Im Vollrausch redigiert

Hannovers Stadtmagazin, in dem schon Gerhard Schröder journalistische Gehversuche machte, wird 20  ■ Von Jörg Ihssen

Reinhard Mahl und Thomas Steinhausen haben ein Faible für Anzeigenflächen und ihre Initialien. Eigentlich ein Wunder, daß der Schädelspalter nicht „MaSt“ heißt, was doch auch hübsch zu den Namenskürzeln auf den Autokennzeichen der Herausgeber gepaßt hätte. Doch dann wäre die Mär von der Namensfindung dahin, nach der einst zwei künstlerisch ambitionierte Werbestrategen in der Kneipe saßen und ihren kühnen Entschluß, eine eigene Stadtillustrierte zu gründen, mit Hochprozentigem begossen: „Noch 'ne Runde Schädelspalter.“

An der Theke erfunden und für sie gemacht, erschienen im November 1976 die ersten 10.000 kostenlosen Din-A5- Hefte. Ohne Impressum und wie im Vollrausch redigiert: ein Sammelsurium von Kleinanzeigen für den „Jazzfrühschoppen“ und handgetippten Veranstaltungsterminen. Die Alternativ-, AKW- und Muckerszene Hannovers belächelte das Blättchen als kommerzielle Schülerzeitung und griff bis auf weiteres zum kostenlosen Spanner.

Doch die Schädelspalter, die den Nimbus des Nichtgesellschaftsfähigen noch heute hartnäckig bemühen, machten unbeirrt weiter. Bart- und Westenträger Mahl übernahm das Kreative, sein Partner Steinhausen besorgte mit Anzeigen das nötige Kleingeld. Das wurde auch schon mal bei Besuchen im Rotlichtbezirk branchenfern investiert. Wer weiß das heute noch so genau?

Bei der Endfertigung in einer kleinen Altbauwohnung leisteten auch der Cartoonist Uli Stein und der spätere Kino- King Joachim Flebbe Schützenhilfe, bei dem eine „Rocky“- Rezension damals so klang: „Gerade in der präzisen Zeichnung des Milieus liegt neben der subtilen Personenbeschreibung die eigentliche Stärke des Films.“ Hannovers Studenten nahmen's hin.

Richtig „Zuch“ in die Autorenriege habe erst der Chefredakteur Goetz Buchholz gebracht, sagt Mahl, der 1980 das erste politische Interview anschleppte. Sein Gesprächspartner war der damalige Juso-Vorsitzende Gerhard Schröder, der solche imagefördernden Anliegen schon immer zu schätzen wußte und Chefredakteur Buchholz später als Redenschreiber in den Landtag holte.

Schröder selbst reüssierte als Autor im Schädelspalter mit der Besprechnung einer Karikaturausstellung: „Wer als Politiker das Stadium des Personenkults erreicht hat, gibt zwar Angriffsflächen für beißenden Spott preis, erntet aber auch Respekt und kann auf Wiedererkennen vertrauen.“ Auch der Grüne Jürgen Trittin nutzte den Schädelspalter zur außerparlamentari

schen Opposition, indem er sich auf die Skandale der konservativen Albrecht-Regierung einschoß.

Politische Zeiten, in denen der Schädelspalter die Rekordauflage von 24.685 verkauften Exemplaren (1984) erreichte. Doch bald schon machte der Tempo-Zeitgeist den redaktionellen Spagat zwischen ambitioniertem Journalismus und Schöner Wohnen immer schmerzhafter. Streitereien zwischen den schlechtbezahlten freien Mitarbeitern und den Verlegern nahmen zu.

1990 zog mit Prinz aus dem Jahreszeiten-Verlag trendige Konkurrenz nach Hannover, die mit den unpolitischen Szene-Twens allerdings einen eigenen Claim abzustecken wußte. Zuletzt verkaufte sich der Partykalender 13.424mal (2. Quartal 1996), während der Schädelspalter mit seinem General-interest-Konzept Marktführer geblieben ist (19.061). Da kann sich Herausgeber Reinhard Mahl auch mal einen Mercedes SL leisten. „Wegen der Kunden und auch nur den kleinen Motor.“ Natürlich.

Zum Jubiläum schenkte sich Mahl außerdem ganz unbescheiden ein 120 Seiten starkes Geburtstagsheft, zusätzlich zur aktuellen Ausgabe. Arbeitsergebnis von acht festangestellten und einem Stamm von rund 30 freien Mitarbeitern. „Das Prinzip Selbstausbeutung“, nennt Mahl das, als wäre das ein schönes Wort.