Westberlin ist besetzerfrei

■ Überraschende Räumung der zwei besetzten Häuser an der Marchstraße und am Einsteinufer in Charlottenburg

Die seit Jahren einzigen besetzten Häuser im Westteil Berlins wurden gestern morgen überraschend durch ein Großaufgebot der Polizei geräumt. Nach Polizeiangaben wurden zwei Personen wegen vorliegender Haftbefehle festgenommen. Weitere 27 Personen seien des Geländes verwiesen worden. Nach Angaben der Besetzer wurden mindestens 70 Menschen obdachlos.

Der Staatssekretär in der Innenverwaltung, Kuno Böse, verteidigte den Bruch der sogenannten Berliner Linie. „Die Eigentümerin will prüfen, ob die Häuser überhaupt noch als Wohngebäude genutzt werden können. Dafür muß sie in die Gebäude hinein“, erklärte Böse. „Das heißt, die Entscheidung über eine Anschlußnutzung muß erst noch gefunden werden.“ Trotzdem habe Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) die Berliner Linie beibehalten, da die rechtlichen und politischen Grundlagen für die Räumung gegeben gewesen seien, sagte Staatssekretär Böse.

Die Berliner Linie zum Umgang mit besetzten Häusern verlangt für eine Räumung unter anderem den anschließenden Abriß oder die Sanierung der Gebäude. „Beides ist derzeit nicht geplant oder genehmigt“, kritisierte die Charlottenburger Baustadträtin Beate Profé (Grüne). Sie hatte sich um eine Legalisierung der Besetzung bemüht und noch am Mittwoch mit den Bewohnern über die zukünftige Nutzung der Gebäude verhandelt.

Ein Teil der Bewohner war nach jahrelangen Prozessen zur Räumung ihrer Wohnungen verurteilt worden. Sie hatten die Häuser bereits verlassen, wie Anfang Juli ein Gerichtsvollzieher feststellen konnte. Die anderen und neuzugegezogenen Bewohner wurden nun aufgrund des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) aus den Häusern gewiesen, da es „für die Eigentümerin unmöglich sei, mit gerichtlicher Hilfe wieder den ungestörten Alleinbesitz an den Häusern zu erhalten“, wie Thomas Raabe, Sprecher des Innensators, erklärte. Dabei sei es für die Polizei unerheblich, daß ein Teil der Bewohner schon länger als ein Jahr dort polizeilich angemeldet war.

Bereits vor einer Woche hatten mehrere Hundertschaften der Polizei die beiden Häuser an der Marchstraße und am Einsteinufer in Charlottenburg durchsucht. Da hatte die Polizei noch mehrfach betont, daß es keine rechtliche Grundlage für eine Räumung gebe.

Die beiden Häuser waren Anfang 1989 besetzt worden. Das Gelände war ursprünglich als Erweiterungsgelände für die benachbarte Technische Universität vorgesehen. Die Eigentümerin der Häuser, die Henning, von Harlessem GmbH, hatte daher die Gebäude leer ziehen lassen.

Innensenator Schönbohm hatte bei seinem Amtsantritt im Januar angekündigt, das „Problem der Hausbesetzungen“ zu lösen. Seither wurden fünf langjährig besetzte Häuser und eine Wagenburg geräumt. Im Ostteil Berlins gelten nach Polizeiangaben noch 11 von ursprünglich etwa 150 Häusern als besetzt. Gereon Asmuth