Das Portrait
: Ein Bürger im Kampf gegen AKW

■ Hans-Helmut Wüstenhagen

Hans-Helmut Wüstenhagens 72 Jahre langer Lebensweg war kurvenreich. Der Gründer des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) war keineswegs immer ein radikaler Kritiker des Staates gewesen. Und als ihm Mitte der 70er Jahre die Anti-Atom-Bewegung, die er selbst entscheidend mit angeschoben hatte, unheimlich wurde, entschwand er für Jahre nach Thailand. Ende der 60er Jahre engagierte sich der aktive FDP-Mann und Sohn des Ex-Generalintendanten des Hamburger Schauspielhauses gegen die Erweiterung der Ölraffinerie in seinem Heimatort Karlsruhe. Das Projekt erschien ihm einfach ungesund – einem Mann, der selbst seinen Lebensunterhalt in der pharmazeutischen Industrie verdiente. Bald tauchte er auch auf den Versammlungen am Kaiserstuhl gegen das AKW Whyl auf. „Er war ein Redner, der die Leute begeistern konnte“, erinnert sich eine Weggefährtin. 1972 dann gründete Wüstenhagen den BBU und richtete in seinem Karlsruher Reihenhaus das Zentralbüro ein. Seine Frau organisierte die Verwaltung, und Wüstenhagen schrieb nicht nur Flugblätter, sondern auch Anti-AKW-Poesie. Der Widerstand gegen die Atomkraftwerke wurde radikaler. Zum einen proklamierte Wüstenhagen vor der AKW-Baustelle in Brokdorf die „Eskalation des bürgerlichen Ungehorsams“. Er sprach von einer möglicherweise bevorstehenden „Revolution“ und rief dazu auf, Stromrechnungen nicht zu begleichen und alle Firmen zu boykottieren, die am Bau der gefährlichen Reaktoren verdienten. Zum anderen aber hatte Wüstenhagen auch bald das Gefühl, daß ihm der Widerstand entglitt. Die jungen, bunten Widerstandsgruppen waren ihm nicht geheuer. Und auch im BBU spürte er Mitte der 70erJahre zunehmend Gegenwind. „Er konnte nicht delegieren, war sehr souverän“, erzählt ein Mitstreiter. Teamarbeit sei seine Sache nicht gewesen. „Hans-Helmut Wüstenhagen hat viel zu früh resigniert“, schreibt sein damaliger Stellvertreter Hans Günter Schumacher. 1977 verschwand er zunächst spurlos. Viele vermuteten Wüstenhagen in der DDR oder einem anderen osteuropäischen Land. Schließlich war Wüstenhagen in jungen Jahren einmal Mitarbeiter des Neuen Deutschland gewesen. Tatsächlich aber lebte er einige Jahre in Thailand. Als er zurückkehrte, hatte er mit seinen alten Mitkämpfern gebrochen. Annette Jensen