Meinungsfreiheit kann manchmal schmerzlich sein

■ Im Offenen Kanal Hamburg präsentiert Herr Schmidt aus Berlin giftige Kondome und propagiert die „Sexlüge“ Aids / Die HAM will dem nun einen Riegel vorschieben

Die Thesen sind so haarsträubend wie gefährlich. „Aids ist nicht übertragbar und keine Infektionskrankheit. HIV ist kein Grund für Aids.“ Oder: „In ganz Asien gibt es nicht mehr HIV-Positive als in West-Berlin.“ Die hohen Infektionsraten in einigen schwarzafrikanischen Ländern seien auf „Mangelerkrankungen und parasitäre Infektionen“ zurückzuführen. Der Unsinn gipfelt in der Aussage: „Aids ist nur eine zusammengelogene Seuchentheorie.“ Man könne „Entwarnung“ geben, denn „HIV ist nur ein Phantom“.

Leider nicht. Das Virus – nach dem derzeitigen Stand der Forschung Auslöser der Immunschwächekrankheit – ist ebenso real wie die absurden Aussagen. Mehrmals pro Monat läuft im Offenen Kanal Hamburg (OK) die fast einstündige Sendung Sexlüge „Aids“, in der die erwiesenermaßen falschen Behauptungen vertreten werden. Verantwortlich für den Beitrag ist der Berliner Peter Schmidt, der sich selbst als „Aids-Kritiker“ bezeichnet und in seiner Heimatstadt einen Informationsdienst samt Info-Telefon betreibt.

Im Mittelpunkt der Sendung steht ein Interview Schmidts mit dem US-amerikanischen Molekular-Biologen Professor Duesberg, in dem immer wieder die genannten Unwahrheiten heruntergebetet werden. „Die Leute vergiften sich mit Kondomen“, sagt Duesberg. Ihnen den Gebrauch von Präservativen zu empfehlen, um einer Infektion vorzubeugen, sei ungefähr so sinnvoll wie zu behaupten: „Mit Gasmasken könnt ihr euch gegen Maschinengewehre schützen.“

Seit Ende 1993 ist Peter Schmidt im OK Hamburg vertreten, in Berlin und Ludwigshafen schon einige Jahre länger. Bislang ist nicht nur in der Hansestadt jeder Versuch gescheitert, den Mann von der Nutzung auszuschließen, von dem selbst Insider der Sektenszene nicht wissen, ob und welche Gruppierung ihn finanziell unterstützt. So hatte die Hamburgische Anstalt für Neue Medien (HAM), Trägerin des OK, im vergangenen Jahr vergeblich versucht, Schmidt den Zugang zu untersagen. Das Verwaltungsgericht Hamburg hatte der HAM schon im Vorfeld signalisiert, daß die Klage Schmidts gegen den Verbotsbescheid Erfolg haben würde.

Die Begründung kam einem Rüffel für Hamburgs Medienpolitiker gleich: Da der Zugang zum OK nur in dessen Satzung festgeschrieben, aber nicht gesetzlich geregelt sei, könne niemandem untersagt werden, in Hamburg zu senden, nur weil derjenige hier nicht seinen Hauptwohnsitz habe. Kurzum: Eine Reglementierung mit Hilfe der Satzungsklausel ist deshalb nicht möglich, weil diese rechtlich nicht verbindlich ist. Und da Schmidt auch nicht gegen andere Gesetze verstoßen hatte, durfte er weitermachen. „Wir haben Meinungsfreiheit“, sagt Beate Ansorge-Liebetruth, stellvertretende Leiterin des Offenen Kanals, „jeder kann senden, was er will, solange er sich an die Gesetze hält.“ Bei manchen Beiträgen wäre das allerdings eine „schmerzliche“ Erkenntnis.

Die Abfuhr vor Gericht sorgte bei der HAM für schwere Irritationen. Die Wächter des privaten Rundfunks fürchten seither um den guten Ruf des Offenen Kanals. Das Motto: „Selbst produzieren, verantworten, verwirklichen“ wird, so scheint es jedenfalls, immer häufiger von obskuren Sektierern als Einladung verstanden, dubioses Gedankengut zu verbreiten.

Dem will die HAM nun einen Riegel vorschieben. „Wir arbeiten an einer Novellierung des Hamburgischen Mediengesetzes“, erklärt Direktor Dr. Helmut Haeckel gegenüber der taz, „der Offene Kanal soll wieder stärker ein lokales Medium sein.“ Anfang der Woche wird sich der Senat mit der Gesetzesänderung beschäftigen, die sicherstellen soll, daß in Zukunft nur Hamburger senden dürfen. Schon im April könnte die Bürgerschaft über eine Neuregelung entscheiden. Von einer „Lex Schmidt“ will Haeckel jedoch nichts wissen: „Es geht um Grundsätzlicheres.“ Der OK solle als „Jedermanns-Medium“ gestärkt werden.

Doch selbst wenn es ab Frühjahr möglich sein sollte, Peter Schmidt aus dem Offenen Kanal zu verbannen, wartet noch genug Arbeit auf die Medienpolitiker. Neben Schmidts Propaganda-Show laufen regelmäßig fremdsprachige Sendungen, von denen nur die wenigsten wissen, was dort eigentlich verbreitet wird – es sei denn, sie verstehen perfekt Hindi oder arabische Dialekte. „Die Nutzer müssen eine Inhaltsangabe in deutscher Sprache vorlegen“, sagt Ansorge-Liebe-truth. Ob das mit dem Gesendeten auch übereinstimme, könne sie jedoch nicht hundertprozentig garantieren: „Nur bei Problemen werden stichprobenartig Übersetzungen angefertigt.“ Clemens Gerlach