„Nacht der langen Messer“

■ Die Pogromnacht in Bremen am 9. November 1938: Eine Reise in die Vergangenheit

In der Nacht des 9. November 1938 klopfen kurz nach vier Uhr morgens der SA-Truppführer Wilhelm Behring und sein Bruder, der Scharführer Ernst Behring, an das Schlafzimmerfenster des jüdischen Kaufmannes Heinrich Rosenblum in Bremen-Neustadt. Rosenblum öffnet die Tür. Die Männer herrschen ihn an, er solle sich ausweisen. Rosenblum zieht seinen Personalausweis aus einer Jackentasche und zeigt ihn den Männern. Als er sich umdreht, um den Ausweis wieder wegzustecken, schießt Wilhelm Behring den Kaufmann aus nächster Nähe in den Hinterkopf. Rosenblum ist sofort tot. Die Täter stürzen davon und eilen zurück ins Johann-Gossel-Haus, der SA-Dienstelle im Butentorsteinweg 95. Dort erfahren sie, daß wenige Minuten nachdem sie zu Rosenblum aufgebrochen waren, die offizielle Warnung ausgegeben worden war, Juden nicht zu erschießen. Der Befehl, den jüdischen Kaufmann und Vater von vier Kindern zu töten, beruhte auf einem Mißverständnis. Heinrich Rosenblum und die anderen vier Menschen, die in der Pogromnacht in Bremen ermordet wurden, waren Opfer eines falsch verstandenen Befehls geworden.

In Gang gesetzt hatte diese Maschinerie der damalige NSDAP-Bürgermeisters Böhmcker. Gemeinsam mit der SA-Gruppe Nordsee war Heinrich Böhmcker zu Gast bei dem Kameradschaftstreffen der NSDAP in München, auf dem Reichspropagandaminister Goebbles die Pogromnacht einleitete. „Sämtliche jüdischen Geschäfte sind sofort von SA-Männern zu zerstören... Jüdische Synagogen sind sofort in Brand zu stecken... Sämtliche Juden sind zu entwaffnen. Bei Widerstand sofort über den Haufen schießen“, telefonierte Böhmcker den Befehl nach Bremen durch. „Juden müssen über die Klinge springen“ wurde im Buntentorsteinweg, dem Sitz des SA-Sturmbannes III/75 aus dem Befehl. „Die Nacht der langen Messer“ (SA-Protokoll) begann:

Kurz nach Mitternacht brach der Obersturmführer Joseph Heike in das Haus des Fahrradhändlers Zwienicki ein und erschoß dessen Frau, Selma Zwienicki. Sie hatte sich geweigert, Heike zu verraten, wo ihr Mann war.

Ungefähr zur gleichen Zeit tobte die Zerstörungswut der SA in Bremens Innenstadt. Unter lautem Gegröll schmissen SA-Männer Schaufensterscheiben der jüdischen Geschäfte in der Obern-, Söge-, Hutfilter- und Faulenstraße ein. „In 13 jüdischen Geschäften bzw. Wohnhäusern wurden Schaufenster- und Fensterscheiben sowie teilweise auch die Wohnungs- und Geschäftseinrichtungen zertrümmert“, schreibt die Schutzpolizei später in ihrem Protokoll. Führende SA-Männer machten sich auf den Weg in die Gartenstraße (heute Kolpingstraße) zur Synagoge. Sie brachen die Synagoge auf, legten benzingetränkte Tücher auf die Stühle und zündeten sie an. Die Synagoge, die 1876 eingeweiht worden und 68 Jahre lang geistiger Mittelpunkt der Israelitischen Gemeinde war, brannte lichterloh. Die Feuerwehr sah zu. Sie rettete nur die angrenzenden Wohnhäuser vor den Flammen. Auch die kleine Betstube der Ostjuden am Sebaldsbrücker Bahnhof wurde von der SA heimgesucht. Die Betstube wurde aufgebrochen, die Einrichtung zertrümmert. In Gröpelingen trieb die SA Bewohner eines jüdischen Altenheimes auf die Straße. Sie demütigten und mißhandelten die alten Menschen. Die Einrichtung des Heims wurde völlig demoliert.

Gegen Morgen des 10. wurde in Platjenwerbe der 67jährige Monteur Leopold Sinasohn von der SA erschossen. Seine Leiche wurde notdürftig auf einem Feld verscharrt. Gegen fünf Uhr drang ein Trupp der SA in das Haus des Arztehepaares Adolph und Martha Goldberg in Burgdamm ein. Ein SA-Mann schoß auf Adolph Goldberg und streifte den Arzt am Bein. Goldberg zeigte auf sein Herz und forderte den Schützen auf, dorthin zu schießen. „Wenn Sie schon schießen, dann schießen Sie richtig“, spottete auch Martha Goldberg. Schüsse fielen, Martha und Adolf Goldberg starben. Ein Sturmarzt attestierte später als Todesursache „Lungenentzündung“.

Die festgenommenen Juden – allein in der Neustadt über 50 – wurden zu Sammelstellen beim Alten Gymnasium und in den Findorffer Mißlerhallen gefahren. Frauen, Kranke und Alte wurden bald wieder entlassen. 162 Männer jeden Alters mußten morgens zu Fuß nach Oslebshausen marschieren. Von dort aus wurden die „Schutzhäftlinge“ in das KZ Sachsenhausen bei Oranienburg gebracht.

Die Bremer Nachrichten feierten die Pogromnacht am 11. November als „verdienten Vergeltungsakt“. „Bremens Bevölkerung und mit ihr das ganze deutsche Volk hat gezeigt, daß es nicht geduldig zuschaut, wie deutsche Männer von Juden hingemordet werden.“ kes

Das Junge Theater, das Ortsamt Mitte und der Verein „Erinnern für die Zukunft“ erinnern heute ab 18 Uhr in der Ostertorwache mit einer Lesung an die Pogromnacht.