei AG. Der bayerische Zungenschlag des gebürtigen Hessen ist Reminiszenz an das nahegelegene Bayern und wohl auch an die Bayerische Kapitalbeteiligungsgesellschaft, die 49 Prozent der Aktien der Traditionsbrauerei in Sachsen treuhänderisch verwaltet. Der ganz spezielle Dialekt der Sachsen im Grenzgebiet zur Tschechischen Republik geht dem Manager aus Hanau auch nach knapp zwei Jahren im Vogtland noch immer nicht über die Lippen.

Peter Schill, der sein Handwerk bei der Henninger AG in Frankfurt am Main gelernt hat, hat die Werbekampagnen „eigenhändig geschmiedet“, mit denen der Wernesgrüner Brauerei AG auf dem hart umkämpften gesamtdeutschen Getränkemarkt ein nicht nur für Ostdeutschland bemerkenswerter Wiederaufstieg gelang.

„Die Pils-Legende lebt.“ Die 1436 gegründete und 1991 fast schon abgewickelte Brauerei ist dabei, die Vorkriegsmärkte im In- und Ausland zurückzuerobern, die von der Grenzquellbrauerei OHG und der Ersten Wernesgrüner Brauerei AG beherrscht wurden. Beide Brauereien, die im 18. Jahrhundert nach Erbstreitigkeiten aus der ursprünglichen Wernesgrüner Brauerei heraus entstanden, wurden 1974 unter dem Namen VEB Exportbierbrauerei wiedervereinigt. Der volkseigene Betrieb gehörte danach zum „Getränkekombinat Karl-Marx-Stadt“.

„Wernesgrüner war das Lieblingsbier von Honni“, weiß Schill zu berichten. Denn im Gegensatz zu Radeberger in Dresden, die ihr Bier zu DDR-Zeiten nur in Flaschen verkauften, gab es Wernesgrüner schon immer auch im Faß. „Wenn die Bonzen etwas zu feiern hatten, wurde Wernesgrüner geordert.“ Doch das sei nicht der Grund dafür gewesen, daß das Bier aus Wernesgrün auch bei der Bevölkerung in der DDR hoch im Kurs stand. „Vogtland-Dollar“ wurde eine Flasche Pils aus Wernesgrün genannt. Denn gegen die flüssige Bückware konnten Kostbarkeiten aller Art getauscht werden: von der immer knappen Dachpappe für die Datscha bis zum Bohnenkaffee von den Bürgern mit Westverwandtschaft.

„Das hat den guten Namen unserer Brauerei über die Zeit gerettet.“ Die Wernesgrüner sind stolz darauf, daß es ihre Brauerei geschafft hat, heute „die größte und erfolgreichste konzernunabhängige Brauerei in den neuen Bundesländern“ zu werden. Etwas Besonderes sei Wernesgrüner Pils schon immer gewesen, sagt auch der Brauereiarbeiter in der Disposition. Bei Familienfeiern, nicht nur im Vogtland, gehöre Wernesgrüner einfach dazu. Und vor Weihnachten könne die Firma in Ostdeutschland auf Werbung ganz verzichten, denn sonst sei die in der Adventszeit ohnehin explodierende Nachfrage nicht mehr zu befriedigen, berichtet Schill.

Heute exportieren die Wernesgrüner ihr Bier wieder nach Westeuropa und auch in die Vereinigten Staaten. In den Jahren der Weimarer Republik schipperte Pils aus Wernesgrün schon einmal exklusiv mit der Hamburg-Amerika-Linie in die Neue Welt.

An die hundert Etiketten haben sie getestet, bis die „ideale Banderole“ gefunden war, mit der sich das Produkt schon rein optisch von den Flaschen der Konkurrenz (Warsteiner, Bitburger und Radeberger) unterscheidet. 769.000 Hektoliter Bier verließen 1996 die Brauerei; rund 18 Prozent mehr als im Vorjahr. Umsatz 1996: 113 Millionen Mark und „deutlich schwarze Zahlen“. Der Gesamtumsatz der Branche ging dagegen um zwei Prozent zurück.

Und das Erfolgsrezept? Nach der Reprivatisierung 1993 und der Rückgabe der Mehrheitsanteile (51 Prozent) an die Besitzer der Ersten Wernesgrüner Brauerei, die Familie Männel, wurden mit Unterstützung des Freistaates Sachsen rund 120 Millionen Mark investiert. Bis auf die historischen Grundmauern und die denkmalgeschütze Fassade des alten Brauhauses wurden die verrotteten Gebäude und Brauanlagen abgerissen und die gesamte Brauerei komplett modernisiert und erweitert.

Parallel dazu startete Schill seine ausgefeilte Marketing- und Werbestrategie: Aus einer zur Konzerthalle umgebauten alten Scheune der Brauerei sendet der Mitteldeutsche Rundfunk einmal im Monat die „Wernesgrüner Musikantenschenke“. Die Sendung hat die höchste Einschaltquote in Ostdeutschland. „Das ist ein Selbstläufer“, sagt Schill zufrieden. Doch die „Pils-Legende“, weiß er, könne nicht nur über die „Brauchtumsschiene“ verkauft werden. So holt er – „sozusagen als Gegengewicht“ – Legenden der Popmusik nach Wernesgrün: im Mai etwa Manfred Mann's Earthband.

Und noch eine andere Legende hat Schill überreden können, für die Wohlfahrt der Firma einen Werbespot zu drehen. Horst Eckel, Spieler bei der Fußball-Weltmeistermannschaft von 1954, wirbt in den Werbeblöcken vor allem in Sportsendungen für das Pils aus Wernesgrün. Im Hintergrund läuft die unvergessene Radio-Reportage vom Endspiel Ungarn – Deutschland in Bern. Das nennt Schill die „Einheit von Produkt und Protagonist“. Und er spielt dabei lässig mit seiner Krawatte mit den aufgedruckten Flaschenkindern. Er weiß, daß er der Macher von Wernesgrün ist: der West-Export für das Ost-Pils.

In der äußerst strukturschwachen Region haben heute immerhin 250 Menschen in der Brauerei einen sicheren Arbeitsplatz gefunden. Zur Zeit werde wieder Personal aufgestockt, eben weil die Firma so gesund sei. Der größte deutsche Getränkekonzern, die inzwischen schwer angeschlagene Brau & Brunnen, stand denn auch in Wernesgrün schon auf der Matte – und blitzte mit ihrem Übernahmeangebot ab.

Zwei Jahre hat Schill in Wernesgrün den Pionier gespielt und „in einem kleinen Zimmer gehaust“. Jetzt könne die Familie nachkommen in das „wunderschöne Vogtland mit seinen vielen Seen, den Bergen und den Wäldern“.